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Die Gier nach Geld

Im Dreieck zwischen Ich, Körper und Öffentlichkeit lässt René Pollesch seinen neuen Abend kreisen. Das Ich und seine Innerlichkeit, soviel ist klar, interessieren ihn in unserer individualismusversessenen Welt überhaupt nicht. Ihm geht es um den Ausdruck, die schöne Geste und ihr Geschenk an die Öffentlichkeit.

Von Eberhard Spreng | 08.09.2013
    Der Körper aber, dieses Ding zwischen Ich und Öffentlichkeit, bleibt der große Unbekannte. "Fass mich doch mal an, damit ich wenigsten ein wenig Gewissheit habe über meinen Körper", sagen die Akteure. Oft stehen sie an der rechten Vorderbühne um einen großen Aschenbecher und stecken sich eine Zigarette nach der anderen an. Auch das will die neoliberalistische Weltherrschaft den Menschen verbieten, wie der Text, diesmal etwas kalauernd beklagt.

    René Pollesch hat aus Balzacs Roman aus der Mitte des 19. Jahrhunderts keine Handlungselemente sondern eigentlich nur den Epochenkontrast geholt. Damals war es eben noch möglich, mit Gesten Menschen zu beeindrucken, zu verzaubern, zu verführen und zu belügen. Das war, bevor das Individuum sich selbst verwirklichen, authentisch sein wollte.

    "Wir können doch nicht auf die Fiktion verzichten, wir müssen sie aufrecht erhalten, auch wenn unschuldige Kinder vor uns sitzen. Das da vor uns sind nun mal Materialisten, die müssten das doch wissen, dass ich mir nicht die Maske vom Gesicht reißen kann: Die Wahrheit ist nicht zu gebrauchen!"

    Martin Wuttke steckt zunächst in einem Fellhemd, dann in einer Priestersoutane, schließlich in einem altmodischen Frauengewand, matte Zitate aus der Typologie des Balzac-Romans. Bravourös spielt er dieses ungeschickte Beharren, mit dem der humorvoll-subversive Pollesch-Text auf Mainstream- Moden und Gerede losgeht. Neben ihm überzeugt vor allem Birgit Minichmayr, die hastig kapriziöse Körperhaltungen mimt, von Pose zu Pose wechselt, um ironisch zu untermauern, was mit dem Theater der Gesten gemeint ist: Ein Ausdruck, dem nun wirklich kein authentischer Seelenzustand zugrunde liegt. Den "Verfall und Elend des öffentlichen Lebens" beklagt Pollesch, die unästhetische Überschwemmung der Öffentlichkeit mit privaten Ich-Zuständen. Urkomisch ist das, weil der Autor und Regisseur seine metaphysischen Diskurse über Öffentlichkeit und Theater immerfort im banalen Alltagsschlamm absaufen lässt, weil seine fünf Akteure wie aufgeregte Weltverbesserer sich ständig in ihrer eigenen Rede verstolpern und dann noch eine riesige leere Bühne bespielen sollen, die eine einzige große Show-Biz-Metapher ist: In allen Regenbogenfarben flimmernde Lamettafäden vor den Seiten und dem Rundhorizont. Zweimal rennen sie im großen Kreis, lassen das ständige Flimmern in einen Lichtwirbel umschlagen, in dem die Wahrnehmungen verschwimmen. Einmal auch lässt Pollesch zu dröhnend lauten, dramatischen Orchesterklängen auf der leeren Bühnen einen großen Ballon umherschweben und an die Glitzerwände stoßen. Ein gewaltiges und leeres Bild – Eine große Theatergeste als pure schöne Form. Dann wieder tanzt Martin Wuttke mit diesem Ballon, ungeschickt graziös, herrlich komisch. Auch der Boden in diesem Bert Neumann Dekor ist aus spiegelnden Flächen zusammengesetzt. Vom Spiegel, dem bevorzugten Trainingsinstrument beim Einüben der Gesten, ist immer wieder die Rede. Aber hier ist er eher hinderlich und bringt die ohnehin durch ihre Selbstbefragung verwirrten Ichs vollends durcheinander.


    - Ich würde so etwas nie zu dir sagen, oder vielmehr zu ihm, die da, du würdest so etwas nie zu mir sagen, oder zu ihm, ihr, dich ...
    - ... was denn, ich habe den Faden verloren, oder er, wir haben den Faden verloren, oder ihn, oder sie oder mich, alles ist weg.
    - Aber ich war das nicht, nein er, er war das nicht, nein du, du warst das nicht, sie war das nicht ...
    - Sie war wer nicht ...
    - Er, er war sie nicht, oder du ...


    Komödiantisch brillant ist dieser Abend, in dem sich aus der klugen Geschwätzigkeit schließlich ein Satz immer mehr herausschält: "Ich mache das doch nicht für mich, ich mache das für dich" und "Man muss lieben". Wie das geht, weiß man nicht. Aber nicht nur unterhaltend sondern auch inspirierend ist, wie uns der komische Nostalgiker Pollesch vor Augen hält, dass das innerhalb der herrschenden Umgangsformen fast ausgeschlossen ist.