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Die gloriose WHITE QUEEN. Ein Abenteuer

Allzu häufig kommen Schiffe nicht in der deutschen Gegenwartsliteratur vor. Johannes Schenk war einer, der in den siebziger Jahren Seefahrergeschichten schrieb; Felicitas Hoppe ließ mit ihrer Erzählung "Pigafetta" vor drei Jahren das abenteuerliche Genre auferstehen. Jetzt meldet sich Gerold Späth von Bord. Sein Schiff heißt WHITE QUEEN, im Untertitel verspricht der - gemessen an früheren Titeln des Rapperswiler Autors - mit knapp 140 Seiten vergleichsweise kurze Lesetrip "ein Abenteuer". Es handelt sich bei dieser Prosa um eine reine Kopfgeburt, nicht um eine empirisch nachvollziehbare Reisebeschreibung. Wir befinden uns weder diesseits noch jenseits vom Äquator, wir befinden uns in Phantasialand.

Hajo Steinert |
    Und wild geht es gleich los, Windstärke zehn noch auf dem Land. Der Arbeit und Abenteuer suchende Ich- Erzähler mit Namen Keller kommt in einem Kaff mit dem Namen Port San Cerbone an einer gewissen Big Bay an und wird auf der WHITE QUEEN anheuern, die aber entgegen des Versprechens im Buchtitel alles andere als ein "glorioses" Schiff ist. Es handelt sich um einen heruntergekommen Raddampfer, um ein "Kehrichtschiff", einen "Mülldampfer" mit einer noch heruntergekommeneren Mannschaft. Die Kerle hören auf Namen wie aus der Augsburger Puppenkiste: der Kapitän heißt Mandersson, der Obermaat Tukui und der Heizer Sumner, einer ist ein Chinese, ein anderer ein Zwerg, ungehobelte Burschen sind sie alle. Wenn der Autor sie miteinander kommunizieren lässt, dann reden sie nicht miteinander, sie - wir zitieren in Auswahl - stottern, schrillen, kläffen, schnappen, bellen, quaken, raunzen, quietschen, blitzen, fletschen, wiehern und glucksen sich an.

    Der Auftrag der ungehobelten Seeleute ist dubios: draußen auf dem Meer soll "dieser ganze Dreck" der Zivilisation in die Bay geschüttet werden. Doch ehe die WHITE QUEEN in See sticht (Hilf, Greenpeace, hilf!), werden wir erst einmal von einem Überfallkommando traktiert. Das Überfallkommando hört auf Gerold Späth, der einen erzählenden Kämpfer mimt, von dem man kaum annehmen darf, daß er bei der Verrichtung seines Auftrags immer ganz nüchtern war. Vor lauter "Gewimmel Staub Gedränge und Radau" findet sich nicht nur der Ich-Erzähler in dem Hafenort nicht zurecht, sondern auch nicht wir Leser. Schon ehe wir das Schiff betreten sind wir seekrank: "Dröhnender Verkehr auf dem hitzeflirrenden Boulevard zur Big Bay hinab. Leuchtschriften zucken und jucken. Der Himmel gleißt gelb", heißt es in spätexpressionistischer Manier, und der Autor schwelgt und schwelgt weiter in krassen Bildern, gerät von einer Beschreibungsekstase zur anderen: "Oben der Himmel ein rotglühendes Viereck mit schwarzen Rändern, plötzlich von Dunkelheit überschwemmt. Die Nacht fällt herab wie eine Klappe."

    Und nachts, da geht man natürlich in eine Spelunke. In Port San Cerbone heißt sie "Vieux Quartier". Während alle da mächtig saufen, gerät der Autor in einen Rausch der Alliterationen: "Da schummert Schimmerlicht, da schimmern schräg herausgestellte Schenkel und es blinkt und glitzert, es wird gelächelt, gewippt, geschnalzt." Der Überfall der Verben ist piratenstark: schnappen, schnauben, schlucken, schlottern, schnaufen, schwitzen, schleifen, schwappen, schnarren, schniefen, schallern. Für andere Buchstaben gäbe es ähnliche Beispiele. Kein Wunder, daß der Erzähler angesichts seiner überschwappenden, überbordenden Rhetorik schon früh konstatieren muß: "Das Herz trommelt mir den Kopf leer."

    Und so betreten auch wir benommen endlich die WHITE QUEEN, nicht ohne, daß unser Abenteurer und Anführer eine entscheidende Klippe genommen hätte: "Die Herren Speditionsfirmenbosse fertigen mich speditiv ab." Herr Keller gerät unter ihm selbst nicht ganz klaren Begleiterscheinungen aufs Schiff. Alles ein Alptraum? Ein böses Märchen? Eine Parabel? Aber auf was? Oder alles nur Nonsense? Eine Irreführung des Lesers? -Jedenfalls fährt das Schiff eigentlich immer im Kreis herum, so wie sich die Phantasien des Autors Späth immer im Kreise drehen, das Abenteuer tritt auf der Stelle, an Bord wird gerotzt und geraunt, gestampft und gedampft, geschwitzt und geschuftet, auf einem Schiff voller Maulaffen will sich keine nacherzählenswerte Handlung einstellen, außer, daß der Autor gelegentlich seine Kenntnisse über die griechische Mythologie und Grimms Märchen aufblitzen läßt, einen Faible für die Sprache des Comics besitzt - alles Qualitäten, die leider für den zusammenhanglosen Zusammenhang auf dem Schiff voller Narren leider keine definitiv auszumachende Funktion haben.

    Und so sind wir dann irgendwie für einen Moment erleichtert, daß sich ein blinder Passagier auf dem Dampfer befindet. Einer, der unserem Abenteurer allerdings vollends den Kopf verdreht. Masha heißt sie, Keller zappelt, schwitzt, schnappt nach Luft und dichtet (für alle, die die Orthografie des folgenden Hymnus überprüfen wollen, wir befinden uns auf Seite 63f.): "Sehr bewegliche Schwenkel/Sind deine Schenkel/Masha/Du wogende Wiese/Du weidende Herde im Feld/Stürmische Planken/Sind deine Flanken/Dein Atem ist Kuckuck/Und prall die Pracht/Deiner Hüftgen/Masha/Deine Brüstchen/Sind strotzenden Früchtgen/Sturmwind dein hitziger Hauch/Masha/Mein Entzücken Verrücken bistu/HonigSalzMoschus/Pfeffer und Schnaps".

    Vielleicht muss man Seemann sein, um die abenteuerlichen Qualitäten dieses Buchs angemessen zu würdigen. Wir Landratten aber, wir gehen seekrank von Bord, ehe die WHITE QUEEN wieder in den Hafen einläuft.