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Die Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer

Die tragische Justiz-Geschichte des jüdischen Bankers Joseph Süßkind Oppenheimer aus dem Jahr 1738 ist mehrfach verfilmt - und in der nationalsozialistischen Version als subtile Propaganda missbraucht worden. Vier alte und neue Filme über "Jud Süß" gab es jetzt in Worms zu sehen - und einzuordnen.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Christoph Schmitz | 11.07.2011
    Christoph Schmitz: Schon den Märchendichter Wilhelm Hauff interessierte seine Lebensgeschichte, die des Joseph Süßkind Oppenheimer. Ein glatter Justizmord hatte den Bankier, Herzogsberater und Finanzverwalter zur Strecke gebracht. Das war 1738 in Stuttgart. Dass ein Jude in einem protestantischen Land, regiert vom katholischen Herzog Karl Alexander, zu solcher Machtfülle hatte kommen können, sorgte für so viel Hass und Neid, dass dem Bankier und Berater, kaum war der Herzog gestorben, der Prozess gemacht wurde. Wilhelm Hauffs Novelle "Jud Süß" erzählt die Geschichte, ohne dass Hauff hätte Akteneinsicht nehmen können. Die Prozessunterlagen nämlich wurden erst 1918 öffentlich gemacht. Lion Feuchtwanger widmete dem Joseph Süßkind Oppenheimer sogar einen Roman, 1925. Dann kamen die Nazis und verdrehten mit Veit Harlans antisemitischem Propagandafilm "Jud Süß" die historischen Tatsachen. Sechs Jahre vor dem Nazi-Propagandafilm "Jud Süß" von Veit Harlan aber hatte es schon einmal einen abendfüllenden Spielfilm zum Thema gegeben, eine erste Verfilmung des Stoffs, der Titel: "Jew Süss", eine britische Produktion aus dem Jahr 1934 von Lothar Mendes.
    Vier alte und neue Filme über Süßkind Oppenheim sind am Wochenende im Worms im Programm der Nibelungenfestspiele gezeigt und von Experten diskutiert worden. Rüdiger Suchsland gehörte auch dazu. "Jew Süss" von Lothar Mendes ist eine filmische Rarität, ein Film, der den Antisemitismus eines Veit-Harlan-Films eigentlich verhindern wollte? Das habe ich Rüdiger Suchsland zuerst gefragt.

    Rüdiger Suchsland: Ja, sicher ein Film gegen Antisemitismus, der fast so ein bisschen das Gegenteil macht, eine auch von vielen Philosemiten als übertrieben positive Darstellung des "Jud Süß" empfundene Biografie. Es ist fast die gleiche Geschichte, basiert auf dem Feuchtwanger-Roman. Lothar Mendes war ein Emigrant, kam aus Deutschland, ist nach England emigriert. Auch sein Hauptdarsteller, Konrad Veit, war Deutscher, der in England in dieser Zeit im Exil lebte, ein Jahr nach der Machtergreifung. Konrad Veit kennen wir alle, einmal als Darsteller des Nazis in dem Film "Casablanca", zehn Jahre später, Gegenspieler von Humphrey Bogart, aber auch schon als einen der wichtigsten Akteure des expressionistischen Kinos. Cali Gari, der berühmte Darsteller dieses somnambulen Serienmörders im expressionistischen Stummfilm, das war Konrad Veit und der verkörpert nun den Juden Jud Süß als eine positive Figur, als eine Figur, der eigentlich ein Leidender ist, der verfolgt wird, der nicht integriert werden kann in die Gesellschaft, und das ist ein sehr interessanter Film, deswegen auch, weil er eben sechs Jahre vor Veit Harlans berüchtigtem "Jud Süß" eigentlich fast das Muster für diesen Stoff gegeben hat. Dieser Film, der wurde zum Beispiel auch in Österreich aufgeführt und in jedem Fall hat Goebbels ihn gesehen und hat ihn auch geschätzt von seiner Qualität her, hat sogar kurzfristig überlegt, ob man den in Deutschland rausbringen könnte, mit neuen Untertiteln versehen, oder einer neuen Synchronisation, die dann tendenziös im Sinne der Nazis gewesen wäre.

    Schmitz: Der Film war aber in Deutschland verboten?

    Suchsland: Ja, der Film war in Deutschland verboten. Man weiß aber aus Aufzeichnungen, dass Goebbels ihn kannte und dass er im Grunde das als Muster genommen hat und quasi die ganzen Wertungen umgedreht hat. Aus dem philosemitischen Film wurde ein antisemitischer dann unter Veit Harlan, und wenn man die beiden Filme miteinander vergleicht, dann sieht man, dass sogar einzelne Szenen nachgestellt wurden. Da sind ganz klare Bezüge auf den Film von Lothar Mendes.

    Schmitz: Ist es ein filmästhetisch starker Film, den Mendes gemacht hat?

    Suchsland: Es ist ein guter Film, es ist ein historisch wichtiger Film durch diesen Stoff, es ist ein Film, den man in jedem Fall auch heute noch anschauen kann, aber natürlich ist es auch ein früher Tonfilm, als der Tonfilm gerade fünf Jahre alt war, mit entsprechenden Schwächen.

    Schmitz: Veit Harlans Nazi-Propagandafilm "Jud Süß" wurde ja auch gezeigt in Worms. Wie wirkt dieser Film heute?

    Suchsland: Ja, das ist nach wie vor ein schockierender Film, auch in der Gewalt und in der Offenheit, in der dort antisemitische Propaganda in diesem Film natürlich enthalten ist. Es ist ja nach wie vor ein sogenannter Vorbehaltsfilm. Das heißt, er ist nicht verboten in dem Sinn, dass er gar nicht gezeigt werden darf, aber er darf nur gezeigt werden mit einer entsprechenden historischen Einführung, einer Diskussion danach, in der dann einfach ein bisschen das Drumherum erklärt wird, in der auch die Mechanismen, mit denen dieser Film arbeitet, erklärt werden, und es ist ohne Zweifel natürlich ein sehr geschickt gemachter, ein vom Handwerklichen her sehr, sehr gut gemachter Film, der nicht offene Propaganda betreibt, sondern der diesem Juden Jud Süß auch sympathische Züge verleiht, im Grunde genommen mit dieser Propagandavorstellung, man will dadurch das wahre Wesen des Juden im Nazi-Verständnis offenlegen, also einer, der sich in die Gesellschaft hineinschleicht und diese spaltet.

    Schmitz: Sowohl der Dokumentarfilm "Harlan - Im Schatten von Jud Süß" vom Dokumentarfilmer Felix Möller aus dem Jahr 2008 beleuchtet die Entstehung des Propagandastreifens von Veit Harlan, als auch der ja fast neue, 2010 zum ersten Mal gezeigte Jud-Süß-Film von Oskar Roehler. Im direkten Vergleich, Herr Suchsland, welche Arbeit bringt die genauere Analyse und Deutung dieser Propaganda?

    Suchsland: Die sind so verschieden und der Film von Oskar Roehler ist ja auch ein Spielfilm, dass man da nicht sagen kann, der eine ist der bessere. Es ist ganz ohne Frage so, dass Felix Möllers "Harlan – Im Schatten von Jud Süß" ein sehr guter Dokumentarfilm ist über Veit Harlan, auch darüber, wie die Familie Veit Harlans mit ihm umgegangen ist, man weiß ja, Thomas Harlan, der im vergangenen Jahr verstorbene Sohn, hat sich eigentlich sein Leben lang – der ist über 80 geworden – an diesem Vater abgearbeitet, wurde selbst Filmemacher, hat Bücher geschrieben über seinen Vater, während Oskar Roehlers Film eine Art Making-of ist, in dem Harlan nur eine Nebenrolle spielt. Die beiden Hauptakteure sind einerseits der Hauptdarsteller, der dann den Jud Süß unter Harlan gespielt hat, Ferdinand Marian, ein Theaterdarsteller, der den Propagandaminister Joseph Goebbels beeindruckt hat mit Theaterrollen, und diese zweite Hauptfigur ist dann eben Goebbels selber, den Moritz Bleibtreu sehr eindrucksvoll, wie ich finde, gespielt hat, fast besser als der Marian-Darsteller. "Jud Süß" von Oskar Roehler ist ja auch ein Film, der das Absurde der Nazi-Diktatur und der die ästhetischen Züge des Faschismus, also diese spezielle faschistische Ästhetik, die in den Filmen, die aber auch in ganz vielen anderen Teilen der Propaganda vorkamen, der die betont und der sie zum Thema macht und der ihre wahren Seiten zeigen möchte und sie deswegen in Form einer Farce auch übertreibt, dass man als Zuschauer auch irritiert ist und teilweise abgestoßen ist.

    Schmitz: Rüdiger Suchsland über die Filmreihe "Die Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer" bei den Niebelungenfestspielen in Worms.