Vielleicht ist das Stück nicht ganz stringent durchkonstruiert, aber die beiden haben konzise Figuren und Situationen geschrieben und auch hinzuerfunden. Vor allem haben sie der Versuchung widerstanden, das Ganze mit sexuell aufgeladenen Symbolismen auszustatten. Der Berg ruft, das schon, aber droben wartet nicht die Klimax, die Erfüllung, sondern eben nur eisige Einsamkeit. Und Walser und Ott fokussieren weniger auf die Wally da oben als vielmehr auf die da unten im Tal, die Geknechteten und Ressentimentgeladenen. Die Autoren nutzen das Wirtshaus als dörfliche Kontrollinstanz und Echoraum. Das ist der zentrale Ort. Da gibt es einen Trinker, einen Außenseiter, der mit depressiver Aufmüpfigkeit vor sich hinphilosophiert. Da gibt es den zwanghaft strengen Vater und die vielen autoritär Angepassten. Und den angeblich so tollen Bärenjäger. Und einen Chor, dessen antike Kommentar-Funktion nun volkstheatralisch umgewidmet und von der Musikerin Susanne Hinkelbein ironisch unterlegt wird - mit drei manchmal verdächtig neutönenden Posaunen, die das Heimatlied anschrägen:
Leider hat die Regisseurin Barbara Bilabel nur wenig Sinn für diesen distanzierten Gestus. Andererseits spürt sie auch nicht die fast liturgische Bauweise, in der sich vor allem die Einsamkeits-Monologe der Wally vorantasten. Sie hört nicht das verzweifelt Sprachlose in der Geschwätzigkeit der Dörfler. Was eine Marthalersche Balance aus Stille und Witz, aus Ernst und Lächerlichkeit bräuchte, wird von Bilabel aufgeblasen zu einem bäurischen Naturalismus, zu einem aufklärerischen Pseudo-Volkstheater, in dem alles übertrieben wird – die Dumpfheit und die Empörung, die hündische Verehrung für den Bärenjäger und die knarzige Autorität des Vaters, die angebliche Wildheit der starrköpfigen Wally, das Loosertum von Wallys Verehrer Vinzenz und das spotzende Räsonnieren des heiligen Trinkers. Die Regisseurin kann die Pausen, die Distanzen zwischen den Figuren einfach nicht aushalten. Naht ihr euch wieder, zappelnde Gestalten, ich bitte euch, lasst Gnade walten, so möchte man vor allem im ersten Teil bisweilen winseln – es hilft nicht.
Zwar fährt die Bühnenbildnerin Claudia Rüll Bergesgipfel aus Pappmaché und hölzerne Gemsen-Attrappen auf, um uns augenzwinkernd zu bedeuten, dass hier ein Heimatstück zur Aufführung gelangt. Aber Bilabels feministisch-aufbegehrender Wally-Impetus ist todernst gemeint. Zu allem Überfluss will sie nebenbei auch noch unterhaltsam sein und lässt Tiere als Fernsehballett und Berggeister als Showmaster auftreten – das Bergdorf sucht den Superstar. Auch müssen geraubte Küsse und die öffentliche Bloßstellung der Wally durch den geliebten Jäger gleich als Sportveranstaltung daherkommen – was Delikatesse bräuchte, wird hoffnungslos übersteuert.
So hat man einige Sympathie für den – von einem Tänzer gespielten – menschengroßen Geier, der die Wally vor dem Zugriff der Dörfler, vielleicht auch vor dem Zugriff der Regie schützen möchte. Das gelingt nicht: am Ende geht bedeutungsvoll eine Lawine nieder, in der die engherzige dörfliche Moral zerstiebt. Da ist dann wenigstens Barbara Bilabel zufrieden. Über ihrer Inszenierung aber schwebt der Pleite-Geier.
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