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Die Geschichte der schriftlichen Musikkonserve

Der Thomaner-Chor ist 800 Jahre alt, die Deutsche Nationalbibliothek 100. Anlass für die Ausstellung "Noten aufzeichnen – Klang speichern", die Notenstichen, Grammofone und auch Schellack- und Vinylplatten zeigt.

Hannelore Schneiderheinze im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 04.11.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Die Deutsche Nationalbibliothek feiert ihr 100-jähriges Bestehen, der Leipziger Thomaner-Chor ist genau achtmal so alt, und dieses Doppeljubiläum ist der Anlass für eine Ausstellung, die morgen eröffnet wird und die Hannelore Schneiderheinze vom Deutschen Buch- und Schriftmuseum erarbeitet hat - eine Ausstellung, bei der es um Ton-Schrift geht. "Noten aufzeichnen – Klang speichern", das ist der Titel. Frau Schneiderheinze, die ältesten Dokumente der Notenschrift sind uns in Form von sogenannten Neumen überliefert, das heißt, da haben die Mönche die Handzeichen des Chorleiters bei den gregorianischen Chorälen festgehalten – zumindest behaupten das manche Musikhistoriker, andere glauben das nicht, aber egal, jedenfalls stammen diese Neumen aus dem 9. Jahrhundert. Haben Sie denn auch so alte Beispiele in Ihrer Ausstellung?

    Hannelore Schneiderheinze: Ganz so weit zurück gehen unsere Bestände im Buch- und Schriftmuseum nicht. Wir beginnen mit einem Faksimile von Carmina Burana, also der Aufzeichnung von diesen Vagantenliedern. Dort sind die sogenannten Neumen verzeichnet, also die ersten Spuren von Notation von Gesängen, einstimmigen Gesängen, die über der Liedzeile ohne Linien aufgezeichnet wurden.

    Müller-Ullrich: Das war also ohne Linien, und dann hat Guido von Arezzo um 1000 herum dieses Liniensystem eingeführt. Da wusste man immer noch nicht, wie lang die Noten zu singen seien?

    Schneiderheinze: Ja, das ist richtig. Es war dennoch ein enormer Qualitätssprung, dass die Tonhöhen bekannt waren oder sich dadurch entwickelten. Dafür zeigen wir auch zum Beispiel zwei Pergamenthandschriften aus dem 15. Jahrhundert mit geistlicher Musik, also für die Liturgie. Und durch dieses Liniensystem konnte man ja dann wirklich sehr genau die Tonhöhen bestimmen, aber noch lange nicht die Tondauer.

    Müller-Ullrich: Jetzt ist natürlich die Verschriftlichung, also die Tonschrift, das eine. Aber Musik im wirklichen Sinne ist es noch lange nicht?

    Schneiderheinze: Nein.

    Müller-Ullrich: Da kommt dann ein technischer Qualitätssprung erst in unserer Zeit hinzu?

    Schneiderheinze: Das ist richtig. Es ist eigentlich wirklich etwas ganz, ganz junges, wenn man so will, nämlich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gab es zwei Pioniere, die die Phonographie entwickelt haben - das sind eigentlich sehr bekannte Namen: Thomas Alva Edison und Emil Berliner -, also Geräte, mit denen man Klang aufzeichnen konnte und aber auch wiedergeben.

    Müller-Ullrich: Jetzt hat das Deutsche Musikarchiv vermutlich das Problem wie jede andere Bibliothek auch: Platz, Aufbewahren. Das ist ja so unübersehbar geworden. Sammeln Sie jetzt jede MP3-Datei?

    Schneiderheinze: Oh, da bin ich wahrscheinlich sogar überfragt. Diese Tonträger sind ja sammelpflichtig in der Deutschen Nationalbibliothek und damit auch im Musikarchiv. Aber ob jetzt jede MP3-Datei gespeichert wird, da muss ich passen.

    Müller-Ullrich: Und wie schlägt sich das in Ihrer Ausstellung nieder? Gibt es da auch was zu hören, oder nur zum Gucken?

    Schneiderheinze: Leider gibt es da nichts zu hören. Wir zeigen für diesen Qualitätssprung zum Beispiel ein sehr schönes Grammophon vom Beginn des 20. Jahrhunderts und zwei Schellackplatten mit Aufnahmen des Thomaner-Chores, eine sogar noch eine akustische Aufnahme, wo die Sänger noch in einen Trichter einsingen mussten. Und wir zeigen eine ganz kleine Auswahl von Vinylschallplatten von den 1950er-Jahren bis in die 1980er-Jahre und natürlich einen kleinen Ausblick von den CD-Editionen des Thomaner-Chores, aber alles im Stillen.

    Müller-Ullrich: Was ist denn für Sie persönlich das interessanteste Objekt?

    Schneiderheinze: Ich würde eigentlich da den Notenstich herausgreifen wollen. Das sind Werkzeuge und Platten, in die man Noten gestochen hat. Ich greife es deswegen heraus, weil Leipzig ja ein ganz besonderes Zentrum für den Notenstich war mit dem Großbetrieb C.G. Röder. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum konnte im vergangenen Jahr einen sehr großen Teil solcher Werkzeuge und Platten mit Musikalien von Edition Peters erwerben. Das ist aus meiner Sicht etwas sehr Spezielles, aber Schönes und zeigt auch, wie wichtig diese Entwicklung war.

    Müller-Ullrich: Ist aber auch schon Geschichte, denn heute macht das der Computer.

    Schneiderheinze: Genau. So weit geht unsere Ausstellung dann nicht.

    Müller-Ullrich: Dann danke ich Ihnen für die Auskünfte; das war Hannelore Schneiderheinze vom Deutschen Buch- und Schriftmuseum über die Ausstellung "Noten aufzeichnen – Klang speichern" in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.