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Die Geister Europas

Die Ausstellung "Die Geister Europas" widmet sich dem Einfluss, den das Okkulte auf europäische Künstler, Denker und Gelehrte hatte. Dabei beschränkt sich die Ausstellung auf keine Gattung und sie lehrt, dass das Übersinnliche den Menschen zu überfordern scheint.

Von Christian Gampert |
    Am Ende der Ausstellung weiß man zwar immer noch nicht so genau, was das Übersinnliche denn nun sei – aber irgendwas muss ja dran sein, wenn 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche mit Exponaten bespielt werden, die Verbindung zu einer anderen Welt aufzunehmen vorgeben. Nicht kleckern, sondern klotzen, hat sich Joëlle Pijaudier-Cabot offenbar gesagt, die Direktorin der Straßburger Museen, und mit ihrem Kollegen Serge Fauchereau einen Parcours abgesteckt, der den Zuschauer durch sehr viele alte Bücher und 150 naturwissenschaftliche Gerätschaften, durch mittelalterliche Stiche, Malerei des 18. und 19.Jahrhunderts und moderne Kunst schickt. Wer, bitte, soll das alles auf einen Schlag aushalten?

    So ist das erste, was man lernt, dass das Übersinnliche den Menschen zu überfordern scheint. Die Straßburger Stadtbibliothek besitzt nicht nur esoterische Schriften aus dem alten Ägypten, sondern auch eine Ausgabe von Friganders "Geschichte von einigen Gespenstern, welche sich in unterschiedlichen Orten geäußert und ihr Anliegen offenbart haben", von 1754; das ist sehr schön, aber ein ganzer Saal solchen Schrifttums bleibt eine Sache für Spezialisten. Auch der Saal mit den wunderbaren, alten naturwissenschaftlichen Geräten zeigt nur, dass auch harte Wissenschaftler dem Spiritismus durchaus zugetan waren, letztendlich aber lieber bei der Analyse elektromagnetischer Wellen blieben.

    Weniger scharf zerlegbar ist das Bedürfnis nach dem Okkulten in Kunst und Literatur, und hier kommt die Ausstellung nun endlich zum Punkt. Denn die Romantik ist die natürliche Schattenseite der Aufklärung, und die Mächte der Finsternis boten nicht erst seit dem 18. Jahrhundert dem Verstand Paroli: Die gesamte Shakespeare-Welt mit ihren Feen, Hexen und Dämonen – als Erben des Mittelalters – tanzt auch durch die Kunstgeschichte, die, zumindest für das 18. und 19.Jahrhundert, in Straßburg hervorragend bestückt ist. Wir schreiten durch Goyas Angstträume, die noch von der Inquisition und den Drohgebärden der katholischen Kirche geprägt sind, und landen bald bei Füsslis geflügelten Teufeln und "Titanias Erwachen", also den Verführungen des Sexus und dem strafenden Gewissen. Von Joseph Anton Koch gibt es "Macbeth und die Hexen" vor gewitterschwüler Landschaft und tosendem Meer, Delacroix zeigt den Mephisto flügelschlagend in den Lüften, Karl Friedrich Schinkel entwirft eine Sternenkuppel für die Königin der Nach, und Goethe selbst wird in Straßburg als Zeichner und Aquarellist seiner faustischen Hexenküche gefeiert.

    Klar aber ist: Wo in Straßburg "okkult" und "übersinnlich" draufsteht, ist es vor allem der Sex, der da herumspukt in dunkler Nacht. Oder der Tod. Oder auch die Geisteskrankheit. Das zeigt sich besonders schön an dem Zeichner Théophile Bra, der nach einem Zusammenbruch 1826 in somnambulem Zustand arbeitete: flache Schädel empfangen bei ihm "Geistesglut", und aus Widderköpfen fahren magnetische Wellen. Bei Louis Boulanger tanzen nackte Weiber und Teufel über offenen Gräbern. Schwierig wird es dann mit den Theosophen, die mit Toten kommunizierten, und dem gesamten symbolistischen Schwulst, der um 1900 gepflegt wurde und nun vor allem aus Osteuropa in die Straßburger Ausstellung hineinschwappt. Zwar ist es verdienstvoll, viele unbekannte Künstler vorzustellen, aber manche sind auch zu Recht nicht berühmt geworden. Zwar gibt es auch hier Böcklin, Munch und Hodler, aber so ein "Lichtgebet" von Fidus, der 1924 mit offenen Armen die Unendlichkeit empfängt, führt dann geradewegs zum Monte Verità und zum Goetheanum, zur beseligenden Eurythmie und den befreiten, aber irgendwie blöde blickenden Körpern dieser frühen Hippies, die derselbe Fidus schon 1910 beim Tempeltanz verewigte.

    Ist der symbolistische Teil nur ein Sammelsurium schlechter Kunst, so werden am Ende dann auch Kandinsky und Arp, Max Ernst und diverse Surrealisten in den großen Topf des Okkulten geschmissen, obgleich sie damit eher wenig am Hut hatten. Das desavouiert diese Ausstellung, die in ihren besten Teilen immerhin vom Einbruch des Sexus in eine noch religiös geprägte Welt erzählt.