Donnerstag, 18. April 2024

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Die Gen-Bombe
Kettenreaktion gegen Zika, Malaria und Co.

Mücken sind die schlimmsten Feinde der Menschheit. Sie übertragen Krankheiten wie Malaria, Zika, Dengue- oder Gelbfieber und töten so indirekt Jahr für Jahr etwa eine halbe Million Menschen. Die Freisetzung genmanipulierter Tiere brachte bislang nicht die erhofften Erfolge, doch das könnte sich jetzt ändern.

Von Michael Lange | 28.08.2016
This female Anopheles gambiae mosquito-one of several species that can carry deadly malaria-surely used her sophisticated sniffing ability to find a place to eat. Foto: NNS /Landov dpa
Möglicherweise könnten durch Mücken übertragene Virus-Epidemien durch CRISPR/Cas verhindert werden. Doch die gesellschaftlichen Folgen der neuen Gentechnik sind praktisch unabsehbar (picture alliance / dpa / NNS /Landov)
Alles grün. Überall wuchert Natur. Meine Geschichte beginnt im Cuyabeno-Naturreservat in Ecuador, ein Tropenparadies. In den riesigen Bäumen bunte Vögel und unzählige Insekten. Gäbe es da nicht die feuchte Hitze, die mir zu schaffen macht, und diese verdammten Moskitos. Ich weiß: Einige davon übertragen Malaria, Gelbfieber, Dengue und neuerdings auch Zika. Ich könnte gut auf sie verzichten. Die Welt wäre besser dran ohne sie.
Omar Akbari, University of California Riverside: "Wenn Sie eine biologische Art weltweit vernichten wollen, zum Beispiel Aedes aegypti, den Zika-Überträger, dann ist das jetzt möglich. Eine neue Technik schaltet lebenswichtige Gene der Mücke aus und verbreitet sich selbst in einer Art Kettenreaktion. Irgendwann bricht die ganze Population zusammen - und Sie haben diese Art ausgerottet."
Es klingt verlockend, aber auch bedrohlich. Der Mensch erhält ein neues Werkzeug, mit dem er die Evolution steuern kann. Er kann entscheiden, welche Arten er haben möchte und welche lieber nicht. Ganze Ökosysteme lassen sich von nun an umgestalten.
Ich bin von Ecuador nach Kalifornien geflogen. Hier arbeiten Forscher, die meinen Wunsch wahr machen könnten. Auf dem Campus der Universität Riverside ist die trockene Hitze kaum zu ertragen. Bis zur Mojave-Wüste, einem der heißesten Orte der Welt, ist es nicht weit. Mücken leben hier nur an einem Ort - versteckt im Labor des jungen Professors Omar Akbari. Er baut gerade sein Team auf und hat ein modernes Insektarium eingerichtet:
"Wie Sie sehen, haben wir zwei selbstschließende Türen eingebaut und betreten jetzt den ersten Raum. Die Türen bestehen aus rostfreiem Stahl und sind absolut dicht, so dass keine Insekten heraus oder hinein kommen."
CRISPR/Cas könnte ganze Mücken-Arten ausrotten
Durch die neue CRISPR/Cas9-Technik lassen sich ganze Insekten-Populationen genetisch manipulieren
Durch die neue CRISPR/Cas9-Technik lassen sich ganze Insekten-Populationen genetisch manipulieren (imago stock&people)
Hinter der zweiten Tür lauert einer der größten Feinde der Menschheit: Aedes aegypti. Frei übersetzt: Die Unangenehmen aus Ägypten. Genannt auch Gelbfiebermücke, Dengue-Mücke oder Ägyptische Tigermücke. Leicht zu erkennen an den hellen Streifen. Akbari:
"Ich puste nur ein wenig CO2 in diesen Kasten hinein. Nur ein wenig. Und schon kommen die Moskitos in Fahrt.
Sehen Sie? Die weiblichen Tiere halten Ausschau nach einer Blutmahlzeit. Sie reagieren auf das CO2 in der Atemluft. Sie wollen mein Blut."
Eine Mücke hat den Kasten verlassen. Irgendwie ist sie durch das umgebende Netz in den Raum gelangt. Für solche Fälle hat Omar Akbari einen Moskito-Zapper - eine Art Mini-Tennisschläger mit elektrischer Bespannung:
"Wenn eine Mücke im Raum herumfliegt, erhält sie mit dem Zapper einen Elektroschock. So, jetzt ist sie tot und liegt auf dem Boden."
Insgesamt neun größere Kästen hat Omar Akbari in seinem Insektarium aufgebaut. Darin hunderte Mücken. Hier testet der Wissenschaftler eine neue Superwaffe. Er spritzt unter dem Mikroskop Gene in die winzig kleinen Eizellen der Mücken. Sie sind mit bloßem Augen gerade eben zu sehen.
Neu daran: Wenn er eine Mücke genetisch verändert, so gibt sie diese Erbanlage bei der Fortpflanzung an den gesamten Nachwuchs weiter. Nicht nur ab und zu nach dem Zufallsprinzip wie in der Natur üblich, sondern immer. Später im gut klimatisierten kleinen Büro bei einem großen Becher Tee erklärt mir Omar Akbari das Prinzip:
"Es ist eine Technologie, mit der wir die Mendelschen Regeln austricksen. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung vererbt sich ein Gen normalerweise auf die Hälfte der Nachkommen. Viele Gene verschwinden dabei wieder. Gene Drive sorgt nun aber dafür, dass alle Nachkommen dieses besondere Gen erhalten. Erbanlagen breiten sich damit explosionsartig in der ganzen Art aus. Wir können so eine Spezies vernichten oder dieser Spezies eine gewünschte genetische Eigenschaft verleihen."
Gene Drive bedeutet so viel wie "Gen-Antrieb" oder "Gen-Schwung". Ein deutsches Wort dafür gibt es noch nicht. Mir gefällt am besten der Begriff "Gen-Turbo". Denn Gene Drive verleiht Genen zusätzliche Kraft und sorgt dafür, dass sie sich schnell und gründlich verbreiten. Geradezu explosionsartig. Man könnte auch martialisch sagen: Es handelt sich um eine "Gen-Bombe".
Denn die möglichen Auswirkungen sind gewaltig. Gene Drive könnte so eingesetzt werden, dass die weiblichen Tiere nach und nach aussterben und nur die männlichen überleben. Wenn Millionen Männchen über immer weniger Weibchen herfallen, bricht die Population schließlich zusammen. Andere Konzepte setzen bei der Fruchtbarkeit der Tiere an. Wenn die Fortpflanzung gestört wird, sind die Tiere dem Untergang geweiht.
Die Gene-Drive-Idee ist nicht neu. Seit Jahrzehnten haben Forscher immer wieder versucht, den Turbo zu starten oder die Bombe zu zünden. Aber die Methoden waren kompliziert, die Erfolge dürftig und wenig überzeugend. Erst nach 2012 änderte sich alles mit einem neuen Gentechnik-Verfahren namens CRISPR/Cas9, erklärt Akbari:
"Heute sprechen wir ganz anders über Gene Drive. CRISPR/Cas lässt uns das Konzept mit neuen Augen sehen. Bisher fehlte das Werkzeug. Aber jetzt können wir ganz einfach einen Kopierapparat für Erbmaterial in lebende Organismen einbauen und so viele zuvor gescheiterte Ideen umsetzen. Wir verändern nicht mehr einzelne Lebewesen sondern ganze Populationen."
Die neue Technik funktioniert so: CRISPR ist eine Art Sucher, bestehend aus dem Biomolekül RNA, der jede Stelle im Erbgut gezielt aufspürt. Das Enzym Cas9 arbeitet wie eine Schere. Es schneidet das Erbmaterial genau dort, wo CRISPR es hinführt. Nahezu jedes Gentechnik-Labor nutzt heute diesen CRISPR/Cas-Werkzeugkasten, auch Omar Akbari.
Indem er seine Mücken mit CRISPR/Cas verändert, startet er den Gen-Turbo. Er manipuliert die Eizellen der Mücken, und dann geht es los:
"Nach der Befruchtung geschieht folgendes: Die manipulierte Eizelle produziert als erstes die Werkzeuge. Der CRISPR-Sucher führt die Cas9-Schere an eine bestimmte Stelle im Erbmaterial der anderen Keimzelle, in diesem Fall der Samenzelle. Dort wird der DNA Doppelstrang zerschnitten und damit ein natürliches Gen zerstört. Zum Beispiel ein weibliches Fruchtbarkeitsgen.
An seine Stelle baut die Kopiermaschine eine Kopie ihres eigenen Bauplans ein. Nun besitzen beide Chromosomensätze im Embryo - der von der Mutter und der vom Vater - den Gen-Turbo. Die Vererbungsrate für den Turbo beträgt nicht 50 sondern über 99 Prozent. Beeindruckend."
Langsam verstehe ich: Eine genetische Kopiermaschine, die sich selbst kopiert. Und zwar immer an die gleiche Stelle. Eine Position im Erbgut, die in jedem Individuum einer bestimmten Spezies vorkommt. Dort zerstört oder verändert sie ein natürliches Gen. Gene Drive verbreitet sich selbst bei jeder Fortpflanzung und schwächt zugleich die biologische Spezies, in der es sich vermehrt. Genial.
Auf die Idee kam der junge Professor Omar Akbari durch einen Artikel im Wissenschaftsmagazin Science. Dort berichteten Entwicklungsbiologen aus San Diego über eine genetische Kettenreaktion bei Fliegen. Omar Akbari hatte sein Forschungsthema gefunden.
Mit der mutagenen Kettenreaktion kann das Erbgut aller Nachkommen manipuliert werden
Hinter dem Fachartikel steckte die Arbeitsgruppe von Ethan Bier. Er forscht an der Universität von Kalifornien in San Diego - gerade einmal zwei Stunden Autofahrt von Riverside entfernt. Richtung Pazifik. Mein nächstes Ziel. Ich treffe Ethan Bier in seinem kleinen Büro mit einem Kakadu auf der Schulter.
Das schlaue Kerlchen hat bereits ein ordentliches Loch in das T-Shirt des Professors gepickt. Ein eigenwilliger Vogel.
Ethan Bier ist Tierfreund. Vögel mag er lieber als Insekten. Als Forschungsobjekt hat er eine kleine Fruchtfliege gewählt: "Drosophila melanogaster". Zu Deutsch: Die tauliebende Schwarzbäuchige:
"Kleine Kerlchen. Die Sorte Fliegen, die Sie auch im Supermarkt auf einer Ananas finden."
Im Labor gibt es nur tote Fliegen oder Eizellen. Die Tiere vermehren sich woanders: In einem abgesicherten Spezialgebäude. Für mich verboten. Denn dort besitzen manche Fliegen einen genetischen Turbo. Eine Fliege, die den Raum verlässt, könnte mit ihren Genen die Welt erobern:
"Wir verwenden Plastikröhrchen in einer Kiste in einer Kiste in einer Kiste. Und die stehen in einem Hochsicherheitsgebäude auf der anderen Seite des Campus. Sie müssen durch fünf gesicherte Türen, um dort hinein zu gelangen. Ein sehr sicherer Ort."
Das Team um Ethan Bier hatte mit Gene Drive eigentlich nichts im Sinn. Die Entdeckung war Zufall, und das kam so: Wie in vielen anderen Labors der Welt probierte Ethan Biers Doktorand Valentino Gantz 2014 den neuen Gentechnikbaukasten CRISPR/Cas9 aus, berichtet Bier:
"Valentino hatte die Idee, das Erbgut der Fliegen so zu verändern, dass stets beide Partner-Chromosomen, das mütterliche und das väterliche, die gleiche genetische Veränderung tragen. So liegt jede Genveränderung im Erbgut doppelt vor und kommt im Lebewesen immer zum Vorschein. Das erleichtert die Forschung, wenn beide Chromosomen stets den gleichen Zustand haben."
Was zuvor unmöglich oder schwierig war, gelang mit CRISPR/Cas9 problemlos. Bald trugen beide Partner-Chromosomen also die gleiche Erbinformation. Dass auf einen Schlag auch alle Nachkommen der Fliegen manipuliert waren, wurde den Forschern erst später klar. Als sie sahen, dass alle Fliegen im Kasten nach ein paar Wochen rote Augen hatten, stand ihnen der Mund offen. Sie nannten diesen Vorgang: Mutagene Kettenreaktion. Fast wie die atomare Kettenreaktion, denke ich. Einmal ausgelöst, nicht mehr zu stoppen. Mit der Kettenreaktion im Atomreaktor habe das nichts zu tun, beschwichtigt Ethan Bier, aber Saki, der Kakadu, ist ganz aufgeregt:
"Die mutagene Kettenreaktion ist benannt nach der Polymerase-Kettenreaktion PCR. Ein Laborverfahren, mit dem sich DNA beliebig vervielfältigen lässt. Und jetzt haben wir einen genetischen Kopierer in lebende Organismen eingebaut. Also nach PCR jetzt MCR, das war die Idee."
Den Begriff "Gene Drive" verwendeten Valentino Gantz und Ethan Bier zunächst nicht. Aber ihnen wurde bald klar: Sie hatten eine Idee verwirklicht, die andere Forscher seit Jahrzehnten umtrieb:
"Wenn eine blonde Person eine dunkelhaarige heiratet, dann sind normalerweise alle Kinder dunkelhaarig, denn das Gen für dunkle Haare ist dominant. Erst in der folgenden Generation treten wieder einzelne blonde Kinder auf. Das besagen die Mendelschen Regeln. Durch die Kettenreaktion sind plötzlich alle Nachkommen blond, in der ersten Generation, in der zweiten und so weiter. Alle blond. Für immer."
Gene Drive verleiht Genen Schwung. Einzelne Gene werden mächtig und beseitigen die genetische Vielfalt der Natur. Einmal losgelassen sind sie nicht mehr aufzuhalten.
"Auch wenn die Leute Moskitos nicht mögen, sie sind eine Form des Lebens auf der Erde"
Helfer mit Gasmasken laufen durch die Straßen von Sao Paulo.
Helfer der WHO in São Paulo nach dem Ausbruch der Zika-Epidemie im Februar 2016. Für die WHO geht es bei der Eindämmung von durch Mücken übertragener Epidemien um nicht weniger als die Zukunft der Welt. (Imago/Xinhua)
Meine Gedanken schweifen ab. Ich stelle mir vor, wie hunderte Mücken - freigelassen aus einem Kasten am Ufer - über dem Cuyabeno-Fluss schwirren. In ihrem Innern tickt eine Zeitbombe. Ihre Erbanlagen verbreiten sich von Generation zu Generation wie eine Seuche, erobern die Region, das Land, den Kontinent und schließlich die Welt. Kettenreaktion. Und dann: Buff. Das Ende der Spezies, vorprogrammiert.
"Ist die Menschheit reif für diese Verantwortung?" fragt sich auch Ethan Bier. Er weiß: Gene Drive könnte helfen, Krankheiten wie Malaria oder Zika zu besiegen. Die Kettenreaktion könnte Millionen Menschenleben retten. Und dennoch sei es keine einfache Entscheidung für ihn, sagt er zum Schluss unseres Gespräches:
"Auch wenn die Leute Moskitos nicht mögen, sie sind eine Form des Lebens auf der Erde. Und ich persönlich sehe das so: Wir Menschen haben zwar schon unzählige Arten ausgerottet. Aber das ist genau die Form der menschlichen Arroganz, mit der ich nichts zu tun haben möchte."
Lieber würde Ethan Bier eine für den Menschen gefährliche Art genetisch entschärfen, statt sie auszurotten. Manipulation statt Vernichtung. Auf der Suche nach Konzepten nahm er Kontakt auf mit dem führenden Mückenspezialisten Kaliforniens: Anthony James. Ich besuche ihn in einem Laborgebäude auf dem weitläufigen Universitätscampus von Irvine, einer Stadt am Rande des Ballungsraumes Los Angeles:
"Wahrscheinlich leben mehr Mücken in meinem Labor als in der ganzen Stadt."
Tatsächlich: Hinter der ersten Sicherheitstür schwirren bereits einige herum. Den Tieren ist es anscheinend gelungen, ihre Mückengefängnisse zu verlassen. Irgendwie sind sie durch die erste Tür in den Arbeitsraum gelangt.
Hinter der zweiten Tür ist es schwül und laut. Tausende Moskitos - zum Teil in leeren Kaffeebechern, umzogen von feinen Netzen - oder in größeren ehemaligen Popcorn-Schachteln. Anthony James nimmt eine Schachtel aus dem Regal. Die Mücken sind etwa fünf Millimeter groß. Sie gehören zur Gattung "Anopheles". Auf Deutsch: Die Nutzlosen. Einige davon - Anopheles gambiae und Anopheles stephensi - sind bekannt als Malaria-Überträger. Aber die Tiere im Labor sind garantiert malariafrei, versichert der Herr der Mücken:
"Wenn Sie Moskitos untersuchen, finden Sie einige Gruppen, die den Malaria-Erreger gut übertragen, und andere, die das weniger gut tun. Indem wir ihre Genetik erforschten, fanden wir Gene, die sich stark auf diese Fähigkeit zur Krankheitsübertragung auswirken."
Bei seinen Wissenschaftlerkollegen genießt Anthony James höchstes Ansehen. Seit über 30 Jahren verfolgt er hartnäckig ein Ziel: Die Bekämpfung der Malaria-Überträger. Lange Zeit war es schwierig für ihn, an Forschungsgelder zu kommen. Aber er machte weiter. Und es gelang ihm schließlich, Moskitos zu züchten, die den Malariaerreger nicht übertragen konnten. In Großversuchen in Mexiko setzte er die Tiere frei. Sie sollten die krankheitsübertragenden Artgenossen verdrängen:
"Alles sprach dafür. Es hätte funktionieren müssen. Aber vieles erwies sich als komplizierter als gedacht. Dann kam CRISPR/Cas, und wir änderten unseren Plan. Und auf einmal ging es ganz schnell."
James' Mücken besaßen Gene, mit denen sie sich gegen Malaria-Erreger wehren konnten. Was noch fehlte, war eine Methode zur zuverlässigen Verbreitung dieser Gene in der Mückenwelt. Mit Hilfe der Kollegen aus San Diego erhalten die Anti-Malaria-Gene jetzt den notwendigen Schwung:
"Wir haben das System ausgetrickst - und CRISPR/Cas9 so programmiert, dass die Schere an einer bestimmten Stelle der Mücken-DNA schneidet und an dieser Stelle einen Gene Drive installiert. Außerdem bieten wir Gene an, die die Übertragung von Malaria verhindern. Diese Gene baut das Reparatursystem der Zelle ebenfalls an dieser Stelle ein - auf beiden Chromosomen."
Die Alternative zur Ausrottung: Durch Genveränderung das Abwehrsystem der Mücken stärken
Eine weibliche Gelbfiebermücke saugt menschliches Blut.
Überträgt haufenweise Krankheiten: die Gelbfiebermücke. (picture alliance / dpa / James Gathany / CDC)
Anopheles darf überleben, wenn auch genetisch verändert. Die neue Eigenschaft, das Abwehrsystem gegen Malaria, vererbt sich als Kettenreaktion - Übertragungsrate über 99 Prozent statt 50 Prozent. Im Labor funktioniert es. Anthony James sieht die Verwirklichung seines Lebenstraumes näher rücken. Er hofft, durch seine Forschung der Menschheit einen Dienst zu erweisen. Ein Ökologe sieht das möglicherweise anders, denke ich, und fahre zurück nach Riverside.
Auf dem Campus der Universität ist es noch immer brütend heiß. In der Hitze der letzten Tage seien sogar die Blattläuse tot vom Baum gefallen, erzählt mir Mark Hoddle bei einer Tasse Tee. Der Zoologie-Professor leitet das Zentrum zur Erforschung invasiver Arten in Kalifornien:
"Für Kalifornien sind invasive Arten ein ernsthaftes Problem. Wir haben jetzt ermittelt: Jedes Jahr lassen sich neun neue Tierarten hier nieder. Viele davon Insekten. 20 Prozent entwickeln sich zu Schädlingen - in der Landwirtschaft, aber auch in der freien Natur, wo der Mensch nicht eingreift."
Nur zu gerne würde Mark Hoddle einige der eingewanderten Schädlinge wieder los. Und was in Kalifornien Blattläuse sind, sind weiter südlich - in Mittel- und Südamerika, aber auch bereits in Florida - Mücken der Gattungen Anopheles oder Aedes.
Ursprünglich stammen diese Mücken aus Afrika. Sie in Amerika auszurotten wäre nicht nur Menschenschutz, sondern praktizierter Naturschutz. Insofern für Mark Hoddle kein Problem. Was ihn hindert zu jubeln, ist die Methode zur Mückenbeseitigung. Die Gentechnik:
"Das klingt nach einer großartigen Idee. Und im Labor funktioniert alles bestens. Das Problem beginnt, wenn die genveränderten Moskitos in die Umwelt entlassen werden. Dann sind sie der Konkurrenz der wilden Mücken ausgesetzt."
Tatsächlich brachten erste Freisetzungsversuche mit genveränderten Mücken bisher nur Teilerfolge. Malariafreie Mücken verbreiteten sich eine Zeitlang gut, um dann von Malaria-Überträgern, die von außen in die Versuchsregion zuwanderten, wieder verdrängt zu werden. Die Gentechnik-Mücken seien einfach nicht konkurrenzfähig. Daran werde auch der Gene Drive nichts ändern, meint Mark Hoddle:
"Der wirkliche Test findet im Freiland statt. Bevor große Freilandversuche stattgefunden haben, lässt sich nicht vorhersagen, was geschehen wird. Erst dann wird sich zeigen, ob die neuen Mücken wirklich die Wildtyp-Populationen verdrängen können."
Der Gen-Turbo soll ja die fremden Gene verbreiten, wende ich ein. Jede von außen eindringende Mücke würde durch die Kettenreaktion ebenfalls verändert. Ich wüsste gerne: Was wäre wenn? Wie könnte sich die Ausrottung einzelner Mückenspezies auf ihre Fressfeinde auswirken? Was, wenn Gene Drive fremde Gene über den Ozean bis zur Mückenheimat nach Afrika treibt? Dann wäre eine heimische Population betroffen. Alles Fragen, die Mark Hoddle nicht beantworten kann oder will. Ich muss einsehen: Gene Drive ist zu neu. Bisher hat sich noch niemand wissenschaftlich mit möglichen ökologischen Folgen beschäftigt.
Ganz ähnlich war es mir zuvor bei Anthony James ergangen. Freundlich beantwortete er alle Fragen, aber spekulieren mochte James nicht:
"Irgendetwas Biologisches spielt möglicherweise noch hinein, das die Verbreitung der Gene aufhalten könnte. Die Versuche im Labor und die Modelle im Computer sagen: Es funktioniert sehr gut. Jetzt müssen wir größere und längere Experimente machen. Von etwas sehr Kleinem zu etwas Großem."
Was mit den Gene-Drive-Genen in der freien Natur passiert, ist schwer abzusehen
Was im Labor sehr schnell ging, wird im Freiland Jahre dauern. Von kleinen zu großen Kisten. Dann zu sehr großen, mit Netzen abgeschlossenen Freilandkäfigen. Und irgendwann: Die Freisetzung auf einer kleinen Insel, später auf einer größeren Insel, vielleicht Hawaii. Erst dann wird man wissen, wie sich die Artenzusammensetzung verändert. Werden andere Insekten einwandern? Werden Vögel, Amphibien und Fische neue Beutetiere finden? Und so weiter. Und noch eine Frage stellt sich: Was geschieht mit den Gene-Drive-Genen, wenn sie auf andere Arten überspringen? Für den Mückenspezialisten Anthony James gibt es viele Eventualitäten zu bedenken. Und einige hat er schon bedacht:
"Wenn wir CRISPR/Cas maßschneidern für eine Mücken-Spezies, und die Gene gelangen irgendwie zufällig in einen Schmetterling. Dieser so genannte horizontale Gentransfer ist wirklich extrem selten. Aber selbst wenn es geschieht, kann der Schmetterling mit diesen artfremden Genen nichts anfangen, und das ist das Ende der Geschichte. Die Bedenken zum horizontalen Gentransfer sind meines Erachtens unbegründet."
Anthony James wirkt nachdenklich. Er gibt zu, dass er nicht alles vorhersagen kann. Dennoch will er es versuchen. Es geht um sein Lebenswerk, die Bekämpfung der Malaria und anderer Krankheiten, die von Mücken übertragen werden. Natürlich würde er gerne so viel wissen wie möglich, bevor es losgeht. Er und andere Forscher haben die Fachwelt immer wieder zur Diskussion aufgefordert. Aber es bleibt ruhig in der Forscherszene. Nur wenige melden sich zu Wort.
Wissenschaftler aus Boston und auch das Team aus San Diego haben inzwischen Konzepte zu einer Art Rückwärts-Gene-Drive entwickelt. Die Idee: Wenn die Kettenreaktion außer Kontrolle gerät, dann muss es eine andere Kettenreaktion geben, die sie stoppen kann. Ein Anti-Gene-Drive, eine Art Gegengift. Anthony James ist nicht überzeugt:
"Wenn mein erster Eingriff nicht so funktioniert wie erwartet, sollte ich dann einen weiteren ähnlichen Eingriff vornehmen? Wird der dann das tun, was ich erwarte? Wenn ich die erste Kettenreaktion nicht richtig durchblickt habe, sollte ich besser keine zweite lostreten. Lieber vorsichtig sein, und zur Not mit Insektiziden eingreifen. Viel wichtiger ist gute Vorbereitung. Wir dürfen nicht zu schnell fahren, wenn wir nicht wissen, was kommt."
Abends im Motel denke ich zurück an die Nächte im Cuyabeno-Naturreservat. Absolute Dunkelheit. Kein künstliches Licht. Dafür steckt der Wald dort voller Geräusche. Das Sirren der Moskitos gehört irgendwie dazu. Eine Welt ohne Stechmücken wäre sicherer, aber auch ärmer. Natur als Freizeitpark. Wildnis ohne Zähne, will ich das wirklich?
Mit Gene Drive lässt sich kein Geld verdienen
Ein Gesundheitsarbeiter besprüht am 25.4.2003 eine Wohnhütte in Jozini in einem Malariagebiet in Südafrika mit dem Insektizid DDT ein.
Die Mückenbekämpfung durch Insektizide wie hier mit DDT in Südafrika ist deutlich profitabler für die Industrie als eine nachhaltige Lösung durch Gene Drive - unabhängig von allen begründeten Zweifeln an der Genmanipulation (epa/afp/Alexander Joe)
Wann der erste Gene Drive in der Natur zum Einsatz kommt, ist völlig offen. Neben den Forschern aus Kalifornien drängen auch Wissenschaftler der Harvard-University in Boston und vom Imperial College London Richtung Praxis.
Für Anthony James bleiben zwei Probleme. Zum einen: Die Finanzierung. Die Industrie hat kein Interesse am Gene Drive. Damit lässt sich kein Geld verdienen - im Gegensatz zu Malariamedikamenten oder Insektengiften. Der Wissenschaftler verhandelt deshalb mit der Weltgesundheitsorganisation WHO. Außerdem braucht er die Zustimmung der Menschen in den betroffenen Regionen:
"Es gibt Leute, die sagen: Es ist wichtig die Art in ihrer ursprünglichen Form zu erhalten. Aber, wenn Sie in einem Land leben, wo Malaria oder Gelbfieber jedes Jahr tausende Menschen tötet, würden sie anders denken. Können wir den Betroffenen wirklich die Technik vorenthalten? Hier geht es um eine Abwägung von Werten. Wir liefern Werkzeuge, und die Menschen vor Ort müssen entscheiden. Ich werde diese Entscheidung nicht für sie treffen."
Wer soll entscheiden? Auf dem Heimflug lese ich das Zitat eines anderen Forschers, Kevin Esvelt von der Harvard-University. Er formuliert es so: "Unsere Gesellschaft war noch nie mit einer Technologie konfrontiert, die in so einem Maße alle und jeden betrifft."
Es sprachen: Bernhard Schütz und Karim Chérif
Ton: Ralf Perz
Regie: Friederike Wigger
Redaktion: Christiane Knoll
Produktion: Deutschlandfunk 2016