Der 49Jährige Iraner lebt seit 25 Jahren in Rotterdam. Vor einem halben Jahr hat er sich selbständig gemacht und ein kleines Restaurant mit spanisch-arabischen Spezialitäten eröffnet.
Die Stadt Rotterdam unterstützt den Unternehmer mit einem zinslosen Kredit. Und die Polizei schaut regelmäßig vorbei, um nachzuprüfen, ob Drogenhändler, Zuhälter oder andere Kriminelle dem frischgebackenen Gastwirt das Leben schwer machen. Denn Rezas Taverne liegt am südlichen Maasufer im berüchtigten Stadtteil Charlois, einem von zehn Rotterdamer Problemvierteln. Doch alles verläuft unerwartet gut. Inzwischen muss man sogar reservieren, um sich einen der Tische in der fröhlich eingerichteten Taverne zu sichern. Zu den Stammgästen zählen vor allem wohlhabende einheimische Rotterdamer vom nördlichen Maasufer und vom so genannten Speckgürtel am Stadtrand. Bis vor kurzem noch haben sie in Viertel wie Charlois kaum einen Fuß gesetzt, staunt auch Küchenchef Daan.
Charlois mit seinen 68.000 Einwohnern gehört zu den ärmsten Immigrantenvierteln der Niederlande. Lange Zeit zogen die niedrigen Mieten hier überdurchschnittlich viele Immigranten an, mehr als Amsterdam oder Den Haag. In Charlois ist jeder zweite Einwohner Zuwanderer. Die meisten von ihnen sprechen kein Nederlands, haben keine Arbeit oder noch nicht einmal eine Aufenthaltsgenehmigung.
Bis vor kurzem noch türmte sich der Müll hier meterhoch am Straßenrand, erzählt Barend Rombout. Der 52Jährige ist Koordinator beim Projektbüro "Sicheres Rotterdam". Ziel ist es, Problemviertel wie Charlois sicherer, sauberer und lebenswerter zu machen - und die Besserverdienenden zurück in die Innenstadt zu holen.
Als erstes wurde dazu das gesamte Metronetz der Stadt renoviert und mit Sicherheitsvorrichtungen ausgestattet: Notrufsäulen, Kameras und Decken aus Spiegelglas in den U-Bahnhöfen, sodass ein Blick nach oben reicht, um zu sehen, wer hinter einem läuft.
Parallel dazu wurden ganze Straßenzüge saniert: Fassaden erneuert, Wohnungen zusammengelegt und großzügiger gestaltet. Die Kosten: Bis zu 100.000 Euro pro Wohnung, 30 Prozent werden von der Stadt subventioniert, so Barend Rombout.
Der größte Teil der Dordtselaan wurde auf diese Weise bereits renoviert. Auch sind schöne Grünanlagen entstanden mit Kinderspielplätzen und Stadtviertelzentren. Bis vor kurzem war Charlois eine reine Durchgangsstation: Jeder zweite Bewohner zog innerhalb eines Jahres wieder weg, jetzt ist es nur noch jeder fünfte.
Es gebe zwar immer noch viele Drogensüchtige, konstatieren zwei Schwestern aus dem Kongo. Aber die Wohnungen seien viel schöner und größer geworden, ideal für kinderreiche Familien. Und in der Metro brauche man nicht mehr soviel Angst zu haben, dass einem sofort das Handy oder die Handtasche geklaut werde.
Es habe sich in der Tat eine Menge getan, bestätigt ein älterer türkischer Immigrant, der sich ein renoviertes Haus in Charlois gekauft hat.
Nachts könne man sich als Frau zwar immer noch nicht auf die Straße trauen, meint seine 30Jährige Nichte. Aber immerhin sei dies jetzt tagsüber kein Problem mehr.
Die junge Mutter auf dem Kinderspielplatz gegenüber will dennoch möglichst schnell wieder weg. Am liebsten einen Steinwurf weiter nördlich auf den Kop van Zuid. Finanziell werde sie sich das zwar nie leisten können, aber in diesem neuen Viertel sei es mit Sicherheit nicht so schmutzig und so unsicher wie hier. Und dort würden auch nicht so viele Ausländer leben.
Mit dem Kop van Zuid will Rotterdam sein Image als Architekturmekka unter Beweis stellen. Berühmte Architekten aus aller Welt haben hier gebaut, angefangen bei Rem Koolhaas bis hin zu Renzo Piano.
Das Viertel liegt auf einer Landzunge in der Maas und lässt sich am schönsten per Wassertaxi erreichen. Soeben wurde dort der höchste Wolkenkratzer der Niederlande vollendet, der fast 153 Meter hohe Wohnturm Montevideo mit Luxusapartments, die bis zu 2,1 Millionen Euro kosten. Auf dem Kop van Zuid befinden sich auch das neue Luxor-Theater und das Hotel New York, im ganzen Land berühmt für seine Austern- und Seefrüchtebar.
Der Kop van Zuid soll die Reichen zurück in die Innenstadt holen und dafür sorgen, dass sie ihren Speckgürtel verlassen. Eine Großstadt müsse auch für Menschen mit Geld attraktiv bleiben, so Rombout.
Doch Rotterdam, so sagen böse Zungen, versuche dies nicht nur im Guten: Denn die Stadtväter schrecken auch vor umstrittenen Maßnahmen nicht zurück. Unter dem Motto "Rotterdam durft"- Rotterdam hat Mumm" wurde eine neue Politik der "Null Toleranz" eingeschlagen. Dafür stark gemacht hatte sich die stärkste Partei Leefbaar Rotterdam, Lebenswertes Rotterdam: Unter dem rechtspopulistischen Politiker Pim Fortuyn war sie 2002 bei den Kommunalwahlen als Sieger hervorgegangen. Seitdem gilt die Devise: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Nicht nur Drogensüchtigen, Prostituierten und illegalen Immigranten gegenüber wird hart aufgetreten: Barend Rombout führt mit einem Spezialteam auch regelmäßig Kontrollen durch, um festzustellen, ob die Wohnungen nach wie vor von denjenigen Personen bewohnt werden, die sich beim Einwohnermeldeamt eingeschrieben haben.
Um einer weiteren Verarmung einen Riegel vorzuschieben, wurde in bestimmten Problemvierteln eine Einkommensgrenze eingeführt: Wer sich dort niederlassen will, muss mindestens 120 Prozent des gesetzlichen Minimallohnes verdienen. Das sind ungefähr 1.400 Euro brutto pro Monat. Vorerst geht es nur um ein Experiment; das Parlament muss noch eine entsprechende gesetzliche Regelung verabschieden. Auch jenseits der Grenzen hat die Maßnahme Erstaunen und Entsetzen ausgelöst.
Aber manchmal müsse man eben unkonventionelle Wege einschlagen, so der zuständige Dezernent für Infrastruktur Marco Pastors von Leefbaar Rotterdam. Nur so ließen sich bestimmte Problem lösen.
Diana Plet und ihr Anwalt sind anderer Meinung. Die 41Jährige Immigrantin aus der ehemaligen Kolonie Surinam ist eine von sieben Rotterdamern, die vor Gericht gegen die Einkommensgrenze protestieren. Diana arbeitet Teilzeit als Krankenpflegerin und bleibt mit 1.100 Euro unter der Einkommensgrenze.
Aber das heiße doch noch lange nicht, dass sie ihre Miete nicht bezahlen könne! Es sei doch nicht normal, dass der Staat bestimmen wolle, wo man zu wohnen habe und wo nicht!
Diana hat in Charlois für sich und ihre Tochter eine schöne drei Zimmerwohnung gefunden für 500 Euro - und bezogen. Die Stadt droht ihr mit Räumung; Wohn- und Kindergeld bekommt sie nicht. Ein Richter hat jetzt jedoch entschieden, dass sie das Recht hat, sich in Charlois einzuschreiben, und damit auch Wohn- und Kindergeld bekommen muss.
Die Niederlande würden reaktionär werden, klagt Dianas Anwalt Ton Rijnsburger. Die Einkommensgrenze verstoße gegen eine ganze Reihe von Gesetzen, zum Beispiel das EU-Recht auf freie Niederlassung. Im Grunde genommen gehe es Dezernent Pastors doch nur darum, Ausländer zu wehren:
Zum einem Abbau des Speckgürtels jedenfalls führe auch diese Regelung nicht, so Rijnsburger. Den werde es auch in Rotterdam weiterhin geben. Die Reichen würden nun mal am liebsten unter sich bleiben - trotz Kop van Zuid und trotz Einkommensgrenze: