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Die FPÖ vor der Regierungsverantwortung

Durak: Österreichs Bundespräsident Klestil will erst Anfang der Woche entscheiden, welcher Partei er den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen wird. Die Koalitionsverhandlungen zwischen der zweitstärksten Kraft, der Freiheitlichen, und der ÖVP laufen auf Hochtouren. An den Verhandlungen ist Herbert Scheibner beteiligt. Er ist Klubobmann der FPÖ, also Fraktionsvorsitzender. Er ist auch Vorsitzender des Landesverteidigungsausschusses und wehrpolitischer Sprecher seiner Partei. Ich habe ihn gefragt, in welchen Punkten denn noch Verhandlungsbedarf besteht aus Sicht der FPÖ.

    Scheibner: Ja, wir haben ja im Oktober bereits Sondierungsgespräche mit den Sozialdemokraten und mit der Österreichischen Volkspartei absolviert. Das heißt, man weiß ungefähr, in welchen Punkten es Übereinstimmung geben kann und wo es noch Probleme gibt. Zu den Problemen ist sicherlich die Frage der Budgetsanierung zu zählen, weil der österreichische Finanzminister erst sehr spät dargelegt hat, dass wir ein Budgetloch von etwa - Sie würden sagen - 10 Milliarden Mark aufzufüllen haben. Hier gibt es verschiedene Varianten. Das ist sicherlich die größte Hürde, die es zu überschreiten gilt, weil wir gesagt haben, dass wir uns Steuererhöhungen nicht vorstellen können, sondern dass hier vor allem im Bereich der Ausgaben und im Bereich der Bürokratie eingespart werden muss.

    Durak: Im Bereich der Bürokratie und der Ausgaben: Was konkret meinen Sie?

    Scheibner: Nun, wir haben einen sehr hohen Staatsanteil - nicht nur jetzt im Bereich der Verwaltung, sondern auch im Bereich der Wirtschaft. Wir haben auch einen sehr hohen Anteil an verstaatlichten Betrieben. Hier muss es eine große Privatisierungswelle geben, und bei der Verwaltung muss es auch Einsparungen geben. Wir wollen, dass die Aufgaben des Staates hinterfragt werden. Welche Aufgaben hat ein künftiger moderner Staat noch zu übernehmen, und welche Aufgaben haben besser Private zu übernehmen? Hier gibt es sicherlich ein riesiges Einsparungspotential. Auch bei der Frage der Postenbesetzungen im öffentlichen Bereich - hier haben wir das Problem, dass SPÖ und ÖVP in den letzten Jahrzehnten einen sehr strengen Proporz verfolgt haben, und da gab es in weiten Bereichen Doppelgleisigkeiten, die ebenfalls extrem hohe Kosten verursacht haben. Das alles ist zu hinterfragen, und da sind sicherlich genug Einsparungspotentiale, die es dann nicht notwendig machen, die Bevölkerung durch Steuererhöhungen weiter zu belasten.

    Durak: Herr Scheibner, welche Privatisierung von Großunternehmen aus staatlicher Hand schweben Ihnen denn da vor?

    Scheibner: Es ist zum einen die ÖHG, das ist die Holding für eine ganze Reihe von Industrieunternehmen - das war früher sozusagen das Flaggschiff der staatlichen Industrie. Dann gibt es im Telekom-Bereich noch einiges, auch die Elektrizitätswirtschaft ist noch in weiten Bereichen in staatlicher Hand. Also hier gibt es ein Potential von etwa 150 Milliarden Schilling, das hier zur Disposition stehen sollte.

    Durak: Wie sieht es mit der Verwaltung aus? Wird es Entlassungen geben, Stellenstreichungen bei Beamten, weniger Beamte - oder wie?

    Scheibner: Ja, hier muss ein Gesamtpaket geschnürt werden. Zum einen natürlich muss es eine Reduzierung bei den Dienststellen geben, aber auf der anderen Seite sollte es eben durch eine Neudefinition der Aufgaben eine stärkere Effizienz geben. Wir wollen ja auch eine Kostenrechnung in der Verwaltung machen, dass auch hier Einsparungspotentiale wahrgenommen werden - wie wir insgesamt sagen: Wir gehen von einer NULL-Budgetierung aus, so wie das auch in der Wirtschaft der Fall ist, wenn man ein Unternehmen sanieren möchte - wo jeder Budgetposten nach seiner Sinnhaftigkeit hinterfragt wird. Dasselbe kann man auch im Bereich der Subventionen und Förderungen machen. Hier hat sich einiges angesammelt in den letzten Jahren und Jahrzehnten, was einem modernen Staat sicherlich nicht gerecht wird.

    Durak: Und dies ist noch strittig in den Verhandlungen mit der ÖVP?

    Scheibner: Nun, die Ziele sind im Prinzip klar, nur der Weg - über den wird noch diskutiert.

    Durak: Zu welchem Preis werden Sie dann der Regierungsfraktion beitreten, was die Sanierung betrifft?

    Scheibner: Hier gibt es keinen Preis, sondern wir haben in den letzten Monaten immer wieder gesagt, dass wir bereit sind, Verantwortung für Österreich zu übernehmen - aber nur dann, wenn es wirklich möglich ist, mit einem Partner ganz konkrete Reformen, die in die Zukunft gerichtet sind, umzusetzen. Sollte das nicht möglich sein, dann werden wir selbstverständlich an einer Regierung nicht teilnehmen; denn wir wollen nicht eine Veränderung von Personen, sondern es muss eine Änderung in der Politik möglich sein.

    Durak: Ihnen werden Ministerposten zuwachsen. Welche Ressorts schweben Ihnen vor?

    Scheibner: Wir unterhalten uns zunächst über die Inhalte und schauen, ob ein derartiges Reformprogramm möglich ist. Und erst dann werden wir uns über die Posten und über die Positionen unterhalten. Die Österreicher haben jetzt in den letzten Jahren und Jahrzehnten genug gehört von Postenaufteilungen und von Parteibuchwirtschaft. Das muss jetzt auch der Vergangenheit angehören. Hier wollen wir ein Signal setzen. Es geht uns nicht um die Posten und Positionen, sondern uns geht es darum, Inhalte umzusetzen, und ich hoffe, dass wir das in den nächsten Tagen auch entsprechend dokumentieren können.

    Durak: Sie werden aber nicht darauf verzichten, Minister zu besetzen?

    Scheibner: Es soll ein ausgewogenes Verhältnis geben. Sie sehen ja schon - wir sind die zweitstärkste Partei, aber beharren nicht auf die Position des Kanzlers . . .

    Durak: . . . aber der Rest - da möchten Sie schon das Sagen haben . . .

    Scheibner: . . . hier geht es nicht darum wer das Sagen hat, sondern hier geht es darum, dass man sich auf ein gemeinsames und zukunftsorientiertes Programm einigt, und dass dann die Verantwortungsbereiche gleichmäßig aufgeteilt sind.

    Durak: Sie sind - wir haben es gesagt - der Vorsitzende des Parlamentarischen Landesverteidigungsausschusses und der Wehrsprecher - bei uns sagt man ‚Verteidigungsexperte' Ihrer Partei, der FPÖ. Herr Scheibner: Rede ich mit dem künftigen Verteidigungsminister Österreichs?

    Scheibner: Da müssten Sie eine Wahrsagerin sein. Ich kann das noch nicht sagen, weil wir - ich sage es noch einmal - über diese Positionen und Ressortaufteilungen nicht diskutiert haben. Wir werden jedenfalls versuchen, für jede Position den am besten geeigneten Kandidaten zu nominieren, denn auch hier sollen nur Leute zum Zug kommen, die auch von der Materie etwas verstehen - unabhängig, welcher Partei sie angehören. Wir haben auch schon angekündigt, dass wir auch unabhängige Experten für derartige Positionen durchaus uns vorstellen können.

    Durak: Kommen wir zur Sachpolitik, Herr Scheibner - Verteidigungspolitik oder auch Sicherheitspolitik: Bisher hat sich Österreich hervorgetan durch Blauhelmeinsätze - keine NATO-Mitgliedschaft. Wird es mit Ihnen Österreich in der NATO geben?

    Scheibner: Diese Frage ist leider nicht von mir und nicht einmal von einer Koalition zwischen ÖVP und FPÖ zu lösen, denn da braucht man eine Verfassungsmehrheit - eine Zweidrittelmehrheit - für den Entschluss, dass Österreich Mitglied der NATO wird . . .

    Durak: . . . und was will die FPÖ? . . .

    Scheibner: . . . und wir haben uns immer dazu bekannt, dass Österreich am Aufbau gemeinsamer Sicherheitsstrukturen teilnehmen muss, und deshalb mit allen Organisationen, die in diesem Bereich tätig sind, kooperieren soll.

    Durak: Einschließlich der NATO?

    Scheibner: Auch die NATO, selbstverständlich. Wir haben auch ein großes Interesse, dass Österreich voll berechtigt teilnimmt am Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsstruktur . . .

    Durak: . . . mit Beistandsverpflichtung? . . .

    Scheibner: . . . selbstverständlich, denn für uns ist diese Verpflichtung eher eine Garantie, dass auch unsere Sicherheit in Zukunft gewährleistet ist. Das haben wir als erste Partei hier in Österreich klar vertreten - seit 1990 bereits, sind dafür heftig kritisiert worden, und das ist leider in den letzten zehn Jahren hier nichts weitergegangen, weil die Sozialdemokraten hier anscheinend noch in Kategorien des Kalten Krieges denken. Da ist die NATO ein Feindbild gewesen. Und auch deshalb konnte sich Österreich nicht entscheiden, an dieser sehr spannenden Entwicklung im Sicherheitsbereich vollberechtigt teilzunehmen.

    Durak: Nun kann sich Österreich entscheiden - mit Ihnen als zweitstärkster Partei. Also werden Sie dafür sorgen, dass Österreich der NATO beitritt?

    Scheibner: Noch einmal: Für diese Entscheidung braucht Österreich die Mehrheit von zwei Drittel, auch im Parlament. Die ist nur herbeizuführen, wenn auch die Sozialdemokraten ihre bis jetzt ablehnende Linie ändern. Wir hoffen, dass das irgendwann einmal der Fall sein wird. Was wir tun können, ist, dass wir jetzt einmal voll inhaltlich die Integrationsbestrebungen im Sicherheitsbereich im Rahmen der Europäischen Union unterstützen. Das ist ein ganz wichtiges Projekt für mehr Sicherheit in Europa. Und es ist doch ganz klar, dass es eine europäische Sicherheit nicht ohne der transatlantischen Kooperation geben wird.

    Durak: Herr Scheibner, Ihr Stichwort von der Integration und Integrationspolitik will ich aufgreifen und noch anders besetzen: Ausländerpolitik. Welche Ausländerpolitik wird Österreich mit der FPÖ haben?

    Scheibner: Wir waren immer für eine sehr verantwortungsvolle Ausländerpolitik hier in Österreich. Wir haben vor zehn Jahren schon darauf hingewiesen, dass man eine Zuwanderung nur in dem Ausmaß zulassen kann, als man die Zuwanderer auch integrieren kann, dass die Ressourcen bereitgestellt werden müssen im Bereich der Wohnungen, der Arbeitsplätze und auch der Schulplätze. Das wurde in den letzten Jahren sehr stark vernachlässigt, deshalb gibt es vor allem in den Ballungszentren derzeit sehr gravierende Probleme. Hier haben wir Programme angeboten, wie das gelöst werden kann - die zum Teil ja auch schon von der Regierung in Ansätzen umgesetzt worden sind. Für uns ist aber ein Prinzip ganz wichtig, dass wir selbstverständlich für politisch Verfolgte immer Verantwortung haben, ihnen zu helfen. Das bedeutet aber nicht, dass man so, wie in manchen Jahren davor, bei der Zuwanderung offene Grenzen macht, ohne sicherstellen zu können, dass wir diesen Bürgern auch die Zukunft geben können, die sie sich hier in Österreich erwarten.

    Durak: Sie werden die Zuwanderung begrenzen?

    Scheibner: Die Zuwanderung ist bereits begrenzt . . .

    Durak: . . . weiter? . . .

    Scheibner: . . . es geht hier im Prinzip nur darum, die Gesetze auch umzusetzen, etwa im Bereich der Illegalität und im Bereich der Kriminalität. Und es geht auch darum, dafür zu sorgen, dass die Ausländer, die sich legal hier in Österreich aufhalten und sich integrieren wollen, dass man ihnen auch die Möglichkeit dazu gibt, das heißt, im Bereich der Schule, im Bereich des Wohnens und im Bereich des Arbeitsmarktes.

    Durak: Wird es eine Kennzeichnungspflicht für Ausländer geben?

    Scheibner: Nun, es gibt ja eine interessante Initiative von der deutschen Bundesregierung und von Bundeskanzler Schröder, der momentan im Bereich der Europäischen Union abfragen lässt, ob es hier Erfahrungen gibt mit einer einheitlichen Ausweiskarte für Asylbewerber und auch für Gastarbeiter. Wir glauben, dass es sinnvoll ist, dass man - etwa im Bereich der Sozialversicherung und auch der Arbeitsgenehmigungen - einen Ausweis erstellt. Wir haben ja derzeit schon die Ausweispflicht für ausländische Staatsbürger. Das sollte man eventuell auch im Gleichklang mit anderen europäischen Staaten in die Praxis umsetzen, weil das ein Schutz für jene ist, die sich legal hier befinden - dass sie überall klarstellen können, dass sie die Gesetze des Landes auch entsprechend einhalten.

    Durak: Herr Scheibner, abschließend: Es gibt Kritik aus dem Ausland, auch auf Regierungsebene. Es gibt viele Fragen und Sorgen - von sehr scharf bis zurückhaltend, aber deutlich. Haben Sie ein gewisses Verständnis dafür?

    Scheibner: Wir nehmen diese Kritik sehr ernst. Wir versuchen nur, dass man bei der Beurteilung der Freiheitlichen und auch der freiheitlichen Politik nicht davon ausgeht, was - manchmal auch sehr bewusst - von Österreich heraus im Ausland hier präsentiert wird, sondern dass man sich authentisch mit unserer Politik auseinandersetzt, mit unseren Forderungen, mit unseren Inhalten. Man muss uns die Chance geben zu zeigen, dass wir nur eines im Sinn haben: Österreich in eine bessere Zukunft zu bringen, und dass wir letztlich in Österreich die erste wirkliche Europapartei gewesen sind, schon in den 50er Jahren für ein gemeinsames Europa eingetreten sind, dass wir selbstverständlich Kritik üben - so wie andere auch - an unserer Meinung nach bestehenden Fehlentwicklungen in der Europapolitik, dass wir aber ein Ziel haben: Für ein geeinigtes, gerechtes und freies Europa einzutreten - so wie wir in Österreich für mehr Freiheit und mehr Gerechtigkeit und mehr Leistungsdenken und weniger Parteienwirtschaft und Parteimacht in Österreich eingetreten sind. Und das werden wir - wenn es zu einer Einigung kommt - auch in dieser neuen Funktion machen.

    Durak: Die FPÖ vor der Regierungsverantwortung. Im Gespräch waren wir mit Herbert Scheibner, dem Fraktionsvorsitzenden dieser Partei.

    Link: (Andreas Kohl (ÖVP): Verhandlungen zur Regierungsbildung in Österreich (26.1.2000)==>/cgi-bin/es/neu-interview/535.html)