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Die "Gerda" rollt und stampft

Der Frachter "Gerda fährt von einem Terminal zum nächsten, um Container aufzusammeln. Auch Passagiere haben die Möglichkeit, auf Frachtschiffen mitzufahren. Anders reisen, das ist für viele die Motivation, auf einem Frachtschiff mitzufahren. Richtig Spaß haben wird aber nur derjenige, der gleichermaßen Geduld und Spontaneität mitbringt.

Von Maria Riederer |
    " Take off the sternline, we have to go 30 meters back - Mann, die Idioten! "

    Kapitän Gerd Gluth ist sauer. Seit fast 24 Stunden liegen wir nun schon im Hamburger Hafen. Der Hafen ist so groß wie eine Kleinstadt, und unser Frachter, die Gerda muss alle paar Stunden von einem Terminal zum nächsten fahren, um Container aufzusammeln. Und jetzt soll der Kapitän auch noch in einem mühseligen Manöver 30 Meter zurücksetzen, weil eine Ladebrücke defekt ist.

    " - Slowly - hold the headline!"

    Eigentlich wollten wir schon seit 12 Stunden Richtung Norden unterwegs sein. Aber bei der Reisevermittlung unseres Vertrauens hatte man uns schon gewarnt - "Frachtschiffe sind nicht die Bundesbahn!" Das bestätigt auch der Kapitän.

    " Die Seefahrt mit genauer Zeit ist immer... Abfahrtszeiten sollen zwar genau sein, aber da kann man nie ne genaue Zeit sagen. "

    Der Passagier sollte allerdings pünktlich an Bord sein. Wenn er zu spät kommt und das Schiff will weg, dann hat er schlechte Karten.

    " Dann ist das Pech für den Passagier, er hat sich eben an die Zeiten zu halten, die ihm gegeben sind, und wir können leider keine Rücksicht nehmen und warten. Wenn Auslaufzeit ist, ist Auslaufzeit."

    Wer mit dem Frachtschiff reisen will, braucht gleichermaßen Geduld und Spontaneität. As ist nicht gerade die Stärke meines Vaters, aber weil er sich diese Reise schon seit so vielen Jahren wünscht, nimmt er die Verzögerung und das lange Ausharren im Hafen tapfer hin.

    " Wenn man wenigstens bequem runter kommen könnte, dann könnte man in die Stadt fahren, aber das ist auch schwierig, und man weiß ja nie, wann er führt, wann er wirklich fährt. Gut - es heißt 5.00 Uhr, aber in Wirklichkeit fährt er vielleicht doch schon um 4

    Ja, oder erst um 11

    Oder erst um 11 - und wir wissen nicht, wo er dann ist. Jedenfalls gibt es sicher ein Dutzend Terminals wo er gerade liegen könnte, oder wo sie gerade liegen könnte - die Gerda. Jetzt könnte man vielleicht, damit die Zeit besser vergeht, Scrabble spielen..."

    Wer den ersten Tag auf einem Frachter verbringt, bleibt allerdings nicht lange in seiner Kammer. Man könnte ja etwas verpassen. Die Ladearbeiten im Hafen sind lärmintensiv - aber auch spannend.

    "- Wie heißen diese komischen Vierecke, die hier rumfahren?
    Straddle-Carrier - Container Carrier die kleinen und die mit den Rädern, die hohen, das sind Straddle-Carrier.... Jetzt sieht man auch, wie so ein Container hochgezogen wird."

    Der Containerhafen erinnert an ein Spielzimmer für Riesen: Türme von bunten Containern sind aufeinandergestapelt wie Bauklötze.

    Mit haushohen knallroten Roboter-Fahrzeugen wird die Ladung im Hafen herumgefahren. Zwischen den Maschinen und den riesigen Kränen wirken die Menschen mit ihren gelben Helmen wie Playmobil-Männchen. Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin kommen irgendwann keine Container mehr angefahren. Die Gangway wird hochgezogen.

    " Vielleicht wird die Maschine hochgefahren jetzt...
    Geht's jetzt endlich los?...
    Doch - aber wir fahren, Papa! - Taue werden eingezogen
    .... Spannender Moment"

    Es ist zehn Uhr Abends, als die Gerda aus dem Hamburger Hafen auf die Elbe zusteuert. Hinter uns leuchtet Hamburg. Der Hafen ist ein Lichtermeer. Rost und Ruß werden unsichtbar. Möwen kreisen über dem Kielwasser. Endlich fühlt sich das hier wie eine Seereise an.
    Unser erstes Ziel ist Oslo.

    " Ich bin sehr froh, dass wir endlich losfahren. Es ist ja eine lange Wartezeit, aber jetzt ist es schön, wir fahren einstweilen die Elbe runter, sind also noch auf beiden Seiten eng am Ufer... Der Blick auf den Hafen ist schön..."

    Die Lichter rechts und links unserer Fahrspur werden immer weniger. Auf dem Schiff breitet sich Ruhe aus. Die Hektik des Hafens liegt hinter uns, das nervöse Warten auf Ladung hat ein Ende. Ein guter Moment, um wieder auf die Brücke zu gehen und dem Kapitän Gesellschaft zu leisten.

    " Die Gerda hat gedreht... vom Parkhafen zum Abgang.
    Gerda - die Elisabeth - schönen guten Abend - kommen Sie mal raus, ich warte hier auf der Elbe.
    Danke schön... die Gerda"

    Elisabeth, Josephine und Werder Bremen - die Schiffe mit den schönen Namen kommen uns entgegen oder fahren wie wir in Richtung Elbmündung.

    "Wer hat jetzt Vorfahrt?
    Immer von rechts normalerweise, nur er muss ganz durch, drum haben wir ihm die Vorfahrt jetzt gelassen, sonst müsste er uns überholen."

    " Von der Brücke hat man eine sehr schöne Rundsicht nach vorn, zur Seite und auch bisschen nach rückwärts, man sieht, wie die Schiffe gesteuert werden, es gibt nicht mehr das große Steuerrad, was ich mir eigentlich gedacht hatte, sondern es gibt einen kleinen Hebel, mit dem diese großen Schiffe befördert werden und so eine Art Autopilot ..."

    Wer sich auf einem Schiff oder in den Häfen Seefahrtsromantik erhofft, wird enttäuscht. Die romantischen Zeiten sind längst vorbei. Nicht nur im Hafen - auch auf Brücke dominieren Technik und Computer. Elektronische Seekarten und Radar-Monitore stehen um große Schaltpulte herum. Uniformen suchen wir bei der Besatzung vergeblich.

    " Man muss mitarbeiten, und da gibt es keine Uniformen mehr. Nein, nein, das ist heute wirklich nur noch auf Passagierschiffen, die wollen es ja sehen in der Art.

    Früher hatte man ein Steuerrad, das gibt es heute nicht mehr, heute sind nur noch diese kleinen Teddels da, da ist die Romantik auch weg.

    Dass die alle nicht in irgendwelchen Uniformen sind, hab ich mir schon gedacht - dass der Ingenieur im Blaumann und die anderen sehr in Räuberzivil auftreten, hat mich im ersten Moment etwas verblüfft."

    Der Wunsch meines Vaters, auf See zu fahren - und zwar auf keinen Fall mit einem Kreuzfahrtschiff! - wurde schon in seiner Kindheit gelegt. Eine Kindheit in Niederbayern und Berlin, wo das Meer wahrlich nicht vor der Haustür liegt.

    " Aus irgendeinem Grund hat man mir mal geschenkt Weyers Taschenbuch der Kriegsflotten. Das war glaub ich von 1939/40, und das hab ich immer mit großem Interesse durchgeblättert. Weiteres Interesse zur Seefahrt kann ich eigentlich kaum vorzeigen, außer der Hafenrundfahrt in Hamburg 1939, da existiert auch noch ein Photo von mir. Und dann - ja, dann ist man mal über den Kanal gefahren und zweimal nach Griechenland, und das war natürlich schon auf größeren Schiffen..."

    Kapitän Gluth hat oft Passagiere an Bord, die dasselbe suchen wie mein Vater: Sie möchten die Welt der Seefahrt kennenlernen und nicht künstliche schwimmende Städte mit Dauer-Animation. Hier auf der Gerda ist nichts für die beiden Passagiere zugeschnitten, aber wir dürfen fast alles, sogar Kaffee oder Tee kochen auf der Brücke

    " Also die Grenzen sind, während des Ladebetriebs am Schiff an Deck laufen und spazieren gehen und sie dürfen nicht in den Bordbetrieb an sich eingreifen. Und sonst stehen ihnen alle Möglichkeiten zur Verfügung, auf der Brücke, innerhalb des Schiffs, Maschinenbesichtigung, da können sie alles unternehmen, was sie möchten. Wenn wir uns gestört fühlen, dann sagen wir schon Bescheid."

    Alexander, der Erste Offizier kommt aus Russland und versteht nicht wirklich, was Passagiere an seinem Arbeitsplatz so abenteuerlich finden.

    " Ich finde das schön, denn für mich ist alles normal, aber die Passagiere finden es noch aufregend auf dem Schiff zu sein. Dabei bekommen sie hier nicht viel geboten - keine Musik, keine Bar, kein Restaurant ... Ich weiß nicht so recht. Für mich ist das eben ein Job. Meine Erholung hab ich im Urlaub."

    " My name is Andre Chrunow, I come from Lithuania. I am cook I make food for everybody."

    Andre, der Koch, kommt aus Litauen und macht das Essen für den Kapitän und die Offiziere, für die Crew, die an den Containern oder im Maschinenraum arbeitet, für die Lehrlinge - und für uns. Insgesamt fahren 14 Personen auf der Gerda mit: Russen, Litauer, Philippinos und Deutsche.

    " My name ist Dimojen Dispi (?) I work as Able seaman here, am I am already 8 months on board
    - Where do you come from?
    - Philippines "

    Ob litauischer Koch, philippinische Matrosen, oder die russischen Offiziere: Die Arbeit auf dem deutschen Schiff bietet allen bessere Berufschancen als die Reedereien in ihrer Heimat. Dabei bleibt die Heimatferne und die seltenen Gelegenheiten zum Landgang auch für die deutschen Kollegen ein Problem. Hannes macht gerade eine Ausbildung auf der Gerda:

    "Ich bin jetzt hier seit 11 Wochen und hab noch 4-5 Wochen vor mir. Also man ist immer so zwei Monate bis fünf, sechs Monate an Bord, je nach Einsatz. Einem muss schon bewusst sein, dass man hier wirklich lange weg ist von zuhause. Bis man Lotse ist oder Kapitän muss man viel mitmachen. "

    Viel Auslauf haben wir nicht auf dem Schiff. Jeden Tag legen wir die treppenreiche Strecke zwischen unseren Kammern auf Deck 2, dem sogenannten Poopdeck ganz unten - mit Küche und Messe - und der Brücke auf dem 5. Deck mindestens 15 Mal zurück. Wer uns begegnet, grüßt freundlich - mal knapp, mal redselig.

    "Schön ist auf dem Frachtschiff, dass man in viel engerer Verbindung zur Mannschaft, jedenfalls zu den Offizieren steht, die einem viel erklären auch. "

    Kapitän und Ingenieur sind alte Fahrensmänner mit jahrzehntelanger Erfahrung, die sind in aller Welt gefahren, auch auf größeren Schiffen, und wenn mal der erste Bann gebrochen ist, hab ich mich sehr gut mit ihnen unterhalten, aber nicht nur über Seefahrt sondern, wo sie zuhause sind und was in der Familie los ist, und was die Kinder machen und wo sie Fisch einkaufen, also ganz harmlose, nicht-maritime Angelegenheiten werden da auch richtig durchgeklönt, aber auch wenn der Ingenieur erzählt, wenn er von zwei Schiffskarambolagen berichtet, das ist spannend, diese Erzählungen.

    Die erste Nacht auf hoher See bricht an. In meinem schmalen Bett schlafe ich erstaunlich gut, das sanfte Schaukeln beruhigt - allerdings nur bis 3.00 Uhr morgens, dann verändert sich etwas. Das Schiff verlässt die Elbmündung und steuert ins offene Meer Richtung Dänemark und Norwegen.

    Bis zum späten Nachmittag dieses Tages bin ich an meine Kammer gefesselt. Nicht befestigte Gegenstände rutschen auf dem Boden herum, das Aufstehen geht nur in Notfällen. Und dann heißt es: Festhalten.

    Später erfahre ich, dass ein Schiff rollen und stampfen kann - also längs oder seitwärts schaukeln. Die Gerda rollt und stampft, und ich kugle in meinem Bett hin und her wie eine halbleere Bierflasche in der U-Bahn. Und so ähnlich fühle ich mich auch.

    " Meine Feststellung ist, die weiblichen Passagiere sind da nicht so empfindlich wie die männlichen Passagiere, und wenn, dann kann man denen nur den Ratschlag geben, sich da ruhig zu verhalten in der Kammer und liegen zu bleiben in der Koje. "

    In unserem Fall erholt sich der männliche Passagier viel schneller als ich und beobachtet mit Interesse die spritzende Gischt. Erst als die Sonne schon wieder tief am Himmel steht und das Meer spiegelglatt und farbenprächtig um uns herum liegt, kann ich mich zu ihm auf Deck setzen und das Schauspiel bewundern. Weit und breit ist kein Land zu sehen, selten ein Schiff, Möwen und Basstölpel segeln vor uns her, und einen kurzen Moment begleiten sogar ein paar Zwergwale das Schiff. Kein Bord-Kino könnte Schöneres bieten.

    Am nächsten Morgen zieht es uns früh aus den Betten, denn wir durchfahren die letzten Meilen des Oslofjords. Unser erster Landgang steht bevor. Allerdings steuern wir nicht den zentralen Hafen direkt vor dem Rathaus an, sondern den Containerhafen, der einige Kilometer vor der Stadt liegt.

    " Die Schwierigkeit ist, aus dem Hafen rauskommen, weil hier ständig Container be- und entladen werden von fahrbaren Brücken, Lastwagen fahren und Fahrtzeuge, die die Container befördern, so dass der Fußgänger da außerordentlich unerwünscht und auch gefährdet ist."

    "- Du hast die Karte eingesteckt?

    - Ja, alles dabei

    - Warte, wir lassen das erstmal wegziehen - nein, jetzt kommt das Zurück! - Now, ok? - It's ok, yes!

    - Bye, bye!

    Oh, jetzt kommt wieder die Brücke auf uns zu - Gehen wir mal bissl weg. "

    Als Frachterreisende genießen wir keine Stadtführung mit Programm, dafür die Freiheit zu tun, was wir wollen. Da wir zum ersten Mal in der Stadt sind, laufen wir viele Kilometer, bestaunen das berühmte neue Opernhaus am Fjord, die Festung, das Rathaus und manches schöne Segelboot im Hafen. Als uns am frühen Abend der zweite Offizier per handy zurückordert, sind war ganz froh, die gute alte Gerda wieder ansteuern zu dürfen.

    " Heimatgefühl ist vielleicht übertrieben, aber man fühlt sich doch schon etwas zuhause dann eigentlich, und wenn man einen trifft, dann begrüßt man sich freundlich und dann hat man seine kleine Kammer oder kann rumwandern, Treppe rauf, Treppe runter, also man hat das schnell im Griff und unter den Füssen, dass man sich da - ja, bisschen zuhause fühlt. "

    Am Ende läuft die Gerda doch später aus als angekündigt, aber dieses Mal stört uns das nicht. Als wir in der Dämmerung die Stadt verlassen, wandern wir nach vorne an den Bug und fahren in den Sonnenuntergang hinein unserem nächsten Ziel entgegen: Halden, einer Kleinstadt an der Grenze zu Schweden.

    " Wir haben Glück - wir fahren ganz unter blauem Himmel - und wieder Segelboote voraus...
    - Ja, steuerbord voraus, aber auch hart voraus..."

    Eines der unzähligen kleinen Segelboote liegt gemütlich direkt vor unserer Nase und bemerkt uns nicht. Rufen hat keinen Sinn, das würde man nicht hören. Wir fragen uns, was als nächstes passiert, und ob wir einfach die große Glocke am Bug läuten sollten.

    Das kam von der Brücke. Der Segler ist nun aufgewacht und dreht schleunigst ab. Dafür begegnen uns immer wieder Galaxien von Quallen, die an den Bug klatschen und unter uns versinken.

    Auf dem Schiff ist es niemals wirklich leise. Selbst wenn wir stehen, wummert mindestens ein Generator. Im nächsten Hafen nutzen wir eine freie Stunde des leitenden Ingenieurs Heinrich Tschai, und steigen hinab in den Bauch des Schiffes. Kohle wird hier nicht mehr geschaufelt. Dafür steht alles voll mit Pumpen und runden Kesseln, und es riecht nach Schmieröl.

    "M: Hm - rechts oder links? Ich denk, es ist die Tür hier, wo draufsteht, dass man nicht rein darf. Hallo!"

    "Ok, weiter - puh! Ist das hier laut - So, jetzt bin ich taub. - Ah, was für eine Ruhe!"

    "- Hier ist ja die Überwachung auch, von hier aus wird alles gefahren, die ganzen Pumpen sind hier, die Generatoren werden von hier gestartet...

    Also, Sie haben die Macht - wenn hier unten nichts passiert kann der Kapitän machen was er will.

    Ja, so ungefähr (lacht)"

    Mir reicht es mit der Technik. Das ist wohl eher was für Männer. Als einzige Frau an Bord freue ich mich schon, wenn auf der Brücke eine weibliche Stimme aus den Lautsprechern dringt.

    Zu unserer Tour mit der Gerda gehören drei Landgänge in Norwegen und einer in Bremerhaven. So lernen wir nicht nur den Betrieb in den Häfen und das Schiff und seine Besatzung kennen sondern auch neue Städte, Länder und Landschaften. Nach einer Woche steuern wir aus der Weser heraus und die Elbe hinein - unsere letzte Etappe am Ende von acht Tagen an Bord.

    "Ach, paar Tage würde ich ohne weiteres noch mitmachen. Ist auch ganz schön, wieder nachhause zu kommen, aber irgendwie hab ich das Gefühl, waren wir eigentlich sehr kurz auf dem Schiff."

    " Ja, die Gerda Alpha 2,4 - Weser zur Elbe, wünsche noch gute Wache, schönes Wochenende
    Wünsche auch gute Wache, schönes Wochenende, bis zum nächsten Mal dann Geerda, ne, tschüss!"