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Die Frage nach der künstlerischen Selbstauflösung

Information ist ein Signal, das nicht durch seinen Inhalt, sondern durch seinen Abstand vom Rauschen definiert ist: Wenn dieser berühmte wie charmante Satz von Claude Shannon, des Begründers der Informationstheorie, so stimmt, dann müsste das HDTV-Format dem Zustand des Informations-Eldorados eigentlich schon sehr nahe kommen.

Von Carsten Probst |
    HDTV steht für High Definition Television, also mit hoch präzisen, digitalen Kameras aufgenommene Bilder, die nicht nur jeden Mitesser im Gesicht eines Schauspielers in aller leuchtenden Pracht auf den Bildschirm zaubern, sondern glücklicherweise auch nachträglich manipuliert werden können. Unbeabsichtigte Unschärfen oder Bildrauschen werden weitgehend ausgeschaltet. Der Nachteil an dieser von der Unterhaltungsindustrie gerade als Neuerfindung der abendländischen Bildkultur angepriesenen Technik ist, dass sie immense Mengen an Speicherplatz verschlingt und dass es einstweilen kaum weder geeignete Datenträger noch Lesegeräte gibt, die diese Mengen an Information bewältigen könnten. Aus Sicht der High Definition Community werden 99,9 Prozent der Menschheit bis auf weiteres im dunklen Zeitalter leben und mit ihren trüben Flimmerkisten vorlieb nehmen müssen.

    Wer einmal Zeuge einer Vorführung in High Definition geworden ist, versteht allerdings schnell den Reiz dieser Technik. Die Amerikanerin Shelly Silver demonstriert es in dieser Ausstellung eindrucksvoll in einem 15-Minuten-Filmchen, mit dem sie bereits auf der letzten Berlinale zu sehen war. Sie hat eine Kontaktannonce aufgegeben, auf die sich Leute melden sollten, die bereit wären, sich von ihr in High Definition filmen oder fotografieren zu lassen.

    Ihr Streifzug mit der Präzisionskamera durch New York auf der Suche nach den unbekannten Gesichtern zeigt die gewohnte Umwelt plötzlich in ganz neuem Licht, so scharf in allen Tiefen und dadurch so nah, dass einen die Bilder wie eine eigene Welt einhüllen und nicht mehr loslassen. Je weniger Bildrauschen, desto mehr Bilderrausch, könnte man sagen. Der Betrachter wird immer weiter in die Bilder hereingezogen, seine Entfernung zum Geschehen schmilzt. Das ist dann wohl nicht mehr real entertainment, sondern "reality itself".

    Man kann verstehen, dass bei manchen Medienkünstlerinnen und –künstlern Nostalgie aufkommt, Sehnsucht nach den Zeiten grobpixeliger, verwaschener Aufnahmen, die uns den Fernseher noch mit Abstand betrachten ließen, eben als Glotze. Im High Definition-Zeitalter gibt es keine Glotzen und keine Fern-Seher mehr, da gibt es nur noch Ganzkörper-TV. In dieser Ausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst wird daher gerade auch das Grobkörnige, Verwaschene, noch Geheimnisvolle als Gegensatz thematisiert.

    Gerade einmal 192 im Viereck aufgelötete Leuchtdioden benötigt der kalifornische Medienkünstler Jim Campbell, um Porträts von Informationstheoretikern wie Claude Shannon oder bewegte Straßenszenen gut erkennbar zu machen. Wozu also, könnte man denken, braucht es da High Definition, wenn die menschliche Imagination sich sowieso mit viel geringerem Aufwand austricksen lässt?

    Ein alter Trick ist es, Filmbilder aus der Zeit vor der Hochpräzision so nah heranzuholen, dass ihr Flimmern nur noch ein abstraktes Rauschen ist und den Betrachter gewissermaßen vor ein grobpixeliges Bildorakel stellt. Torsten Hallscheidt löst das Rätsel für den Zuschauer in 75er-Pixelschritten: Es handelt sich um einen Ballerszene aus dem Streifen "Die Hard" mit Bruce Willis, und man weiß nicht recht, ob einem nun der Film oder nicht doch das kunstvoll abstrakte Rauschen besser gefallen hat. So reiht sich eine künstlerische Unschärfe-Demonstration an die nächste.

    Der Chaos Computer Club, der in den letzten Jahren mit seinem "blinkenlights"-Projekt viele Fans gewonnen hat, bei dem Hochhausfassaden in simple Interfaces verwandelt wurden, auf denen die Passanten mittels Handy-Einwahl ihre Lieblingsmotive abbilden lassen konnten. Zu sehen unter anderem am Berliner Alexanderplatz oder jüngst an einem der vier Türme der Pariser Bibliothèque Nationale.

    Der Norweger Kjell Bjorgeengen treibt es in dieser Hinsicht am weitesten. Mithilfe von Bildsynthesizern wandelt er Töne in ein permanentes Bildflimmern um, das bei jedem Betrachter unterschiedliche neurale Reflexe hervorruft. Nicht wirklich als Fernseh-Ersatz für das eigene Wohnzimmer zu empfehlen, da man schon nach kurzer Zeit in einer Art Delirium versinkt – aber ein einprägsamer Beitrag zu der Frage, ob die Mutter aller Fernseher nicht sowie bei jedem schon im Kopf sitzt, vorinstalliert und meistens sogar in High Definition.