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Die französische Band La Femme
Von Gestern über Heute ins Morgen 

Die Band La Femme steht für Stilvielfalt, Spielfreude und Experimentierlust: Mal Elektro-Pop, mal Krautrock, gern leicht psychedelisch, dann klingen französische Musikerinnen der Yeye-Musik à la France Gall an, bevor La Femme wieder mit einem Tarantino-ähnlichen Surf-Sound liebäugelt. Bunt, melodisch, verspielt.

Von Anja Buchmann | 20.06.2021
    Zwei Frauen und vier Männer stehen mit zwei Pferden auf einer Weide. Die Pferde tragen ein Einhorn.
    La Femme sind Fans der 60er-Jahre-Musik (jfJulian)
    Musik: "Paradigme"
    Musik machen und zudem ausführlich-reflektiert über Musik reden zu können oder zu wollen muss nicht zusammenfallen. Das merkt man am Beispiel von Sacha Got, Gitarrist und Mitbegründer seit zehn Jahren bestehenden Band La Femme. Ob er nur am Tag des Interviews oder grundsätzlich keine große Lust hat, mehr über seine Band, die Geschichte und Geschichten, die Klangvorstellungen, den Wandel von Sound und Instrumentierung etc. zu erzählen – das bleibt sein Geheimnis. Jedenfalls ist der Gitarrist eher wortkarg.

    Gitarren aus den 60ern und Synthesizer aus den 80ern

    Er und Marlon Magnée kennen sich schon aus gemeinsamen Schulzeiten in Biarritz, im Südwesten Frankreichs. Schon damals machten sie gemeinsam Musik; "La Femme" wurde dann aber erst 2010 in Paris gegründet.
    Woher der Name?
    "Das ist ein Mysterium".
    Aha. Und gab es vor ihrem musikalisch bunten und vielstiligen Debut "Psycho Tropical Berlin", das 2013 herauskam, eigentlich ein Klangideal? Eine Vorstellung der beiden Songschreiber von La Femme, in welche Richtung es gehen sollte?
    "Nun, wir waren Fans von 60er-Jahre-Musik und 60er-Jahre-Rock und Surfmusik, außerdem von französischen Künstlern wie Serge Gainsbourg oder Jacques Dutronc. Und am Anfang mischten wir diesen Stil mit Cold Wave und New Wave, und Bands mit Synthesizern wie Kraftwerk oder französischen Cold-Wave-Bands. Es war im Grunde eine Mischung aus diesen beiden Stilen, aus Gitarren aus den 60ern und Synthesizer aus den 80ern."
    Musik: "Amour dans le motu"
    "Amour dans le motu", ein fröhlich hüpfender Elektro-Punk-Wave-Song mit psychedelisch-verträumten Zwischenteilen aus dem Debüt von La Femme, das sie mit vier verschiedenen Sängerinnen aufgenommen haben. Die Arbeit mit wechselnden Vokalistinnen bleibt, wie auch die sich immer erweiternde Stilvielfalt, bis heute eines ihrer Markenzeichen. Ein weiteres ist die Liebe zur französischen "Yeye-Musik" a la France Gall oder Francoise Hardy, die Sacha Got so erklärt:

    Yeye, Lou Reed und Psychedelik

    Es war Musik, die von den Amerikanern beeinflusst und inspiriert wurde. Also die die Franzosen imitiert haben, die Popmusik der 60er Jahre. Es erinnerte an das "Yeah Yeah" in den englischen Songs und weil sie den Text nicht verstanden haben, haben sie es so genannt. Also abgesehen davon, dass es auf Französisch gesungen wurde, ist es ein Stil, der wirklich aus dem amerikanischen Pop der 60er Jahre stammt und von diesem inspiriert ist.
    Musik: "La Femme"
    La Femme bezieht sich nicht nur auf die Musik von amerikanischen Girl Groups und ihren Einfluss auf französischen Pop – neben Surf-Gitarren, tanzenden Disco-Bässen und verspielten Synthie-Sounds hört man auch Bezüge zu Lou Reeds Velvet Underground – auf jeden Fall in diesem Titel, ausnahmsweise zu Beginn auf Englisch, mit Marlon Magnée als weiterem Sänger. "It‘s time to wake up", ein stoisch vor sich hin stampfender Beat, monotoner Gesang meist auf einem Ton, großenteils zwei Akkorde und eine allmählich zunehmende Intensität, Dichte und Lautstärke. Das Thema: ein Blick in die Zeit im Jahr 2023, nach einem Atomkrieg, wo sich die Welt quasi neu finden und erschaffen muss.
    Musik: "It‘s time to wake up 2023"
    Nach "Psycho Tropical Berlin" veröffentlicht die Band La Femme 2016 ihr zweites Album "Mystère", das den eingeschlagenen Weg der Vielfalt weitergeht, im Ganzen aber etwas düsterer klingt. Und auch hier wieder ein Sammelsurium an Instrumenten und Klängen: Auf "Mystère" sind bei einigen Titeln Streicher zu hören und – zumindest erinnert es daran – der Sound einer indischen Sitar in "Le chemin".

    Kontraste sind wichtig

    Ein Song, dessen Stimmung schwankt: Auf der einen Seite liedartiger, fast naiver Gesang mit fröhlichem die Gesangslinie begleitenden Vibraphon. Auf der anderen Seite psychedelische Einschübe, klangliche Verdichtungen und ein wilder Zwischenteil mit schrubbenden Geigen, Sitar ähnlichen, anschwellenden Sounds und Dschungel-Geräuschen.
    "Kontraste sind wichtig. Wenn es nur ein fröhlicher Text zu einer fröhlichen Musik ist, ist es langweilig. Und wenn es traurige Texte zu trauriger Musik sind, ist es zu deprimierend. Sie müssen die Balance zwischen beidem finden."
    Im Text von "Le chemin" geht es um einen bizarren, real erscheinenden Albtraum, dem lyrischen Ich wird mit dem Tod gedroht, er oder sie geht durch einen tiefen Tunnel und verzweifelt an der nicht enden wollenden Dunkelheit. Doch der Song endet immerhin mit einer hoffnungsvollen Aussicht.
    Man weiß nie, wann die Nacht endet.
    Aber man weiß, dass die Sonne immer aufgehen wird
    Schau dich um und du wirst sehen
    Die Hand deines Freundes ist gar nicht so weit weg
    Musik: "Le Chemin"
    Eine für das Format-Radio taugliche Länge von 3‘30 für ihre Songs einzuhalten – das war La Femme nie wichtig. Genauso wenig, wie sie knackige Hooklines produzieren, die sich gut als Unterleg-Musik etwa für die Tik-Tok-Plattform eignen würde. Die Stücke von Sacha Got und Marlon Magnée – beide sind Songschreiber, die mal zusammen, mal getrennt voneinander die Stücke komponieren – entziehen sich auch in ihren Längen gängigen Kategorien. Am deutlichsten wird das auf "Mystere" beim Titel Vagues, Wellen: ein Stück über das Hin und Her, über Verlust und Gewinn, Abschied und Neubeginn im Leben. Musikalisch eine Mischung aus Brian Eno-ähnlichen sphärischen Sounds inklusive Wellenrauschen und zart-nuscheligen Gesangslinien, die schließlich in eine epische, Gitarren geschwängerte Krautrockorgie mit Pink Floyd-Assoziationen übergehen.
    Musik: "Vagues"

    Mischen als Mission

    "Es ist immer noch ein bisschen wie Patchwork oder eine Collage. Je mehr wir uns entwickelt haben, desto mehr Inspirationsquellen gab es. Wir haben vieles zusammengemischt, und daraus sind Hybride entstanden. Und jetzt verbinden wir wirklich eine Menge Stile aus dem vergangenen Jahrhundert, denen wir huldigen. Auf dem neuen Album gibt es sogar Country, Techno, Elektro und Jazz-Swing. Wir mischen all diese Stile, die wir mögen, und wir finden eine Originalität, indem wir sie mischen."
    Mischen allein macht zwar noch keine Qualität, aber Sacha Got und Marlon Magnée von La Femme schaffen es tatsächlich meist, hybride Songs und hybride Alben zu produzieren, die trotz aller Stilvielfalt wiedererkennbar nach dieser Band klingen. Und das, obwohl es auch regelmäßig wechselnde Sängerinnen gibt. Ein Umstand, den die beiden damit erklären, dass sie Frauen als ein vielschichtiges Mysterium betrachten und deswegen verschiedene weibliche Stimmen erklingen lassen.
    Auf dem aktuellen Album "Paradigmes" sind auch wieder viele Instrumente versammelt – neben den altbekannten Gitarre, Bass, Schlagzeug, Gesang und den geliebten Synthesizern zudem Trompeten und ein Banjo. All die Klangfarben dienen zusammen mit den Texten dazu, stimmungsvolle, cineastische Bilder mit eindringlichen Atmosphären zu entwerfen. Und musikalisch zeigt es sich auch, dass Got und Mangnée ihre Filmmusik-Komponisten studiert haben.
    "Ja, das ist richtig. Auf dem Titel "Lacher de chevaux" kann man definitiv die Inspiration von Morricone hören. Ich denke, er ist einer der größten Filmmusikkomponisten aller Zeiten. Aber danach gibt es ja auch noch andere. Ich mag zum Beispiel François de Roubaix oder auch Giorgio Moroder. Und es stimmt, dass wir auch gerne Instrumentalstücke machen, Musik ohne Gesang - das ist wiederum etwas, was ich auch an der Filmmusik mag."
    Musik: "Lacher de Chevaux"
    Einen inhaltlichen roten Faden gebe es nicht auf "Paradigmes", meint Sacha Got. Aber sie hätten geplant, einen Film zu machen, der alle Video-Clips miteinander verbinde.
    Springt man bei fast jedem Titel in einen neuen musikalischen Mikrokosmos, so ist dieser bei "Foutre le bordel" ein sehr punkiger, der an The Clash-Songs aber auch an den 80er Jahre Abtanz-Hit "Ca Plan pour moi" von Plastic Bertrand erinnert.
    "Es ist einer der bekanntesten französischen Rocksongs im Ausland, aber es gibt auch eine Menge anderer französischer Bands, die Rock in diesem Stil gemacht haben. Plastic Bertrand ist einfach die bekannteste Referenz. Es geht darum, loszulassen, zu feiern, auf gutmütige Art und Weise ein Chaos zu veranstalten. Es ist der Moment, in dem man die Musik etwas lauter spielt und dann Lust hat, etwas Dummes zu tun."
    Musik: "Foutre le bordel"
    "Und dann, wenn wir es schaffen, Menschen zu berühren und ihnen sogar zu helfen, ist das manchmal großartig. Es ist wie eine magische Kraft."
    Musik: "Le jardin"