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Die Geschichten der wankelmütigen Marianne

Zwei Männer lieben ein und dieselbe Frau! Und als wäre das noch nicht genug des Unglücks, kann sie sich zu allem Überfluss nicht entscheiden! Ab und an soll das in den besten Familien vorkommen - in der berühmten Pariser Musikerfamilie Viardot ist es vorgekommen: Tochter Marianne verlobte sich im Februar 1877 mit dem Komponisten Alphonse Duvernoy, im Juli dann mit Gabriel Fauré, überlegte es sich noch einmal anders und heiratete schließlich dann doch Duvernoy.

Von Maja Ellmenreich |
    Diese Geschichte der wankelmütigen Marianne Viardot soll Iwan Turgenjew zu einer Novelle inspiriert haben, die dann wiederum Ernest Chausson zur Komposition seines berühmten "Poème" angeregt hat.

    Klingt alles kompliziert? Ist es auch. Doch eine neue Doppel-CD aus dem Hause "Ars Musici" erklärt uns genau, wer mit wem und wann, und kombiniert kunstvoll Literatur von Turgenjew mit Kompositionen von Pauline Viardot-Garcia und Paul Viardot, Gabriel Fauré und Ernest Chausson.

    " Musikbeispiel: Ernest Chausson: Poème für Violine und Klavier, op. 25 (Ausschnitt) "

    Der Geiger Ulf Schneider und der Pianist Stefan Imorde mit Ernest Chaussons "Poème", einem wahren Schmachtfetzen und Klassiker der romantischen Violinliteratur. Auf Chaussons Manuskript hat nicht nur "Poème" gestanden, sondern als Zusatz der Titel von Turgenjews Novelle "Das Lied der triumphierenden Liebe", einer heute kaum bekannten Geschichte des russischen Schriftstellers, von der sich Chausson offensichtlich inspirieren ließ.

    Sie erzählt von einer geheimnisvoll-unheimlichen Wiederbegegnung: Das Ehepaar Fabio und Valeria bekommt Besuch von seinem Freund Muzio, der jahrelang auf Reisen war. Er, der einst um Valerias Zuneigung buhlte, scheint jetzt über magische Kräfte zu verfügen, betört Fabio und Valeria mit seinem Geigenspiel und bringt sie fast um den Verstand.

    Diese mystische Geschichte, die übrigens viele Fragen offen lässt, ist wegen der zentralen Rolle der Musik wie gemacht für einen Brückenschlag zwischen den Künsten. Die neue Doppel-CD, die ich Ihnen heute Morgen vorstelle, nutzt dieses Potential. Ulf Schneider und Stephan Imorde sorgen für den musikalischen Teil, und Martina Gedeck für den literarischen: Sie liest Turgenjews "Lied der triumphierenden Liebe".

    " Textbeispiel: Iwan Turgenjew: Kapitel 3 aus "Das Lied der triumphierenden Liebe" (Ausschnitt) "

    Die aus Film und Fernsehen wohlbekannte Martina Gedeck liest Turgenjews "Lied der triumphierenden Liebe" mit Inbrunst. Manchmal möchte man sie ein bisschen bremsen; Turgenjews Sprache ist in ihrer deutschen Übersetzung schließlich schon gefühlsgeladen genug. Da sollte man sich davor hüten, beim Vortrag ins Kitschige abzudriften.

    Soweit lässt es Martina Gedeck zum Glück nicht kommen; davor schützt sie nicht zuletzt die Musik, die in ihre Lesung eingefügt ist. Ulf Schneider und Stephan Imorde, die seit Jahren ein erprobtes Duo bilden, sind sympathisch kopflastige Musiker. So romantisch das Repertoire auch ist, das das "Lied von der triumphierenden Liebe" ergänzt, Ulf Schneider und Stephan Imorde sind sich aller Gefahren bewusst und geben Acht, nicht gefühlsduselig zu werden. Ulf Schneider bleibt zurückhaltend, übertreibt es nicht mit dem Vibrato, und Stephan Imorde am Klavier ist ein sensibler Begleiter, der abwechslungsreich zu artikulieren und zu phrasieren weiß - zum Beispiel bei der Romance aus den Six Morceaux von Pauline Viardot-Garcia.

    " Musikbeispiel: Pauline Viardot-Garcia: Romance aus Six Morceaux für Violine und Klavier (Ausschnitt) "

    Wer war diese Pauline Viardot-Garcia, deren Six Morceaux für Violine und Klavier eines der musikalischen Gegenstücke zu Turgenjews "Lied der triumphierenden Liebe" bilden?

    Sie war Opernstar und Gesangspädagogin, Mutter von vier Kindern, Freundin und Bekannte von unzähligen Musikern, Literaten, Malern und sonstigen Kunstschaffenden. Mit George Sand und Clara Schumann war sie eng befreundet, mit Frédéric Chopin hat sie musiziert, mit Heinrich Heine in ihrem Pariser Salon debattiert - und sie war seit ihrem Treffen 1846 in St. Petersburg fast vierzig Jahre lang die treue Begleiterin von Iwan Turgenjew. Und damit schließt sich der Beziehungskreis, der auf der neuen CD aus dem Hause "Ars Musici" nachgezeichnet wird! Jede Musik darauf steht in Beziehung entweder zu Turgenjew selbst, zu seiner Novelle "Das Lied der triumphierenden Liebe" oder zu besagter Marianne Viardot, deren Unentschlossenheit in punkto Partnerwahl Inspirationsquelle für Turgenjew war.

    Zugegeben, das Beziehungsgeflecht ist gelinde gesagt ‚komplex' - man wünscht sich beinahe eine Graphik, um den Überblick zu behalten. Doch auch der ausführliche Booklet-Text von Pianist Stephan Imorde gibt Aufschluss über Mutter und Tochter Viardot, Hausfreund Turgenjew, den verschmähten Liebhaber Gabriel Fauré und wie sie alle heißen. Wer die Begleitworte liest, erfährt wichtige Informationen, um die Mosaiksteine, aus denen das Programm dieser neuen CD besteht, fein säuberlich zusammensetzen zu können.

    Als "charmant wie geistreich" sind dort die Kompositionen beschrieben, mit denen Pauline Viardot als Komponistin vorgestellt wird. Vielleicht darf man noch kleingeschrieben das Wort "harmlos" hinzufügen, denn Pauline Viardot hat zwar ihr Handwerk beherrscht und wusste größtmöglichen Ausdruck mit geringem Einsatz kompositorischer Kreativität zu erreichen, aber große Musik hat sie nicht geschrieben. Das hat sie auch nie von sich behauptet: Als Komponistin soll sich Pauline Viardot-Garcia selbst nie verstanden haben.

    " Musikbeispiel: Pauline Viardot-Garcia: Allegro aus Sonatine für Violine und Klavier a-moll "

    Das Allegro aus der a-Moll-Sonate von Pauline Viardot-Garcia. Mit diesem dreisätzigen Werk beginnt die gut zweistündige Hörreise in die Welt der Turgenjews und Viardots. Es ist eine Ersteinspielung dieser Sonate, die Ulf Schneider und Stephan Imorde da vorlegen. So wie im Fall der Romance des Sohnes Paul Viardot, eines gefeierten Geigenvirtuosen. Auch hier haben wir es wieder nicht mit einem zu Unrecht vergessenen Genie zu tun, doch die Musik von Mutter und Sohn Viardot ist - zumal sie hervorragend interpretiert wird vom Duo Schneider-Imorde - bestens geeignet, Turgenjews "Lied der triumphierenden Liebe" zu vervollständigen. Fast schon erinnert sie an Filmmusik, wenn sie im Anschluss an einzelne Kapitel der Novelle Stimmungen weiterträgt und verdichtet. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, Pauline und Paul Viardot hätten ganz bewusst einen Soundtrack zu Turgenjews Erzählung komponiert.

    Zum Schluss der Doppel-CD ist dann aber noch Platz für die wahre Kunstmusik: Dem gehörnten Verlobten - Sie erinnern sich vielleicht?! - Gabriel Fauré gehören die letzten gut 25 Minuten: Ulf Schneider und Stephan Imorde spielen Faurés Violinsonate A-dur.

    " Musikbeispiel: Gabriel Fauré: Scherzo aus Sonate für Violine und Klavier A-dur, op. 13 "

    Das "Lied der triumphierenden Liebe". Martina Gedeck liest die gleichnamige Erzählung von Iwan Turgenjew; und Ulf Schneider und Stephan Imorde spielen Musik von Pauline Viardot-Garcia, Paul Viardot, Ernest Chausson und Gabriel Fauré. Alles zusammen ist bei dem Label Ars Musici erschienen.