Es war die Stunde des polnischen Oppositionsführers Donald Tusk. Der Chef der liberal-konservativen Bürgerplattform PO saß Jaroslaw Kaczynski, dem Premier und Vorsitzenden der polnischen nationalkonservativen Partei, Auge in Auge im großen Fernsehduell gegenüber. Und Tusk punktete gegen den bislang scheinbar übermächtigen Ministerpräsidenten auf ganzer Linie:
" Im Laufe der zwei Jahre, in denen Sie regieren, haben sich knapp zwei Millionen Polen für die liberale Wirtschaft entschieden; - leider nicht bei uns, sondern in Irland, Großbritannien, Schottland, USA, Holland, Spanien. Die Polen, ähnlich wie andere Nationen, wenn sie aus einem Land in das andere flüchten, flüchten vor dem Sozialismus zum Liberalismus. Nach zwei Jahren eurer Regierung haben wir die schlechtesten Beziehungen der jüngeren Vergangenheit mit Deutschland und mit Russland. Das ergibt sich vor allem aus der drastischen Inkompetenz eurer Diplomatie. Wenn es um die Nachgiebigkeit gegenüber den Stärkeren geht, überrascht die Regierung von Jaroslaw Kaczynski am meisten mit ihrer Nachgiebigkeit gegenüber dem tatsächlichen Imperium, gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika. "
Das Fernsehduell zwischen Tusk und Kaczynski war der Höhepunkt eines insgesamt schwachen Wahlkampfes. Der polnische Premier schaltete und waltete als Regierungschef. Die Opposition dagegen war mit dem Beschluss über die Selbstauflösung des Parlaments - und damit über vorgezogene Neuwahlen - völlig außer Tritt geraten. Kaczynski gab die innenpolitischen Themen vor, und der Opposition blieb nichts weiter übrig, als zu reagieren, spricht der polnische Politologe Eugeniusz Smolar bereits von einer drohenden Fortsetzung der Ära Kaczynski:
" Ich befürchte, und ich nutze das Wort "befürchte" dabei absichtlich, dass Kaczynskis PiS-Partei bei den bevorstehenden Wahlen wieder gewinnen kann. Nicht nur wegen der Zielstrebigkeit des eigenen Wahlkampfes, der konkret war und die Massen erreicht hat, sondern weil die Konkurrenz sehr schwach war. Bei der Opposition fehlt die Konzentration auf zwei oder drei Kernbotschaften. Man weiß zwar, dass die Bürgerplattform eine Alternative zu PiS ist, aber man weiß nicht, welche inhaltlichen Vorschläge sie macht. Und die Linke, als dritte große Gruppierung, sagt von sich zwar, dass sie links ist, aber keiner sieht, worin diese Linksorientierung bestehen soll. "
Vom Wahlsieg der Nationalkonservativen um Premier Jaroslaw Kaczynski ist auch der Publizist Slawomir Sierakowski überzeugt. Die politische Opposition hat die Chance zu einem gesellschaftlichen Wandel, zu einer Rückkehr Polens als berechenbarer Partner in der Innen- und Außenpolitik leichtfertig vergeben, kritisierte Sierakowski vor allem die Zögerlichkeit von Plattform-Chef Tusk:
" Diese Wahlen wird PiS wieder gewinnen, denn wir leben in einem Land ohne funktionierende Opposition. Und das ist ein viel größeres Problem, als der Rechtspopulismus. Denn den Rechtspopulismus könnten wir leicht überwinden, wenn wir eine verantwortungsbewusste politische Klasse hätten. Aber so steht Polen eigentlich nur vor der Wahl: soll es ein Zurück in die ungerechte Dritte Republik oder ein Weiter in Richtung dieser hässlichen, unästhetischen und populistischen Vierten Republik von Kaczynski geben? "
Doch zunächst zurück in den Spätsommer, als die innenpolitische Krise in Polen eskalierte. Die damalige Rechtskoalition aus Kaczynskis nationalkonservativer PiS-Partei, aus der Bauernpartei Samoobrona des Rechtspopulisten Andrzej Lepper und der ultrarechten Liga polnischer Familien hatte mit dem Zentralbüro gegen Korruption eine außerordentlich scharfe Waffe geschaffen. Es war die Geburtsstunde einer neuen Geheimpolizei, die den regierungsamtlichen Kampf gegen die Korruption in Polen forcieren sollte. Doch das Antikorruptionsbüro CBA wurde jeder parlamentarischen Kontrolle entzogen und allein der Verfügungsgewalt des polnischen Ministerpräsidenten unterstellt. Die Opposition und die linken Medien des Landes mutmaßten schon damals, dass Premier Kaczynski mit dem CBA den entscheidenden Knüppel in jeder politischen Auseinandersetzung in den Händen halten würde. Und Kaczynskis Koalitionspartnern fehlte die Phantasie sich vorzustellen, dass sie selbst als erste das Opfer geheimdienstlicher Machenschaften werden könnten. So geschehen, als dem politisch unberechenbaren Bauernparteichef Andrzej Lepper von der Anti-Korruptions-Polizei mit Wissen des Premiers eine Falle gestellt worden ist. Lepper musste schließlich gehen, und die polnische Regierungskoalition brach auseinander. Der polnische Innenminister Janusz Kaczmarek, der Lepper vor der inszenierten Geheimdienstaktion in letzter Minute gewarnt hatte, wurde kurz darauf inhaftiert. Vize-Premier Roman Giertych, damaliger Bildungsminister und Chef der Liga polnischer Familien sprach offen von Verrat:
" Die Verhaftung ehemaliger Regierungsmitglieder entspricht nur einer, nämlich der Gangsterregel. Wir haben in Polen ein politisches Watergate. Wir haben ein Ereignis, dass es in Polen so noch nicht gegeben hat. Ein solches Vorgehen ist ein Verbrechen, und was hat das noch mit Rechtsstaatlichkeit zu tun? "
Es war bereits Anfang September, als der polnische Sejm gegen viele innerparteiliche Widerstände für die Selbstauflösung des Parlaments und damit für Neuwahlen votierte:
Das erste und auch das einzige Mal in den zwei Jahren hatten die Regierungs- und Oppositionsfraktionen weitgehend einheitlich abgestimmt. "Die Kapitulation Kaczynskis wurde angenommen", titelten am Tag danach die großen polnischen Zeitungen. Vorgezogene Neuwahlen seien der einzig mögliche Weg aus der Krise, räumte der Ministerpräsident ein, und kündigte zugleich einen harten Wahlkampf an:
" Polen muss jetzt entscheiden, ob der von uns eingeschlagene Reformweg fortgesetzt werden soll, oder aber, ob das Land in das oligarchische System der 90er Jahre zurückkehren will. Diese Frage werden wir im Wahlkampf ganz klar stellen. Und ich bin überzeugt, dass die Antwort für unseren Reformkurs ausfallen wird. "
Mit ihrem bedingungslosen Ja zu vorgezogenen Neuwahlen hat die polnische Opposition bereits einen Großteil ihrer Siegchancen aus der Hand gegeben, meint der Publizist Slawomir Sierakowski:
" Aus dem Blickwinkel der Bürgerplattform oder auch der Linken um Aleksander Kwasniewski war diese Entscheidung eine absurde Idee. Wenn man den Premier wirklich hätte besiegen wollen, dann gab es nur einen Weg: Man hätte ihn mit einem konstruktiven Misstrauensvotum aus dem Amt drängen müssen. "
Für ein konstruktives Misstrauensvotum fehlte es vor allem an der Bereitschaft von Bürgerplattformchef Donald Tusk. Der Liberal-Konservative wollte kein Zweckbündnis mit den Linken von Aleksander Kwasniewski bilden, wohl aus Sorge, eine Abstimmungskoalition mit Postkommunisten könnte Kaczynski später als Wahlkampfhilfe dienen. Hinzu kamen die Umfragewerte, die Tusk als Herausforderer fast 15 Prozent vor dem amtierenden Premier sahen. Eine politische Fehleinschätzung, die der Opposition letztlich den Wahlsieg kosten könnte, ist auch der Politologe Eugeniusz Smolar überzeugt:
" Es war ein eindeutiger Fehler von Donald Tusk, dass Kaczynskis PiS-Partei die Macht nicht entrissen wurde. Nach dem konstruktiven Misstrauensvotum hätte man eine Übergangsregierung bilden können. Man hätte die Machtwerkzeuge, wie Staatsanwaltschaft und die Polizei, unter Kontrolle bekommen. Und man hätte die Neuwahlen innerhalb von sechs Monaten in Ruhe vorbereiten können. Aber die Bürgerplattform wollte sich nicht mit nationalistischen oder linken Kräften einlassen. Sie sagten, auf dieses Niveau würden sie nicht gehen. Und dafür werden sie einen hohen Preis zahlen müssen. "
PiS dagegen entfachte einen Wahlkampf, den die von Kaczynski kontrollierten Staatsmedien bis den letzten Wickel des Landes trugen. Präsident Lech Kaczynski übernahm die Wahlkampftouren nach Großbritannien und in die USA, wo sich inzwischen Millionen polnische Wähler niedergelassen haben. Und dessen Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski übernahm die Wahlwerbung im eigenen Land und das mit viel Erfolg, wie der Politologe Eugeniusz Smolar attestieren muss:
" PiS tritt mit klaren Botschaften an, die jeder verstehen kann: persönliche Sicherheit, Kampf gegen Kriminalität, dazu der Kampf gegen die Oligarchen, ein neues östliches Wahlkampfargument und der Kampf gegen die Eliten des Landes. Sie sagen einfach: Wir sind die Partei des Volkes, der Nation. Und dabei bekommen sie die Unterstützung der katholischen Kirche, auch von Radio Maryja. Das schafft für PiS einen starken Volkscharakter - christlich, sehr engagiert, sehr polnisch, gegen die Korruption gerichtet, als eine Kraft, die die Interessen der Schwachen verteidigt. Und dann kommt noch das Element der deutsch-polnischen Beziehungen hinzu: Da heißt es dann: Wir verteidigten die nationalen Interessen Polens gegenüber den deutschen Nachbarn und gegenüber der Europäischen Union. "
Gleich bei seinem Wahlkampfauftakt in Posen hatte Kaczynski alle antideutschen Register gezogen: Als eine der größten Bedrohungen in der heutigen Zeit geißelte er dabei den deutschen Bund der Vertriebenen. Diese Vereinigung, rief er unter dem Jubel seiner Anhänger, sei im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg von den Nazis gegründet worden. Auch EU-Parlamentschef Hans-Gert Pöttering bekam sein Fett weg. Kaczynski bezeichnete es einen Skandal, dass mit Pöttering ausgerechnet jener Mann am Jahrestreffen des deutschen Vertriebenenverbandes teilgenommen habe, der Polen auffordert, auf seine nationalen Interessen in Europa zu verzichten:
" Das, meine Herrschaften, ist unerhört und wirklich außerordentlich. Nach dieser Regel kann nur eine Sache gelten: In der Europäischen Union ist der Stärkere auch der Bessere. Und um dagegen anzukämpfen, brauchen wir einen starken polnischen Staat. "
Oppositionsführer Donald Tusk fand in der polnischen Öffentlichkeit sehr viel weniger Gehör, als er mahnte, Jaroslaw Kaczynski sei dabei, die polnische Außenpolitik in Schutt und Asche zu legen:
" Wenn wir, von der Bürgerplattform, die Wahlen gewinnen, dann wird sich die gesamte Außenpolitik Polens ändern. Heute sind die Beziehungen zu unseren Nachbarn auf dem schlimmsten Niveau seit 17 Jahren. Ich sage daher klar und deutlich: Der Erfolg Polens in der EU hängt von guten und nicht von schlechten Beziehungen zu unseren Nachbarn ab. "
Der politische Konter den polnischen Nationalkonservativen folgte auf dem Fuß, diesmal vorgetragen von Jacek Kurski, einem strengen Gefolgsmann von PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski:
" Die Bürgerplattform PO hat eine Schwäche für ein prodeutsches Klima. Unter der PO würde es wieder Gesten der Unterwürfigkeit gegenüber den Deutschen geben. Wenn PiS aber regiert, haben wir die Garantie, dass sowohl die Interessen Polens als auch das polnische Eigentum geschützt werden. "
Zu einem wirklichen Richtungsentscheid dürfte die bevorstehende Wahl in Polen beim militärischen Engagement des Landes im Irak und in Afghanistan werden. Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski will die polnischen Soldaten solange wie nötig an der Seite der US-Truppen sowohl im Irak als auch in Afghanistan kämpfen lassen. Ein Rückzug komme nicht in Frage, gibt sich Kaczynski entschlossen:
" Wir wurden zu einer Nation und einem Staat, die bemerkt werden. Die USA sind heute der einzige Staat, der uns in tatsächlich schwierigen Situationen, und die gab es schon, auch helfen kann. Wir brauchen einfach diese Allianz, und deshalb sind wir dort weiterhin trotz der schwierigen Situation. Weil die Polen nie Deserteure, Feiglinge waren. "
Bürgerplattform-Chef Donald Tusk dagegen will die polnischen Soldaten nach Hause zurückholen, sollte seine Partei das Regierungsmandat übertragen bekommen:
" Die Zeit unserer Verpflichtungen im Irak ist lange abgelaufen. Polen hat alle übernommenen Aufgaben redlich erfüllt, und Übereifer können wir uns nicht leisten. Deshalb sollte man die Soldaten aus dem Irak abziehen. "
Eine ganz wichtige Rolle bei der bevorstehenden Wahl wird natürlich auch die polnische Kirche spielen. Das erzkatholische Radio Maryja des einflussreichen Medienpfarrers Tadeusz Rydzyk hat sich bereits offen auf die Seite der polnischen Nationalkonservativen geschlagen. Die katholische Kirche dagegen hält sich offiziell zurück. Die Gläubigen, so heißt es in einem Hirtenbrief der Polnischen Bischofskonferenz, sollten für jene Kandidaten stimmen, deren politische Auffassung zumindest nicht gegen den katholischen Glauben und die moralischen Prinzipien der Kirche gerichtet seien. Kirchenkenner werten diese Stellungnahme des Episkopats zumindest als indirekte Wahlempfehlung für die nationalkonservative Partei von Jaroslaw Kaczynski. Tage vor der Parlamentswahl ist die polnische Gesellschaft polarisiert, sind die Menschen in ihren Auffassungen gespalten:
" Kaczynski denkt auch an die ärmeren Menschen und nicht nur an die Reichen! Donald Tusk ist ein Liberaler, der in enger Verbindung zum Big Business steht. Und bei mir bekommt Kaczynski auch deshalb ein Plus, weil er sich von keinem an der Nase herumführen lässt. Ich habe PiS gewählt und werde wieder PiS wählen. Das ist doch die einzige Partei, die sich wirklich um Polen kümmert und die gegen die Korruption kämpft. PiS räumt mit den Postkommunisten auf und mit der Mafia, die hier früher regiert hat. "
" Ich würde sagen, die Kaczkas, die Enten, sind wieder stark. Ihre populistischen Parolen, die spektakulären Festnahmen von Politikern - das gefällt den Menschen. Die sitzen in ihren engen Wohnungen und freuen sich, dass jetzt auch mal die Reichen verhaftet werden. "
Der polnische Ex-Außenminister und frühere Auschwitz-Häftling Wladyslaw Bartoszewski fürchtet, die noch junge polnische Demokratie könnte schweren Schaden nehmen, wenn es Kaczynski tatsächlich gelänge, für vier weitere Jahre an der Macht zu bleiben:
" Der Führer der politischen Partei, Herr Jaroslaw Kaczynski, erklärte, dass PiS allein regieren soll. Das ist keine besonders originelle Formel: Eine Partei, ein Führer, eine Zentrale, dahinter geschlossene Reihen, ohne irgendwelche Selbstverwaltungen, die sowieso vor die Hunde gehen werden, was wir im Laufe der letzten zwei Jahre schon gesehen haben. Eine starke Macht, eine starke Gewalt, das haben wir in Europa schon einmal gehabt. "
Nach den jüngsten Umfragen liegen die Nationalkonservativen und die Bürgerplattform in der Wählergunst nahezu gleich auf. Mit den Postkommunisten und Demokraten, die sich im Linksbündnis LiD zusammengeschlossen haben und mit der gemäßigten Bauernpartei PSL können sich derzeit insgesamt also vier Parteien Chancen auf einen Einzug in das polnische Parlament ausrechnen. Damit werden natürlich mögliche Koalitionsspekulationen angeheizt. Das Spektrum reicht dabei von einer großen PiS-PO-Koalition unter Führung von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski bis hin zu Voraussagen, dass die Bürgerplattform von Donald Tusk ein Regierungsbündnis mit dem Linksblock LiD und der Bauernpartei PSL schließen könnte, um Premier Kaczynski endgültig aus der Regierung zu verdrängen. Egal aber wohl, welche Option nach den Wahlen tatsächlich zum Tragen kommen wird, warnt der Politologe Eugeniusz Smolar vor falschen Erwartungen vor allem in Europa:
" Völlig unabhängig davon, wer künftig in Polen regieren wird, wird das Land ein schwieriger Partner für die Europäische Union bleiben. Wenn es PiS bleibt, wird sich an der Unberechenbarkeit des Landes nichts ändern. Wenn es eine andere Konstellation gibt, hoffe ich, dass man zwar in den prinzipiellen Fragen hart verhandeln wird, aber nicht bei den Kleinigkeiten. Aber unabhängig davon, wer an der Macht sein wird - Polen wird immer fordern als ein gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Union behandelt zu werden. "
" Im Laufe der zwei Jahre, in denen Sie regieren, haben sich knapp zwei Millionen Polen für die liberale Wirtschaft entschieden; - leider nicht bei uns, sondern in Irland, Großbritannien, Schottland, USA, Holland, Spanien. Die Polen, ähnlich wie andere Nationen, wenn sie aus einem Land in das andere flüchten, flüchten vor dem Sozialismus zum Liberalismus. Nach zwei Jahren eurer Regierung haben wir die schlechtesten Beziehungen der jüngeren Vergangenheit mit Deutschland und mit Russland. Das ergibt sich vor allem aus der drastischen Inkompetenz eurer Diplomatie. Wenn es um die Nachgiebigkeit gegenüber den Stärkeren geht, überrascht die Regierung von Jaroslaw Kaczynski am meisten mit ihrer Nachgiebigkeit gegenüber dem tatsächlichen Imperium, gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika. "
Das Fernsehduell zwischen Tusk und Kaczynski war der Höhepunkt eines insgesamt schwachen Wahlkampfes. Der polnische Premier schaltete und waltete als Regierungschef. Die Opposition dagegen war mit dem Beschluss über die Selbstauflösung des Parlaments - und damit über vorgezogene Neuwahlen - völlig außer Tritt geraten. Kaczynski gab die innenpolitischen Themen vor, und der Opposition blieb nichts weiter übrig, als zu reagieren, spricht der polnische Politologe Eugeniusz Smolar bereits von einer drohenden Fortsetzung der Ära Kaczynski:
" Ich befürchte, und ich nutze das Wort "befürchte" dabei absichtlich, dass Kaczynskis PiS-Partei bei den bevorstehenden Wahlen wieder gewinnen kann. Nicht nur wegen der Zielstrebigkeit des eigenen Wahlkampfes, der konkret war und die Massen erreicht hat, sondern weil die Konkurrenz sehr schwach war. Bei der Opposition fehlt die Konzentration auf zwei oder drei Kernbotschaften. Man weiß zwar, dass die Bürgerplattform eine Alternative zu PiS ist, aber man weiß nicht, welche inhaltlichen Vorschläge sie macht. Und die Linke, als dritte große Gruppierung, sagt von sich zwar, dass sie links ist, aber keiner sieht, worin diese Linksorientierung bestehen soll. "
Vom Wahlsieg der Nationalkonservativen um Premier Jaroslaw Kaczynski ist auch der Publizist Slawomir Sierakowski überzeugt. Die politische Opposition hat die Chance zu einem gesellschaftlichen Wandel, zu einer Rückkehr Polens als berechenbarer Partner in der Innen- und Außenpolitik leichtfertig vergeben, kritisierte Sierakowski vor allem die Zögerlichkeit von Plattform-Chef Tusk:
" Diese Wahlen wird PiS wieder gewinnen, denn wir leben in einem Land ohne funktionierende Opposition. Und das ist ein viel größeres Problem, als der Rechtspopulismus. Denn den Rechtspopulismus könnten wir leicht überwinden, wenn wir eine verantwortungsbewusste politische Klasse hätten. Aber so steht Polen eigentlich nur vor der Wahl: soll es ein Zurück in die ungerechte Dritte Republik oder ein Weiter in Richtung dieser hässlichen, unästhetischen und populistischen Vierten Republik von Kaczynski geben? "
Doch zunächst zurück in den Spätsommer, als die innenpolitische Krise in Polen eskalierte. Die damalige Rechtskoalition aus Kaczynskis nationalkonservativer PiS-Partei, aus der Bauernpartei Samoobrona des Rechtspopulisten Andrzej Lepper und der ultrarechten Liga polnischer Familien hatte mit dem Zentralbüro gegen Korruption eine außerordentlich scharfe Waffe geschaffen. Es war die Geburtsstunde einer neuen Geheimpolizei, die den regierungsamtlichen Kampf gegen die Korruption in Polen forcieren sollte. Doch das Antikorruptionsbüro CBA wurde jeder parlamentarischen Kontrolle entzogen und allein der Verfügungsgewalt des polnischen Ministerpräsidenten unterstellt. Die Opposition und die linken Medien des Landes mutmaßten schon damals, dass Premier Kaczynski mit dem CBA den entscheidenden Knüppel in jeder politischen Auseinandersetzung in den Händen halten würde. Und Kaczynskis Koalitionspartnern fehlte die Phantasie sich vorzustellen, dass sie selbst als erste das Opfer geheimdienstlicher Machenschaften werden könnten. So geschehen, als dem politisch unberechenbaren Bauernparteichef Andrzej Lepper von der Anti-Korruptions-Polizei mit Wissen des Premiers eine Falle gestellt worden ist. Lepper musste schließlich gehen, und die polnische Regierungskoalition brach auseinander. Der polnische Innenminister Janusz Kaczmarek, der Lepper vor der inszenierten Geheimdienstaktion in letzter Minute gewarnt hatte, wurde kurz darauf inhaftiert. Vize-Premier Roman Giertych, damaliger Bildungsminister und Chef der Liga polnischer Familien sprach offen von Verrat:
" Die Verhaftung ehemaliger Regierungsmitglieder entspricht nur einer, nämlich der Gangsterregel. Wir haben in Polen ein politisches Watergate. Wir haben ein Ereignis, dass es in Polen so noch nicht gegeben hat. Ein solches Vorgehen ist ein Verbrechen, und was hat das noch mit Rechtsstaatlichkeit zu tun? "
Es war bereits Anfang September, als der polnische Sejm gegen viele innerparteiliche Widerstände für die Selbstauflösung des Parlaments und damit für Neuwahlen votierte:
Das erste und auch das einzige Mal in den zwei Jahren hatten die Regierungs- und Oppositionsfraktionen weitgehend einheitlich abgestimmt. "Die Kapitulation Kaczynskis wurde angenommen", titelten am Tag danach die großen polnischen Zeitungen. Vorgezogene Neuwahlen seien der einzig mögliche Weg aus der Krise, räumte der Ministerpräsident ein, und kündigte zugleich einen harten Wahlkampf an:
" Polen muss jetzt entscheiden, ob der von uns eingeschlagene Reformweg fortgesetzt werden soll, oder aber, ob das Land in das oligarchische System der 90er Jahre zurückkehren will. Diese Frage werden wir im Wahlkampf ganz klar stellen. Und ich bin überzeugt, dass die Antwort für unseren Reformkurs ausfallen wird. "
Mit ihrem bedingungslosen Ja zu vorgezogenen Neuwahlen hat die polnische Opposition bereits einen Großteil ihrer Siegchancen aus der Hand gegeben, meint der Publizist Slawomir Sierakowski:
" Aus dem Blickwinkel der Bürgerplattform oder auch der Linken um Aleksander Kwasniewski war diese Entscheidung eine absurde Idee. Wenn man den Premier wirklich hätte besiegen wollen, dann gab es nur einen Weg: Man hätte ihn mit einem konstruktiven Misstrauensvotum aus dem Amt drängen müssen. "
Für ein konstruktives Misstrauensvotum fehlte es vor allem an der Bereitschaft von Bürgerplattformchef Donald Tusk. Der Liberal-Konservative wollte kein Zweckbündnis mit den Linken von Aleksander Kwasniewski bilden, wohl aus Sorge, eine Abstimmungskoalition mit Postkommunisten könnte Kaczynski später als Wahlkampfhilfe dienen. Hinzu kamen die Umfragewerte, die Tusk als Herausforderer fast 15 Prozent vor dem amtierenden Premier sahen. Eine politische Fehleinschätzung, die der Opposition letztlich den Wahlsieg kosten könnte, ist auch der Politologe Eugeniusz Smolar überzeugt:
" Es war ein eindeutiger Fehler von Donald Tusk, dass Kaczynskis PiS-Partei die Macht nicht entrissen wurde. Nach dem konstruktiven Misstrauensvotum hätte man eine Übergangsregierung bilden können. Man hätte die Machtwerkzeuge, wie Staatsanwaltschaft und die Polizei, unter Kontrolle bekommen. Und man hätte die Neuwahlen innerhalb von sechs Monaten in Ruhe vorbereiten können. Aber die Bürgerplattform wollte sich nicht mit nationalistischen oder linken Kräften einlassen. Sie sagten, auf dieses Niveau würden sie nicht gehen. Und dafür werden sie einen hohen Preis zahlen müssen. "
PiS dagegen entfachte einen Wahlkampf, den die von Kaczynski kontrollierten Staatsmedien bis den letzten Wickel des Landes trugen. Präsident Lech Kaczynski übernahm die Wahlkampftouren nach Großbritannien und in die USA, wo sich inzwischen Millionen polnische Wähler niedergelassen haben. Und dessen Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski übernahm die Wahlwerbung im eigenen Land und das mit viel Erfolg, wie der Politologe Eugeniusz Smolar attestieren muss:
" PiS tritt mit klaren Botschaften an, die jeder verstehen kann: persönliche Sicherheit, Kampf gegen Kriminalität, dazu der Kampf gegen die Oligarchen, ein neues östliches Wahlkampfargument und der Kampf gegen die Eliten des Landes. Sie sagen einfach: Wir sind die Partei des Volkes, der Nation. Und dabei bekommen sie die Unterstützung der katholischen Kirche, auch von Radio Maryja. Das schafft für PiS einen starken Volkscharakter - christlich, sehr engagiert, sehr polnisch, gegen die Korruption gerichtet, als eine Kraft, die die Interessen der Schwachen verteidigt. Und dann kommt noch das Element der deutsch-polnischen Beziehungen hinzu: Da heißt es dann: Wir verteidigten die nationalen Interessen Polens gegenüber den deutschen Nachbarn und gegenüber der Europäischen Union. "
Gleich bei seinem Wahlkampfauftakt in Posen hatte Kaczynski alle antideutschen Register gezogen: Als eine der größten Bedrohungen in der heutigen Zeit geißelte er dabei den deutschen Bund der Vertriebenen. Diese Vereinigung, rief er unter dem Jubel seiner Anhänger, sei im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg von den Nazis gegründet worden. Auch EU-Parlamentschef Hans-Gert Pöttering bekam sein Fett weg. Kaczynski bezeichnete es einen Skandal, dass mit Pöttering ausgerechnet jener Mann am Jahrestreffen des deutschen Vertriebenenverbandes teilgenommen habe, der Polen auffordert, auf seine nationalen Interessen in Europa zu verzichten:
" Das, meine Herrschaften, ist unerhört und wirklich außerordentlich. Nach dieser Regel kann nur eine Sache gelten: In der Europäischen Union ist der Stärkere auch der Bessere. Und um dagegen anzukämpfen, brauchen wir einen starken polnischen Staat. "
Oppositionsführer Donald Tusk fand in der polnischen Öffentlichkeit sehr viel weniger Gehör, als er mahnte, Jaroslaw Kaczynski sei dabei, die polnische Außenpolitik in Schutt und Asche zu legen:
" Wenn wir, von der Bürgerplattform, die Wahlen gewinnen, dann wird sich die gesamte Außenpolitik Polens ändern. Heute sind die Beziehungen zu unseren Nachbarn auf dem schlimmsten Niveau seit 17 Jahren. Ich sage daher klar und deutlich: Der Erfolg Polens in der EU hängt von guten und nicht von schlechten Beziehungen zu unseren Nachbarn ab. "
Der politische Konter den polnischen Nationalkonservativen folgte auf dem Fuß, diesmal vorgetragen von Jacek Kurski, einem strengen Gefolgsmann von PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski:
" Die Bürgerplattform PO hat eine Schwäche für ein prodeutsches Klima. Unter der PO würde es wieder Gesten der Unterwürfigkeit gegenüber den Deutschen geben. Wenn PiS aber regiert, haben wir die Garantie, dass sowohl die Interessen Polens als auch das polnische Eigentum geschützt werden. "
Zu einem wirklichen Richtungsentscheid dürfte die bevorstehende Wahl in Polen beim militärischen Engagement des Landes im Irak und in Afghanistan werden. Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski will die polnischen Soldaten solange wie nötig an der Seite der US-Truppen sowohl im Irak als auch in Afghanistan kämpfen lassen. Ein Rückzug komme nicht in Frage, gibt sich Kaczynski entschlossen:
" Wir wurden zu einer Nation und einem Staat, die bemerkt werden. Die USA sind heute der einzige Staat, der uns in tatsächlich schwierigen Situationen, und die gab es schon, auch helfen kann. Wir brauchen einfach diese Allianz, und deshalb sind wir dort weiterhin trotz der schwierigen Situation. Weil die Polen nie Deserteure, Feiglinge waren. "
Bürgerplattform-Chef Donald Tusk dagegen will die polnischen Soldaten nach Hause zurückholen, sollte seine Partei das Regierungsmandat übertragen bekommen:
" Die Zeit unserer Verpflichtungen im Irak ist lange abgelaufen. Polen hat alle übernommenen Aufgaben redlich erfüllt, und Übereifer können wir uns nicht leisten. Deshalb sollte man die Soldaten aus dem Irak abziehen. "
Eine ganz wichtige Rolle bei der bevorstehenden Wahl wird natürlich auch die polnische Kirche spielen. Das erzkatholische Radio Maryja des einflussreichen Medienpfarrers Tadeusz Rydzyk hat sich bereits offen auf die Seite der polnischen Nationalkonservativen geschlagen. Die katholische Kirche dagegen hält sich offiziell zurück. Die Gläubigen, so heißt es in einem Hirtenbrief der Polnischen Bischofskonferenz, sollten für jene Kandidaten stimmen, deren politische Auffassung zumindest nicht gegen den katholischen Glauben und die moralischen Prinzipien der Kirche gerichtet seien. Kirchenkenner werten diese Stellungnahme des Episkopats zumindest als indirekte Wahlempfehlung für die nationalkonservative Partei von Jaroslaw Kaczynski. Tage vor der Parlamentswahl ist die polnische Gesellschaft polarisiert, sind die Menschen in ihren Auffassungen gespalten:
" Kaczynski denkt auch an die ärmeren Menschen und nicht nur an die Reichen! Donald Tusk ist ein Liberaler, der in enger Verbindung zum Big Business steht. Und bei mir bekommt Kaczynski auch deshalb ein Plus, weil er sich von keinem an der Nase herumführen lässt. Ich habe PiS gewählt und werde wieder PiS wählen. Das ist doch die einzige Partei, die sich wirklich um Polen kümmert und die gegen die Korruption kämpft. PiS räumt mit den Postkommunisten auf und mit der Mafia, die hier früher regiert hat. "
" Ich würde sagen, die Kaczkas, die Enten, sind wieder stark. Ihre populistischen Parolen, die spektakulären Festnahmen von Politikern - das gefällt den Menschen. Die sitzen in ihren engen Wohnungen und freuen sich, dass jetzt auch mal die Reichen verhaftet werden. "
Der polnische Ex-Außenminister und frühere Auschwitz-Häftling Wladyslaw Bartoszewski fürchtet, die noch junge polnische Demokratie könnte schweren Schaden nehmen, wenn es Kaczynski tatsächlich gelänge, für vier weitere Jahre an der Macht zu bleiben:
" Der Führer der politischen Partei, Herr Jaroslaw Kaczynski, erklärte, dass PiS allein regieren soll. Das ist keine besonders originelle Formel: Eine Partei, ein Führer, eine Zentrale, dahinter geschlossene Reihen, ohne irgendwelche Selbstverwaltungen, die sowieso vor die Hunde gehen werden, was wir im Laufe der letzten zwei Jahre schon gesehen haben. Eine starke Macht, eine starke Gewalt, das haben wir in Europa schon einmal gehabt. "
Nach den jüngsten Umfragen liegen die Nationalkonservativen und die Bürgerplattform in der Wählergunst nahezu gleich auf. Mit den Postkommunisten und Demokraten, die sich im Linksbündnis LiD zusammengeschlossen haben und mit der gemäßigten Bauernpartei PSL können sich derzeit insgesamt also vier Parteien Chancen auf einen Einzug in das polnische Parlament ausrechnen. Damit werden natürlich mögliche Koalitionsspekulationen angeheizt. Das Spektrum reicht dabei von einer großen PiS-PO-Koalition unter Führung von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski bis hin zu Voraussagen, dass die Bürgerplattform von Donald Tusk ein Regierungsbündnis mit dem Linksblock LiD und der Bauernpartei PSL schließen könnte, um Premier Kaczynski endgültig aus der Regierung zu verdrängen. Egal aber wohl, welche Option nach den Wahlen tatsächlich zum Tragen kommen wird, warnt der Politologe Eugeniusz Smolar vor falschen Erwartungen vor allem in Europa:
" Völlig unabhängig davon, wer künftig in Polen regieren wird, wird das Land ein schwieriger Partner für die Europäische Union bleiben. Wenn es PiS bleibt, wird sich an der Unberechenbarkeit des Landes nichts ändern. Wenn es eine andere Konstellation gibt, hoffe ich, dass man zwar in den prinzipiellen Fragen hart verhandeln wird, aber nicht bei den Kleinigkeiten. Aber unabhängig davon, wer an der Macht sein wird - Polen wird immer fordern als ein gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Union behandelt zu werden. "