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Die Geister, die sie riefen

Sally Jenkins hat als Ghostwriter zweier Lance Armstrong-Bücher sehr viel Geld verdient. Nun nutzt sie ihre Position als Kolumnistin der angesehenen Washington Post, um den überführten Doper zu verteidigen und seine Häscher zu attackieren. Die Leser der Zeitung sind entsetzt.

Von Jürgen Kalwa | 26.12.2012
    In einer der angesehensten Zeitungen der Vereinigten Staaten erschien am 24. August eine erstaunliche Kolumne. Sie begann mit den Worten: "Erstens, Lance Armstrong ist ein guter Mensch. Es gibt nichts, abgesehen von Mord, was meine Meinung ändern könnte. Zweitens, ich weiß nicht, ob er die Wahrheit sagt, wenn er darauf besteht, dass er bei der Tour de France keine leistungssteigernden Mittel genommen hat. Ich habe es nie gewusst. Was ich weiß, ist dass er auf faire Weise den Krebs besiegt hat, dass er nicht der kriminelle Drahtzieher ist, den die amerikanische Anti-Dopingagentur aus ihm machen will, und dass das Verfahren, durch das ihm seine Titel abgenommen werden sollen, stinkt.”

    Die Zeitung, die diese Zeilen veröffentlichte, heißt Washington Post und genießt seit den Tagen von Watergate den Ruf einer unbestechlichen Publikation. Die Autorin heißt Sally Jenkins und arbeitet als Sportjournalistin für das Blatt. In ihrer Biographie finden sich einige Auszeichnungen, unter anderem für ihre Mitwirkung in einem Autorenteam, das vor Jahren mit einem Pulitzer-Preis geehrt wurde. Von diesem Ruf hat die 52-Jährige lange gezehrt. Doch in diesen Tagen tut sie ihr Bestmögliches, ihn zu ramponieren.

    Ihr Arbeitgeber gibt ihr dafür nicht nur den Platz. Der unabhängige Ombudsman der Zeitung gab ihr am Samstag sogar noch Rückendeckung, Kurz nachdem sie ihr zweites Rechtfertigungsstück abgeliefert hatte:

    "Ich mag anderer Meinung als Jenkins in der Frage sein, wieviel Schaden Armstrong angerichtet hat. Aber sie hat keinen der Ethik-Grundsätze der Post verletzt.” Die mehr als tausend überwiegend kritischen Leserkommentare in der Online-Ausgabe wurden auf diese Weise einfach weggewischt.

    Aber das wird auf Dauer nicht genügen, um die aufgebrachten Leser zu beschwichtigen. Denn die sind ziemlich verstört, dass ihre Zeitung einfach über Jenkins’ dubiose Rolle hinweggeht. Sie hatte als Teil der Publicity-Maschine jahrelang an der Stilisierung des Texaners als Radsportidol mitgewirkt. Vor allem mit zwei Büchern, die sie zusammen mit Armstrong geschrieben hatte. Beides Bestseller, die in zahllose Sprachen übersetzt wurden. "Tour des Lebens”, hieß der erste. "Jede Sekunde zählt” der zweite.

    Wieviel von dem eingespielten Honorar bei der Journalistin ankam, ist nicht bekannt, weil sie dieses nicht ganz unwichtige Detail noch nie mitgeteilt hat. Sollte sie, was zu erwarten wäre, am Verkaufserfolg beteiligt gewesen sein, darf man getrost von mehr als einer Million Dollar ausgehen.
    Und damit von mehr als einer Million Gründen, in Fernseh- oder Radiointerviews ohne die Spur irgendwelcher Belege die Aussagen geständiger Doper zu desavouieren. Wie hier in einer Rundfunk-Talk-Show:

    ""Die Glaubwürdigkeit von Floyd Landis ist nicht gut. Ich kann ihm eigentlich gar nichts glauben. Tyler Hamilton ist eine etwas glaubwürdigere Quelle. Obwohl: Auch er wurde bei Dopingtests erwischt und hat lange behauptet, er sei unschuldig.”"

    Auch die amerikanische Antidoping-Agentur findet keine Gnade. Da seien Heuchler am Werk, schrieb sie im August. Unterfüttert von Behauptungen, die nachweislich falsch sind. Etwa wie jene von den Erfolgschancen von Athleten in Doping-Schiedsgerichtsverfahren. "Sie gewinnen nie”, schrieb sie. Tatsächlich hat die USADA seit ihrer Gründung im Jahr 2000 rund 400 Fälle abgewickelt, von denen ein knappes Viertel von einem internen Prüfungsverfahren vorab als nicht hinreichend belegt kassiert wurden.

    David Walsh, der Journalist, der in der Sunday Times in London und in dem Buch "L.A. Confidential” als erster Armstrongs massive Doping-Verschwörung skizziert hatte, war entsetzt über seine Kollegin. Noch ehe seine Zeitung bekanntgab, dass sie von Armstrong Texaner mehr als eine Million Euro zurückhaben will, die sie als Schadenersatz und Anwaltskosten in einem Prozess bezahlt hatte, sprach er im Sportteil die schwerwiegenden Versäumnisse von Jenkins an und stellte eine rhetorische Frage:

    "Hat Jenkins irgendwelche Gefühle oder Sympathie für diejenigen, deren Integrität von Armstrong attackiert wurde, weil sie es gewagt hatten, die Wahrheit über die Vorgänge im Motorola und im US Postal Team zu sagen?”

    Walsh brauchte die Antwort nicht zu geben. Sie ergibt sich von selbst.