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Die Geschichte einer Installation

"Ark, Pyramid" nannte der Amerikaner Paul Thek seine raumfüllende Installation auf der documenta 5 vor 40 Jahren. Für die Duisburger Ausstellung "In Process" im Lehmbruck-Museum hat er sie weiterentwickelt.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Das Lehmbruck-Museum in Duisburg war das erste Museum in Deutschland, das Arbeiten von Paul Thek gekauft hat und damit auf einen Künstler setzte, der damals, Anfang der 70er-Jahre, ganz ungewöhnliche Werke machte. Aufgefallen war der Amerikaner Thek mit einer Installation für die documenta 5 in Kassel, 1972, mit einer raumfüllenden Installation "Ark, Pyramid", die er später für Duisburg weiterentwickelte und in der er zur Weihnachtszeit 1973 auch mit Kindern Theater spielte. Nun will Duisburg, anknüpfend an den eigenen Sammlungsbestand, dieses Environment wieder auferstehen lassen. Christiane Vielhaber hat die Ausstellung "In Process" für uns gesehen, die auch eine Art historischer Dokumentation sein will: wofür, wogegen wäre die Frage an Sie, Frau Vielhaber? Ist dieser Künstler vergessen? Versteht man seine Arbeit heute besser? Was ist die Intention einer solchen Wieder-Herstellung?

    Christiane Vielhaber: Man kann das nicht wiederherstellen. Dass es jetzt passiert, hängt damit zusammen, dass der erste Auftritt wirklich bei Harald Szeemann auf der Documenta '72 unter dem Titel "Individuelle Mythologien", dass er da zum ersten Mal hier in Europa groß aufgetreten ist. Das nimmt man zum Jubiläumsanlass, denn im Prinzip war ja die Ausstellung im Winter '73, also hätte man das auch nächstes Jahr, '13, machen können. Aber jetzt war irgendwie die Gelegenheit günstig und vielleicht ist es auch günstig, weil gerade auch Joseph Beuys eine, ich will nicht sagen, eine Wiederbelebung erfährt, aber nach dem Tod von Beuys war es eigentlich ziemlich still und jetzt ist ja doch ziemlich viel passiert. Und ich will nicht so weit gehen, dass ich sage, dass Paul Thek ein amerikanischer Beuys war, denn dazu war er viel zu europäisch verwurzelt – nicht nur durch die Eltern, ein deutscher Vater, eine irische Mutter, durch die furchtbare Katholizität, unter der er gelitten hat offenbar, aber die ihn auch fast zum Wahnsinn getrieben hat. Zum Beispiel hat er dieses hier in Duisburg Weihnachten machen wollen wegen des Festtages und hat dann auch mit Kindern, nicht mit normalen Schulkindern, sondern mit Waisenkindern – eigentlich wollte er taubstumme Kinder haben -, dieses Krippenspiel aufgeführt. Also da ist ganz viel von diesem Wust an religiöser Erziehung, dann an amerikanischem Purismus. Er hat immer darunter gelitten, dass er schwul war. Das war ja zu einer Zeit – er ist '33 geboren -, wo man das nicht laut sagte, und als er seine Kunst machte, war Pop Art oder Minimal Art. Und dann kommt jemand und macht sein Glied in Wachs und legt das irgendwo rein, oder macht Tulpenzwiebeln, oder baut eine Arche. Sie haben eben die Arche erwähnt, die jetzt in Duisburg nicht nachgebaut worden ist, weil sie da nicht stattfand, sie war eben damals in Kassel auf der Documenta. Also das sind alles Sachen, die schwer verständlich sind, und ich sage ganz ehrlich, …

    Fischer: Heute auch noch genauso wie damals, weil damals, würde mich interessieren, war es das Prozesshafte, was irritiert hat, oder eben diese religiösen Anspielungen, die so nicht in die Zeit passten?

    Vielhaber: Frau Fischer, ich war auf dieser Documenta '72, ich habe Beuys Honigpumpe auch nicht verstanden, aber ich war fasziniert. Und die Arbeit von Paul Thek, die habe ich als irgendwas gesehen, tempelhaft oder so, aber nicht wirklich. Man kann seine Arbeit nicht beschreiben, man kann sie auch letztlich nicht erklären. Welche Rolle spielt der Zwerg? Er hat zum Beispiel einen italienischen Freund gehabt, der Gartenzwerge herstellt, und jetzt benutzt er diesen Gartenzwerg immer und hat dann dazu irgendwann mal gesagt in einem Gespräch mit Harald Szeemann, was jetzt in Duisburg ungeschnitten vom Band läuft, hat dann gesagt, das steht für das Paranoide in uns Menschen, also so sein kleiner Alberich. Und dann finden Sie in dieser Ausstellung jetzt in Duisburg: da sind eben nicht nur Relikte, da sind nicht nur Kritiken, die damals erschienen sind, oder Fotos, sondern es sind eben auch Skulpturen, und dann finden Sie einen Vogel, der so den Kopf nach unten macht, und erst wenn Sie sich unter diesen Vogel begeben, dann sehen Sie, dass sein Schnabel, das rote Zwergenhütchen ist - also alles so aberwitzige Sachen. Oder Sie finden seinen abgegossenen Kopf mit einer gepiercten Zunge, also Leben und Tod spielt eine ganz große Rolle. Aber man kriegt das nicht auf die Reihe, aber es spannend zu sehen.

    Fischer: Ich wollte gerade sagen: wir sind jetzt hier aber viele Jahrzehnte weiter und auch ein bisschen abgebrüht. Ganz kurz zum Schluss: Hat man heute einen anderen Blick auf dieses nicht einzuordnende Universum?

    Vielhaber: Ja. Ich finde, was interessant ist zu wissen, dass er mit Robert Wilson zusammengearbeitet hat, und wenn man von Robert Wilson weiß, dass das auch kein begnadeter Tänzer war, sondern er ist da hingegangen, weil er eine Sprachstörung hatte, und dann hatte Robert Wilson so diese Bewegung genommen, damit man da irgendwas abarbeiten konnte, und das merkt man bei vielen Sachen an. In diesem Sinne ist auch dieses Krippenspiel zu verstehen. Man weiß heute mehr über ihn, man hat seine Notizen, seine Tagebücher, Aufzeichnungen und man sieht aus heutiger Sicht, wo er eigentlich dieser Einzelgänger war, dieser Außenseiter war und was er geleistet hat, was wir hier mit Beuys, wo wir so viel mythischer und bewegter sind, viel leichter eigentlich rezipieren können.

    Fischer: Vielen Dank, Christiane Vielhaber, für diese Informationen über Paul Thek, der im Lehmbruck-Museum in Duisburg wieder zu sehen ist.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.