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Die Gene, die Sterne, die Erziehung

Wann wurde zum ersten Mal das Streben nach Perfektionismus beobachtet? Bei Adam und Eva, sagt Professor Wilhelm Gräb:

Von Jens Rosbach |
    In der Bibel, in der christlichen Religion, wird davon erzählt, dass Gott die Welt geschaffen hat, und dann sagte er: Siehe, es war sehr gut. Es war alles perfekt. Auch die Menschen, die er gemacht hatte, waren perfekt. Bis es zum Sündenfall kam. Und wie kam es zum Sündenfall? Dadurch, dass die rein und frei lebenden Menschen Adam und Eva gefragt wurden, ob sie denn sein wollten wie Gott. Als sie bewusst perfekt werden wollten, da begann das Unglück der Menschheit.

    Gräb ist Theologe und nach theologischem Verständnis verstärkte sich das Perfektionsstreben nach der Vertreibung aus dem Paradies. Über Jahrtausende hinweg träumte der Erdenbürger noch vom Garten Eden und bat Gott, die Welt dahingehend zu verbessern. Doch dann - im 19. Jahrhundert - kam die "sündhafte" Aufklärung:

    Und dort ist eben genau dies passiert: dass man die Vollkommenheit, den vollkommenen Zustand auf Erden nicht mehr Gottes Sache hat sein lassen, sondern zur Aufgabe und zum Ziel menschlichen Handelns erklärt hat. Nun sollten die Menschen sozusagen das Paradies auf Erden, den neuen Menschen, die neue Welt durch ihr eigenes Leisten hervorbringen.

    Bilanz der "Kurzpredigt":

    Weil wir aus unserem Grundverhältnis zu Gott hinausgetreten sind, weil wir dieses Grundverhältnis verloren haben, daher rührt dieses unbändige Perfektionsverlangen.

    Was sagen die Psychologen, genauer die Psychoanalytiker, warum man oder frau häufig bis zum Umfallen nach Leistung strebt - gerade am Arbeitsplatz? Anne Springer, Psychotherapeutin:

    Jemand will ein ganz besonders guter und wirklich perfekter Chef sein. Damit andere Seiten, die abgewehrt werden sollen - ich hab keine Lust dahin zu gehen, ich habe Angst vor meinen eigenen Vorgesetzten und ich habe Angst vor dem Personal und fühle mich manchmal meiner Aufgabe nicht gewachsen -, damit das nicht zum Vorschein kommt, wird besonders auf Perfektionismus im Äußeren, in der Sprache, in der Selbstdarstellung und im Leistungsvollzug geachtet. Es ist die Angst vor der Ohmacht, die Angst vor der Schwäche, die Angst vor dem Zusammenbruch, die Angst vor einer enormen Beschämung.

    Psychoanalytiker suchen die Ursachen einer Krankheit gerne in der Kindheit. Und bei Perfektionspatienten stoßen sie häufig auf eine übermäßig strenge Erziehung: Vater und/oder Mutter waren zwanghaft ordentlich, penibel und fleißig. Das wird dann vom artigen Kind übernommen.

    Es gibt auch das Reaktive: Ich muss besonders perfekt und fleckenlos sein, wenn Sie in einer sehr chaotischen Umgebung aufgewachsen sind, egal in welcher Weise chaotisch: beziehungsmäßig oder mit sehr verwirrenden Botschaften ausgestattet worden sind, dann haben sie vielleicht das Gefühl, es ist lebensnotwendig sich im weiteren Lebenslauf dringend davon unterscheiden zu müssen und dann werden sie vielleicht ganz besonders perfektionistisch.

    Gibt es nun neben dem Gottesverlust und der Erziehung nicht auch Anlagen, die das Vollkommenheitsstreben fördern - gar ein Perfektionismus-Gen?

    Darauf würde ich antworten, dass wir das so nicht finden,

    bilanziert der Genetiker Professor Ullrich Kleeberg,

    sondern dass sich die menschlichen Anlagen sowohl auf psychischer wie auf physischer Seite aus einer Komposition von Anlagen zusammensetzen und somit eine optimale oder perfekte Partitur bieten.

    Spitzensportler brauchen unter anderem einen guten Gen-Mix, um hoch springen und schnell laufen zu können. Musiker benötigen gute Anlagen für ein empfindliches Gehör und große Denker benötigen sie für eine stark differenzierte Hirnoberfläche.

    Wenn wir jetzt auf die negative Ausdrucksweise des Perfektionismus gehen, dann müssten wir schon sagen, das ist nicht mehr nur genetisch bedingt, sondern mehr durch Umwelteigenschaften so herausgefordert, dass es zu einer negativen Überausprägung kommt. Aber mehr durch die Umweltverhältnisse, die es dann schon zu eine psychopathologischen Eigenschaft machen.

    Der Aufklärung, die Erziehung, die Angst, die Umwelt - erklären die Experten. Wobei sie zuweilen selbst ihr eigenes Forschungsobjekt sind. Noch einmal Wilhelm Gräb:

    Ich muss auch von mir sagen, dass ich ein richtiger Leistungsmensch bin und mich eigentlich permanent unter Druck setze, das Beste hervorzubringen.