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Die Gier nach Macht

Seit Nicolas Sarkozy der französische Präsident ist, hat man den Eindruck, das politische Leben in Frankreich habe sich in eine Seifenoper verwandelt. Von den Mechanismen eines Machtmenschen erzählt das Stück "Tasmanien" von dem bekannten französischen Gegenwartsautor Fabrice Melquiot. Da sich in Frankreich angeblich kein Theater getraut hat, "Tasmanien" auf die Bühne zu bringen, erlebt das Stück nun am Theater Bonn seine Premiere.

Von Dorothea Marcus |
    Im Stück "Tasmanien" geht es um den Präsidentschaftskandidaten Conrad Cyning, der Frankreich in eine Art Disneyland verwandelt. Er studiert seine Reden vor einem hechelnden Hundechor, der gleichzeitig als mörderische Geheimpolizei fungiert. Er stellt hemmungslos sein Privatleben aus, um von der Politik abzulenken, nimmt Drogen wie Hustenbonbons, und seine Reden sind übergroße Fürze.

    Er meuchelt mit eigenen Händen den Tierarzt, weil seine Hündin gestorben ist und hält sich den Teufel als engsten Berater. Und er bewohnt so große und protzige Wohnungen, dass sogar sein eigener, etwas debiler Sohn darin verlorengeht. Aber Cyning kümmert sich lieber darum, dass die Homestories mit Frau gut aussehen. Das Stück ist eine surreale Politsatire, flott geschrieben wie ein Wellmade-Play, mit grotesken und albtraumhaften Zügen. Doch ist es wirklich ein Stück über Nicolas Sarkozy? Der Autor Fabrice Melquiot:
    "Das Thema ist, was die Gier nach Macht für animalische Instinkte in einem Politiker hervorrufen kann - einen Durst, der größer ist als er. Tatsächlich war Sarkozy nur der Ausgangspunkt, es gibt nicht eine einzige direkte Anspielung, glauben Sie mir. Es ist eher ein Stück über Frankreich. Ich bin zutiefst befremdet, wie sehr die persönlichen Geschichten der Politiker die Geschichte meines Landes geworden sind.

    Man erzählt uns Märchengeschichten von Prinzen und Prinzessinnen, Legenden, die von PR-Leuten erfunden wurden. Und letztlich trägt es dazu bei, uns alle zu infantilisieren. Frankreich heute ist in einem permanenten Unterhaltungszustand, im Tiefschlaf - während wir die Blutbäder nicht bemerken."
    Es ist gewiss ein schwieriges Unterfangen, den politischen Zustand eines Landes auf dem Theater zu zeigen, ohne dabei klischeehaft oder apodiktisch zu werden. In Bonn versucht Regisseur Klaus Weise, dem Stoff durch quietschbunte Überinszenierung beizukommen. In zwei edlen Glasloften stolzieren die politischen Akteure in blütendweißen Anzügen umher, in der Mitte liegt ein hechelnder Hund, der gerade entbindet - in Bonn ist es ein Haufen Pelzmantel und Blondhaar, eine grotesk deformierte Frau, aus der ein blutiger Welpe wird.

    Er wird Conrad Cyning fortan hechelnd und unterwürfig begleiten. Der Präsidentschaftskandidat wechselt zwischen Charisma und Cholerik. Er brüllt seine Assistentin an und macht ihr gleichzeitig erotische Avancen, er trägt natürlich eine RayBan-Sonnenbrille unter der Napoleonsmütze und wirft sich gequält in hektische Bodybuilder-Posten auf einem Tisch voller bunter Partydrogen. Ein Wellness-Kandidat, der vor lauter Machtgier hyperventiliert, während er ständig für seine große Rede trainiert - in Trikoloreanzug vor einer Meute mit comichaften Hundemasken.
    "Soldaten. Schon in zwei Monaten bin ich der Präsident dieses Landes. Und wir werden gemeinsam heulen. Tasmanien! Ich werde euch die Rede unterbreiten, die ich nächste Woche in Fos-sur-Mer halten werde vor 15.000 Anhängern. Ihr kennt die Bedeutung dieses Treffens, ihr deutschen Schäferhunde, Cockerspaniel. So jung für Frankreich zu sterben... Junge Leute, nutzt eure Chance, lasst euch mit 17 erschießen. Denkt an die Arbeit, ihr Nichtstuer. Ich sage aus tiefstem Herzen: Ihr seid Hohlköpfe, die gut dran täten, sich mal so richtig ins Zeug zu legen..."
    Kommentiert wird der Kampf um die Macht von einem Heer vulgärer Begleiter, deren Sinn und Funktion dem Zuschauer mehr und mehr entgleiten. Ein rosa Teufelchen mit groß ausgestattetem Lendenschurz, nackte Männer mit Strümpfen auf den Gliedern, Nachtclubsänger, Drogenkuriere und ein Fernsehmoderator, der sich aufhängt. Und natürlich Frauen, Carla Bruni-ähnliche Geschöpfe in Unterwäsche, eine hysterische Gattin in Knallrot, die ihren Gatten mit einem diabetischen Fettkloß betrügt.

    Zum Schluss taucht auch noch die Konkurrentin bei den Wahlen auf, Marie Santa-Vulva in Reifrock und barocker Frisur. Und natürlich der alternde Präsident, ein Kleinwüchsiger tollt mit einer Chirac-Maske vor ihm her, damit es auch jeder begreift.

    All dies ist so klamaukig und übertrieben inszeniert, dass jede politische Aussage zum Allgemeinplatz wird. Sicher, die Politik ist Showbusiness. Sicher, der Wille zur Macht kann zuweilen zum animalischen Trieb werden. Doch es so grellbunt und pseudowitzig auszustellen, langweilt maßlos - und erstickt jede Analyse eines politischen Zustands im Keim.

    Vielleicht wäre diesem Stück mit einem ernsten Zugriff zu helfen gewesen, in dem die surrealen Elemente sich wie nebenbei einschleichen und jenen tiefen Ekel vor der politischen Klasse ausdrücken, den der Autor wohl empfunden hat. Doch so ist peinliches, pseudo-provokatives Zeigefingertheater daraus geworden.