Montag, 29. April 2024

Archiv

Die Franken im Mittelalter
Vernetzte "Wilde" von Skandinavien bis Italien

Die Franken im frühen Mittelalter, das war eine junge und gewaltbereite Gesellschaft, sagte die Kuratorin Ursula Koch im Deutschlandfunk über die neue Dauerausstellung des Reiss-Engelhorn-Museums in Mannheim. Die Herrscher der Franken waren vernetzt in ganz Europa, von Gotland bis in die Lombardei, wie Grabbeigaben zeigen.

Die Kuratorin Ursula Koch im Gespräch mit Henning Hübert | 21.02.2015
    Henning Hübert: Im beginnenden Mittelalter waren die Franken, ausgehend vom Niederrhein, auf Expansionskurs. Das Schwert saß locker, es gab viele, viele Schlachten, und seit den Tagen Chlodwigs I. fassten die Franken auch an Oberrhein und Neckar Fuß. Das war vor fast genau anderthalb tausend Jahren. Schriftliche Quellen gibt es kaum. Umso wichtiger sind die archäologischen Funde; sind freigelegte Gräber. Ab morgen gewähren die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim Einblicke in ihre umfangreiche archäologische Sammlung und präsentieren im "Museum Weltkulturen" ihre neue Dauerausstellung: "Wilde Völker an Rhein und Neckar: Franken im frühen Mittelalter" heißt sie. Kuratorin ist Ursula Koch. Frage an sie zum Titel:
    Was macht denn die Stämme an Rhein und Neckar zu Wilden Völkern?
    Ursula Koch: Die wilden Völker, die gehen auf die schriftlichen Quellen zurück. In den schriftlichen Quellen haben wir keine weitere Angabe zu den Völkern jenseits des Rheins, wie Gregor von Tours schreibt, als die Wildheit. Das kam, als König Sigibert seine Leute von jenseits des Rheins, die Krieger aufbot, um gegen seinen Bruder Chilperich zu Felde zu ziehen. Beide kämpften sie um Paris. Und Sigibert konnte die Wildheit der Völker von jenseits des Rheins nicht bändigen. Das ist alles, was wir von diesen Leuten in den schriftlichen Quellen wissen. Und dass man die Wildheit eigentlich in Anführungsstrichen schreiben müsste - nur tut man das auf einem Plakat halt nicht -, das möchte ich in der Ausstellung zeigen.
    Hübert: Wie zeigen Sie denn, dass sie vielleicht doch nicht so wild waren? Wurden sie jetzt nach christlichem Ritus schon bestattet, Ihre Funde?
    Rekonstruktion aus archäologischen Quellen
    Koch: Das Merowinger-Reich wurde auf römischem Reichsboden gegründet. Das römische Reich war ein christliches Reich in dieser Zeit. Chlodwig ließ sich taufen, also die Franken waren Christen, das Christentum war hier nicht bekannt. Es wurde in damaliger Zeit mit Beigaben bestattet, die Männer mit ihren Statussymbolen, mit den Waffen, auch die Frauen hatten Statussymbole drin. Das hat nichts mit Christentum zu tun. Auch Christinnen, die dann im siebten Jahrhundert ganz deutlich durch christliche Symbole an ihrer Kleidung zeigen, dass sie Christinnen waren, wurden mit Beigaben bestattet. Das hörte erst auf, als die Institutionalisierung der Kirche begann. Als man zum Beispiel sein Vermögen der Kirche geben konnte, um für das Totengebet dann zu zahlen, da hörte das auf mit den Beigaben. Aber Christen waren sie auch vorher schon.
    Hübert: Und was können Sie jetzt zeigen in der neuen Dauerausstellung von der Hofgesellschaft, also diesen fränkischen Herrschern, die ja diese angestammte Bevölkerung irgendwie regierten?
    Koch: Wir haben in dieser Zeit eben diese Herrscher, deren Namen. Aber die Krieger, die dahinter standen, die haben wir nicht mit Namen. Von denen wissen wir eigentlich auch nur aus den archäologischen Quellen, und da können wir so eine Hofgesellschaft sehr gut zeigen. Wir können zeigen, dass der Hofherr vernetzt war. Diese ländliche Elite, die war vernetzt von Skandinavien bis Italien. Ich habe einen Hofherrn, der trägt eine Spatha mit einem Knauf, der trägt Ornamentik, dessen Parallelen ich auf Gotland gefunden habe. Sein Pferdegeschirr stammt ganz sicher aus Italien. Seine Schnalle ist typisch fränkisch, dürfte also eher von der anderen Seite des Rheins von uns aus gesehen, also aus dem Westlichen kommen. Und seine Silberbeschläge von seinem Becher sind langobardisch von der Ornamentik her. Also dieser Herr war vernetzt mit der Elite rund herum.
    Eine gewaltbereite junge Gesellschaft
    Hübert: Sie wurden vor 40 Jahren über Grabfunde aus der Merowinger-Zeit im Donautal promoviert. Einige ihrer Ausstellungen, die hießen "Die Franken: Wegbereiter Europas", dann "Das Gold der Barbarenfürsten" und jetzt "Wilde Völker an Rhein und Neckar". Das klingt einerseits immer nach Lendenschurz und Keule schwingen und andererseits betonen Sie da den hohen Grat der Kunstfertigkeit am fränkischen Hof. Haben Sie da noch so ein herausragendes Beispiel, was Sie sehr beeindruckt hat, ein Objekt?
    Koch: Na ja, einmal diese Gewaltbereitschaft. Es war eine sehr junge Gesellschaft. Chlodwig war 16 Jahre, als er König wurde. Viele seiner Nachfolger waren es auch. Und es waren auch junge Krieger und die haben wir auch in der Ausstellung: Krieger, die mit 20 Jahren Veteranen waren, die kurz darauf an noch stärkeren Verletzungen starben, verheilte Verletzungen und neue Verletzungen hatten. Diese Gewaltbereitschaft ist da.
    Die Leute waren jung. Aber sie hatten andererseits wieder eine Technik bei den Handwerken, in den ganzen Ausstattungen, auch die Waffen von höchster Qualität. Das waren keine Keulen schwingenden Germanen, wie man sich das bei dem Titel "Wildheit der Völker" vielleicht vorstellt. Das möchte ich eben auch in der Ausstellung zeigen. Ich habe auch keine Rekonstruktionen aus dem 21. Jahrhundert, weil diese Rekonstruktionen des 19. Jahrhunderts, wild und mit Keule, und im Nazi-Reich, stramm stehend und mit Seitenscheitel, oder im späten 20. Jahrhundert, wo sie sich alle so lieb umarmen, das möchte ich nicht. Ich zeige bildliche Darstellungen aus dem sechsten bis neunten Jahrhundert. Da gibt es auch eine ganze Reihe, um diese Objekte mit den Menschen zu verbinden. Und ich glaube, dass mir das auch gelungen ist.
    Hübert: … sagt Ursula Koch, die Mannheimer Kuratorin von "Wilde Völker an Rhein und Neckar" über die Franken im frühen Mittelalter.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.