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"Die Globalisierung ist nicht der einzige Faktor"

Anlässlich des Welternährungstages hat Armin Paasch von der Internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN auf die Ursachen des Hungers in der Welt hingewiesen. Nach seiner Einschätzung leiden beispielsweise Kleinbauern in den Entwicklungsländern unter Billigexporten aus der EU und den USA.

Moderation: Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Der heutige Welternährungstag wird nicht umsonst auch Welthungertag genannt. Denn jedes Jahr erinnert der 16. Oktober daran, dass auf der Welt noch immer viele Menschen an Hunger leiden, trotz aller internationalen Bemühungen und trotz aller internationaler Organisationen, die sich diesem Thema annehmen. Und trotz dieses Engagements stehen auch sie immer wieder in der Kritik. Zum Teil kommt die auch von ihren eigenen Mitarbeitern.

    Und am Telefon ist jetzt Armin Paasch von der Internationalen Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren, kurz FIAN. Guten Morgen!

    Armin Paasch: Guten Morgen!

    Kaess: Herr Paasch, dass es der Globalisierung geschuldet ist, dass immer mehr Menschen hungern, wie wir gerade in dem Beitrag gehört haben, ist das auch Ihre Meinung?

    Paasch: Die Globalisierung ist natürlich nicht der einzige Faktor. Aber ich denke, dass sie schon ein wichtiger Faktor ist. Nehmen wir beispielsweise den Agrarhandel. Die Entwicklungsländer sind seit Anfang der 80er Jahre durch die Weltbank und den IWF und später auch durch die WTO zur Öffnung ihrer Märkte gedrängt worden. Und diese Märkte werden dann oft durch Billigexporte aus der EU und aus den USA überschwemmt, und die Kleinbauern werden dann oft von ihren Märkten verdrängt. FIAN und Brot für die Welt haben kürzlich eine Studie veröffentlicht über die Auswirkungen der Liberalisierung auf die Reisbauern in Ghana, Honduras und Indonesien. Das Resultat war ganz klar, dass das Recht auf Nahrung dieser Bauern massiv verletzt wurde. Ein Beispiel ist Ghana, wo der IWF auf unrühmliche Weise und mit dem Druckmittel von Entwicklungsgeldern verhindert hat, dass Ghana die Bauern durch Zölle geschützt hat. Derzeit ist es auch so, dass die EU beispielsweise in den Verhandlungen um Economic Partnership Agreements mit den afrikanischen Staaten massiv Druck ausübt, dass diese Marktöffnung auch weitergeht. Das ist natürlich ein sicheres Rezept für den Hunger beispielsweise für Tomaten- und Geflügelbauern oder auch für Milchbauern in Afrika.

    Kaess: Herr Paasch, das ist die eine Seite der Globalisierung. Aber um mal beim Beispiel Afrika zu bleiben. Südafrika, das gern als wirtschaftlicher Motor für den Kontinent gesehen wird, profitiert ja durchaus von der Globalisierung, weil sich die Wirtschaft des Landes entwickelt, was dann wieder den Menschen im Lande zugute kommt. Kann man also alles auf die Globalisierung abwälzen?

    Paasch: Nein, ich denke nicht. Allerdings muss man auch sehen, dass die Effekte der Politik im südlichen Afrika, die von Südafrika ausgehen, teilweise schon auch mit der Globalisierung zu tun haben. Globalisierung ist ja nicht nur eine Geschichte, die von Norden nach Süden läuft. Beispielsweise konnten wir beobachten in Sambia, dass die Milchbauern dort mit Importen aus Südafrika zu kämpfen haben, Milchimporten. Und dass diese Bauern es immer schwieriger haben, sich auch gegen diese Importe zu wehren. Das heißt, ich möchte auch nicht sagen, dass die Globalisierung jetzt an allem schuld ist.
    Beispielsweise kann man gerade im südlichen Afrika sehen, dass, obwohl 70 Prozent der Bevölkerung dort auf dem Land lebt, nur 5 Prozent des Staatshaushaltes im Schnitt für die Landwirtschaft investiert wird. Das ist zu wenig. Das ist eine Vernachlässigung genau der Menschen, die besonders von Hunger betroffen und bedroht sind, nämlich den Kleinbauern und den Menschen, die in der Landwirtschaft beschäftigt sind.

    Kaess: Sie haben es angesprochen. Die Nahrungsmittel werden auf dem Weltmarkt immer teurer. Nun fordert der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, wie wir im Beitrag gehört haben, dass die Preise für die Lebensmittel wieder dadurch gesenkt werden durch ein weltweites Biospritmoratorium. Ist das die richtige Lösung?

    Paasch: Ich denke, dass Ziegler zu Recht vor den Folgen einer ungehemmten Produktionsausweitung von Mais, Soja und Raps für Agrotreibstoffe warnt. Wir sehen aus der Perspektive des Rechts auf Nahrung vor allem drei Probleme. Einmal, dass Nahrungsmittelproduktion und auch kleinbäuerliche Produktion dadurch von ihrem Land verdrängt werden können. Zweitens, dass die Rechte von Landarbeiterinnen und Landarbeitern auf den Großplantagen massiv verletzt werden. Und drittens eben das, was Sie gesagt haben, dass die Lebensmittelpreise für die städtischen Armen in den Entwicklungsländern sehr stark ansteigen können und dass dadurch zusätzlicher Hunger entstehen kann. Wir denken, dass die EU derzeit in dieser Frage eine unverantwortliche Politik betreibt. Sie hat beschlossen, dass bis 2010 5,75 Prozent des Autotreibstoffes aus so genanntem Biotreibstoff stammen soll, ohne diesem Problem Rechnung zu tragen. Standards gibt es bisher nicht. Derzeit bereitet die Bundesregierung eine Nachhaltigkeitsverordnung dazu vor. Allerdings sind die Ökostandards doch noch sehr schwach, und die Sozialstandards sind dort überhaupt nicht vorhanden.

    Kaess: Auf der anderen Seite, Herr Paasch, wenn ich hier mal einhaken darf, geht es hier um den Klimawandel, der letztendlich in seiner Folge wieder Konflikte und damit auch Hunger produzieren wird.

    Paasch: Das ist richtig. Allerdings bei dem bisherigen Stand der Technik ist es so, dass Biosprit nicht Bio ist. Deswegen habe ich gesagt "so genannter Biosprit." Nach den bisherigen Berechnungen, beispielsweise auch der Weltbank, wird für die Produktion von Biotreibstoffen bisher mehr CO2 verbraucht als dadurch eingespart wird. Das heißt, man kann überhaupt nicht sagen, dass das bisher umweltverträglich ist oder den Klimawandel bekämpft.

    Kaess: Sie haben es schon mehrmals angesprochen. Auf der einen Seite fordern Sie Handelsliberalisierung, was den Welthandel betrifft. Auf der anderen Seite kritisieren Sie eben diese Handelsliberalisierung in den Entwicklungsländern, die der Internationale Währungsfonds und die Weltbank vorschreiben. Wie passt das zusammen?

    Paasch: Ich habe nicht gesagt, dass ich Handelsliberalisierung fordere. Ganz im Gegenteil. Für Entwicklungsländer muss das Gegenteil eintreten. Hier müssen Spielräume geschaffen werden und Spielräume erhalten werden, damit Entwicklungsländer in der Lage sind, ihre Märkte vor Billigimporten, besonders aus dem Norden, zu schützen, Billigimporten, die hoch subventioniert sind. Ein Beispiel, wo dies nicht geschehen konnte, ist Ghana, wo die Regierung 2003 sich gegen diese Massenimporte aus den USA, Thailand und Vietnam wehren wollte durch einen erhöhten Schutzzoll. Und der Internationale Währungsfonds hat das verhindert mit dem Druckmittel der Entwicklungsgelder. Das ist etwas, was überhaupt nicht angeht. Hier sehen wir eine massive Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung.

    Kaess: Welche Ursachen für Hunger, Herr Paasch, machen Sie noch aus in den Ländern, in denen Sie arbeiten und welche Rolle spielen Konflikte?

    Paasch: Ja, beispielsweise denken wir, dass viele Regierungen von Entwicklungsländern durchaus stärker mit den Eliten verbandelt sind als mit den Kleinbauern, die wir fördern müssten, um den Hunger zu bekämpfen.

    Kaess: Das heißt, die müssen auch zur Verantwortung gezogen werden?

    Paasch: Durchaus. Nehmen wir das Beispiel Goldminen. Viele Regierungen fördern Goldminen oder auch Staudämme, die dann zur Vertreibung von vielen Menschen, besonders Kleinbauern, führen. Da kommt es diesen Regierungen dann öfters auf den Profit an und nicht auf die Menschenrechte. Hier muss auf jeden Fall gegengesteuert werden. Ein anderes Beispiel ist Entwicklungshilfe. Deutschland hat beispielsweise in den 80er Jahren noch neun Prozent der Entwicklungshilfe für Landwirtschaft ausgegeben. Heute sind es nur noch 2,9 Prozent. Das heißt, auch international ist ein Umsteuern notwendig. Das heißt, dass mehr ein größerer Anteil der Entwicklungshilfe tatsächlich zu den Menschen gehen muss, die von Hunger betroffen sind, nämlich zu den Kleinbauern.

    Kaess: Bleiben wir noch mal in den Ländern selber. Ein prominentes Beispiel ist Simbabwe. Das Land galt lange als Kornkammer für das südliche Afrika. Mittlerweile hungern die Menschen, weil der Machthaber Mugabe das Land ökonomisch in den Ruin treibt. Was muss in den Länder selber passieren? Was erzählen Ihnen die Regierungen in den Ländern, in denen Sie arbeiten?

    Paasch: Ich denke, in den Ländern des Südens ist zunächst einmal eines notwendig, nämlich den Ärmsten den Zugang zu den produktiven Ressourcen zu geben, zu Land, zu Saatgut, zu Wasser, zur Infrastruktur und auch zu den lokalen Märkten.

    Kaess: Und wie können Sie da die lokalen Regierungen unter Druck setzen?

    Paasch: Ich denke, der Druck, der kann einerseits von unten kommen. Wir arbeiten mit vielen Bewegungen, beispielsweise mit der landlosen Bewegung in Brasilien zusammen, die tatsächlich durch Demonstrationen, durch Landbesetzungen Druck macht auf die Regierung. Wir können diese Bewegung unterstützen durch internationale Briefaktionen, beispielsweise durch Lobbyarbeit, durch Untersuchungsreisen. Und wir können die unter Druck setzen durch die Entwicklungszusammenarbeit, wenn diese Entwicklungszusammenarbeit tatsächlich im Sinne der Armen arbeitet und nicht im Sinne europäischer und amerikanischer Wirtschaftsinteressen.

    Kaess: Armin Paasch von der Internationalen Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren. Vielen Dank!

    Paasch: Vielen Dank auch!