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Die Gier des Herrschers

Mit großem Erfolg wurde 1899 Nikolai Rimsky-Korsakows Oper "Die Zarenbraut" in Moskau uraufgeführt. Im Westen blieb das Werk relativ unbekannt. Nun ist es in der Staatsoper Berlin zu sehen. Regisseur Dmitri Tcherniakov gelingt es aber nicht, das Stück plausibel zu erzählen.

Von Georg-Friedrich Kühn | 04.10.2013
    Die Regie möchte ganz up to date sein. Zur Ouvertüre wird auf der leinwandweißen Courtine ein Chat der Kreml-Kamarilla, der Opritschniks, projiziert. Gesucht wird ein ihnen genehmes Taktgeber-Paar. In einem die Bühne zu einem Drittel füllenden TV-Studio werden verschiedene Gesichts- und Körperteile animiert: von Trotzki bis Jelzin. Dazu noch eine Frau. Zwölf hübsche Mädchengesichter mit Steckbrief gleiten an der Leinwand vorüber.

    Zuvor sah man in dem ans Studio angrenzenden grünen Aufnahmeraum Männer und Frauen tief vermummt in Kostümen aus dem alten Russland vor der Kamera posieren. Und danach gibt es ein Saufgelage in einem schmalen weiteren, mit einem langen Tisch vollgestellten Raum. Der Ober-Opritschnik Grigorij Grjasnoj und seine Kumpane hören sich da Berichte aus dem blühenden fernen Deutschland an, und Grjasnoj spinnt seine Fäden, um seine Geliebte Ljubascha los zu werden.

    Alles ziemlich verwirrend. Jedenfalls in diesem Szenario. Im Libretto zu Nikolai Rimsky-Korsakows Oper "Die Zarenbraut" geht es viel übersichtlicher zu: Eine Dreiecks-Liebes- und Eifersuchts-Geschichte mit historischem Hintergrund. Für den Zaren Iwan IV, genannt "Grosnij", der "Strenge" oder der "Schreckliche", berüchtigt durch sein blutrünstiges Regime im Alter – für Iwan wird überall im Land nach einer Frau gesucht, seiner dritten. Die Wahl fällt auf ein Mädchen, Marfa, das auch Grjasnoj gern zur Frau hätte, die aber einem Bojaren versprochen ist.

    Das Beziehungsgemenge endet tödlich. Durch vertauschte Liebes- und Todestränke (siehe Wagner) gibt’s am Ende drei Leichen. Grjasnoj ersticht seine frühere Geliebte Ljubascha und tötet sich selbst. Marfa, die verhinderte Zarengattin, stirbt an dem ihr versehentlich verabreichten Gift vor versammelten Studio-Darstellern.

    "Die Zarenbraut" (Zarskaja newesta) ist Rimsky-Korsakows neunte von insgesamt 15 Opern. 1899 in Moskau uraufgeführt, wird sie im Programmheft dargestellt als Rimsky-Korsakows Versuch, vom deklamatorischen Stil des sogenannten "Mächtigen Häufleins" um Mussorgsky sich abzuwenden hin zu einer neuen an Glinka orientierten Gesangskultur.

    Sehr viel deutlicher aber ist Rimsky-Korsakows Annäherung an Verdi und Tschaikowsky. Fast tongetreu hört man Anlehnungen an dessen so erfolgreichen "Eugen Onegin", zumal in den lyrischen Partien. Die Zarenwelt indes tönt in der Art von Mussorgskys "Boris Godunow". Eine eigentümliche neue Musiksprache erkennt man in dem Werk nicht.

    Daniel Barenboim am Pult der Berliner Staatskapelle bringt die Farben des als Instrumentator ja legendären Rimsky-Korsakow gleichwohl sehr kräftig zum Leuchten. Mit Johannes Martin Kränzle als beim Fäden-Spinnen sich verzockender Grjasnoj hat man einen wunderbar agilen und sonoren Sängerdarsteller in der Quasi-Titelpartie.

    Olga Peretyatko ist die etwas schmalstimmige Marfa, Anita Rachvelishvili die ungemein temperamentvolle Konkurrentin um die Gunst Grjasnojs als Ljubascha. Dmitri Tcherniakov, der als Regisseur und zugleich Bühnenbildner im Programmheft firmiert, gelingt es nicht, das Stück plausibel zu erzählen. Auch wenn er die unerklärlichen Wirkungen diverser Gifte in ein Fernsehstudio verlegt – er erstickt es in der überbordenden Bühnen-Technik. Zugleich hat er die Räume so zugebaut, dass keinerlei Spannung entsteht – außer bei Ljubaschas Auftritten. Und was er als Deutung darüber legt, bleibt schal. Schade. Das Berliner Premierenpublikum war’s gleichwohl zufrieden.