Dienstag, 30. April 2024

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Die Geheimnisse der Himmelsscheibe

Archäologie. - Seit 2002 besitzt eine kleine Gemeinde an der Unstrut in Sachsen-Anhalt für die Geschichte Europas besonderes Gewicht. Denn ist die anerkannte Fundstätte der so genannten Mondscheibe, die ihren Besitzern vor rund 3600 Jahren vermutlich als astronomisches Werkzeug gedient hat. Der Schlüsselfund für die europäische Vorgeschichte beschäftigte an diesem Donnerstag erneut die Archäologen, denn in Berlin stellten Wissenschaftler ihre neuesten Erkenntnisse zur ersten bekannten Himmelskarte der alten Welt vor.

06.11.2003
    Die wichtigste Frage ist geklärt: die Himmelscheibe von Nebra ist definitiv echt. Dabei halfen zwei Schwerter, die aus derselben Fundstätte stammen. Alle diese Funde können keine Fälschungen sein, weil in frisch gewonnenem Kupfer – das für derartige Kopien immer benötigt wird – stets eine höhere Radioaktivität nachweisbar ist als bei uralten Originalen. Die chemische Analyse des Kupfers in den drei Objekten ergab auch, dass es aus ein und derselben Quelle stammt. Aber auch die Herkunft des Goldes, aus dem die Sterne und der Mond der Scheibe hergestellt wurden, sei nicht länger ein Rätsel, erklärt Professor Ernst Pernicka vom Institut für Archäometrie der Technischen Universität Bergakademie Freiberg: "Leider sind die Goldlagerstätten in ganz Europa geochemisch nur sehr wenig untersucht. Aber nach dem, was wir heute bereits aus archäologischen Vergleichsfunden wissen, ist die Goldsorte der Nebra-Stücke besonders häufig in Rumänien, aber auch im griechischen Mykene." Weil alle diese Funde annähernd aus der gleichen Zeit stammten, vermutet der Experte, dass das Edelmetall der Mondscheibe aus Siebenbürgen herrührt.

    Das Kupfer dagegen sei sehr wahrscheinlich in den Alpen gewonnen worden. So wurden in Mitterberg bei Bischofshofen während der Bronzezeit rund 15.000 Tonnen Kupfer abgebaut. Der Urananteil, der in der Himmelscheibe ermittelt wurde, entspricht genau jenem Wert, der für Mitterberger Kupfer charakteristisch ist. Die nötigen Untersuchungen gelangen allerdings nur zum Teil in der Bergakademie Freiberg. Ähnlich der herkömmlichen Röntgenfluoreszenz-Analyse, jedoch mit weitaus exakteren Ergebnissen, arbeite man mit Synchrotonstrahlung, erklärt Martin Radke von der Bundesanstalt für Materialprüfung. Dazu wurde der Elektronenspeicherring Elektronenspeicherring BESSY in Berlin eingesetzt. Vorteil der Synchroton- Röntgenfluoreszenz-Methode sei, dass das Material untersucht werden kann, ohne ihm dabei Schaden zuzufügen. "Dabei werden die Atome der Probe durch Röntgenstrahlen auf ein energetisch höheres Niveau angeregt. Wenn die Elektronen der Atome dann in ihre alten Bahnen zurückfallen, werden wieder Röntgenstrahlen ausgesandt. Die Energie dieses Strahlen ist jeweils charakteristisch für ein angeregtes Element und erlaubt Rückschlüsse auf die Menge eines bestimmten Elements im Untersuchungsgut", so Radke.

    Zunächst wird die starke Lichtquelle – denn nichts anderes ist letztlich die Synchrotonstrahlung – exakt auf das Absorptionsspektrum des zu untersuchenden Objekts geeicht. In diesem Fall suchte Professor Pernicka nach dem nur in Spuren vorhandenen Zinn im Gold der Scheibe von Nebra. Das Element verrät wie ein einmaliger Fingerabdruck die Herkunft des Goldes, erläutert der Archäometallurg: "In den Vergleichsanalysen war immer wieder Zinn in geringen Konzentrationen entdeckt worden. Doch die geringe Menge von gerade 0,02 Prozent konnten wir mit der ersten Methode nicht nachweisen." Auch die Frage, ob alle Goldteile der Scheibe die gleiche Zusammensetzung besitzen, konnte erst im BESSY geklärt werden. Dadurch fanden die Wissenschaftler heraus, dass der "Horizont" auf der Himmelskarte, der auch einen der Sternenpunkte quasi verschob, einen anderen Zinngehalt aufweist als der Rest der Goldornamente und offenbar nachträglich in das Artefakt eingefügt wurde. Professor Wolfhard Schlosser vom Institut für Archäoastronomie der Ruhr-Universität Bochum löste indes das Rätsel um den Zweck des sensationellen Fundes. Bevor das religiöse Symbol des Schiffes hinzukam, wurde die Mondscheibe als einfacher Bauernkalender eingesetzt, wobei die darauf abgebildeten Pleiaden Beginn und Ende des landwirtschaftlichen Jahres anzeigten.

    [Quelle: Wolfgang Noelke]