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Die Gentherapie im Aufwind

Medizin. - Vor zehn Jahren galt die Gentherapie als wichtigster Hoffnungsträger der Medizin. Man glaubte, durch das gezielte Einschleusen von Genen in kranke Zellen fast alle Krankheiten heilen zu können. Heute - über tausend klinische Studien später - ist die Euphorie verflogen. Die Zahl der Erfolge blieb bislang gering, und einige spektakuläre Fehlschläge schadeten dem Ruf der Gentherapie. Auf einer Tagung der königlich-britischen Gesellschaft für Medizin in London gab es aber auch wieder positive Nachrichten.

Von Michael Lange |
    Gute Nachrichten aus London: Sieben Kindern mit einer schweren Krankheit des Immunsystems konnte mit einer Gentherapie geholfen werden. Diese so genannten SCID-Kinder müssen vor der Umwelt vollständig abschirmt werden. Jede Virusinfektion kann für sie tödlich sein. Nun aber leben alle sieben zu Hause ohne besondere Schutzmaßnahmen. Die Gentherapie hat geholfen, ihr Immunsystem wieder aufzubauen. Nebenwirkungen wurden bislang nicht beobachtet. Ohne Zweifel, ein Erfolg. Die Zahl der Patienten, denen nachweisbar durch eine Gentherapie geholfen wurde, steigt damit auf etwa zwanzig.

    Christof von Kalle von der Universität Freiburg arbeitet mit den Londoner Gentherapeuten zusammen. Er untersucht die genetischen Veränderungen in den Blutzellen der Kinder. Ein Ergebnis: Die Zahl der Gene, die erfolgreich in die Zellen eingeschleust wurden, konnte gegenüber früheren Versuchen deutlich gesteigert werden.

    " Der Nebenwirkungsbereich wird dadurch zunehmend wichtiger, weil man früher nur in seltenen Fällen solche Zellzahlen bei einem Patienten modifiziert hat."

    Also durch das Einschleusen fremder Gene verändert hat.

    " Heute mit den effizienteren Verfahren ist das bei sehr viel mehr Patienten der Fall, so dass auch das Potential, dass Nebenwirkungen auftreten können, für jeden einzelnen Patienten höher ist. Also die Erfolgsaussicht, aber auch die Aussicht auf Nebenwirkungen haben sich beide gesteigert."

    Um so wichtiger ist es, das Schicksal der eingeschleusten Gene zu verfolgen. In wie viele Zellen des Patienten sind sie gelangt? An welcher Stelle im Erbgut wurden sie in das zelleigene Genom eingebaut?

    " Bis vor einiger Zeit hat man angenommen, dass das ziemlich zufällig erfolgt. Das ist, als wenn man das Telefonbuch durchblättert und dann zufällig auf einen bestimmten Namen zeigt."

    Für den Einbau in das Erbgut sorgen Viren. Sie dienen den Gentherapeuten nach wie vor als wichtigste Genfähren, so genannte Vektoren.

    Christof von Kalle hat ein Verfahren entwickelt, mit dem er die Stellen im Erbgut auffinden kann, an denen die Viren ihre Fracht abgeladen haben; wo sie das therapeutische Gen ins Erbgut eingebaut haben. Dort findet er Überreste der Transporter. Und dann schaut er sich diese Region genauer an.

    " Die Zelle öffnet bestimmte Bereiche des Genoms, um die Information für diese Programme abzulesen. Und es ist offensichtlich so, dass die durch Viren hervorgerufenen Veränderungen in diesen geöffneten Genombereichen passieren."

    Aktiv ist das Genom aber immer dort, wo aktive Gene liegen - also einzelne Erbanlagen. Durch die Vorliebe der Viren für solche Regionen, ist das Risiko ein Gen zu treffen dreimal höher als beim Zufallsprinzip. Meist hat dies keinerlei Folgen. Es kann aber in Einzelfällen gefährlich werden. Wenn etwa ein Virus das Gen an einer ungünstigen Stelle ins Erbgut einbaut, dann kann es geschehen:

    " Dass von den vielen tausend Zellen, die da behandelt werden, eine eine genetische Veränderung erfährt, die sie zum Wachstum bringt. Und damit ist dann eine der Voraussetzungen gegeben, dass eine Zelle als Krebs entarten kann. Nämlich, dass sie ein gesteigertes Wachstum gegenüber ihrer Umgebung hat."

    Genau das ist bei Gentherapieversuchen in den letzten Jahren in Paris passiert. Bei drei von 11 Kindern, ebenfalls mit einer Immunschwäche, die dort behandelt wurden, ist eine Leukämie entstanden. Verursacht durch die Gentherapie. Zwei der Kinder sind inzwischen über den Berg.

    Dieses hohe Risiko bei der Gentherapie ist bislang nur zu verantworten, wenn das Leben der Patienten ohnehin bedroht ist, wie bei den Kindern, deren Immunsystem nicht funktioniert.

    In Zukunft soll das Risiko aber kleiner werden. In den Labors arbeiten die Wissenschaftler an einer Genfähre, die sich nach getaner Arbeit selbst auflöst. So soll verhindert werden, dass die Viren im Erbgut Schaden anrichten.

    Die Gentherapie wird also weiter langsam verbessert. Von einem Durchbruch oder einer Revolution der Medizin redet heute niemand mehr. Aber die Hoffnung auf bessere Heilverfahren in fünf, zehn oder 15 Jahren, die haben die Wissenschaftler längst noch nicht aufgegeben. Im Gegenteil: Es gibt wieder Hoffnung.