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Die Glotze als Babysitter

Dem digitalen Fernsehen sei Dank: Nun können sich Großmütter und Großväter wieder um ihre Hobbys kümmern. Schließlich müssen sie nicht mehr mit ihren Enkelkindern in Bilderbüchern blättern oder ihnen Gute-Nacht-Geschichten vorlesen. Diese Aufgabe übernimmt jetzt der Fernsehapparat! Jedenfalls im Anschlussbereich des Kabelnetzbetreibers BW, der ein in der deutschen Fernsehlandschaft wirklich einmaliges Programm serviert.

Von Klaus Deuse |
    Ja, Kabel BW ist es mit dem digitalen Kabel gelungen, in den bislang letzten fernsehfreien Raum der Menschheit vorzudringen. Mit Baby-TV rückt die Glotze nämlich bis an die Säuglings-Wiege vor. Axel Dürr vom Kabelbetreiber begründet diesen bahnbrechenden Einspeisungs-Entschluss.

    " Unsere Strategie ist es generell, sehr viel Free-TV-Inhalte unseren Kunden anzubieten, um einfach den Übergang vom analogen Fernsehen in diese unglaubliche, vielfältige digitale Welt zu erleichtern."
    Da werden die Kleinkinder aber große Augen machen. Und was erwartet die unmündige, windelfüllende Zielgruppe im Alter bis zu drei Jahren bei "Baby-TV"? Assoziierende Farben und Formen in der Art eines bewegten Bilderbuches sowie in Zeitlupe wachsende Blümchen oder übers Feld hoppelnde Häschen. Und Wortfetzen, die nur Babys verstehen.

    Baby-TV läuft übrigens rund um die Uhr, so als ob die Zielgruppe nie ein Auge zu tun würde. Man möchte fast von einem Quantensprung in der Kinderbetreuung sprechen. Mussten bislang Onkel und Tante mit den Kleinen noch Türme aus Bauklötzen bauen, so können die Winzlinge von nun an Gleichaltrigen dabei auf der Mattscheibe zusehen, ohne selbst einen Finger krumm machen zu machen. Nur für das Gedudel althergebrachter Spieluhren scheinen die digitalen Pioniere noch keinen Ersatz gefunden zu haben.

    Ob eine solche ständige TV-Berieselung überhaupt einen entwickungspädagogischen Sinn macht, also ob der Fernsehapparat menschliche Anleitung ersetzen kann, diese Frage stellt sich für Axel Dürr vom Kabelbetreiber einfach nicht:

    " Ein Kabelnetzbetreiber hat sicher nicht die Aufgabe, moralische, ethische, pädagogische Entscheidungen zu treffen, sondern da geht es knallhart, ob der jeweilige Sender eine gültige Lizenz hat - und dann kann dieser Sender ins Kabelnetz eingespeist werden."

    Und Baby-TV hat diese Lizenz. Mit der Fernbedienung den Kanal zu wechseln, das schaffen die Säuglinge sowieso nicht. Bei Baby-TV handelt es sich übrigens um eine israelische Produktion. Bundesdeutschen Babys kann das Wurst sein, weil: Babygebrabbel kennt nun einmal keine Grenzen. Und wenn es sich bei der Ankündigung, via TV auch erste Worte zu lernen, nur um englische Vokabeln handelt, obwohl sich Mama und Papa rund um die Wiege ganz anders anhören, dann ist das aus Sicht des Kabelbetreibers nicht weiter tragisch.

    " Letztendlich kann es durchaus sein, dass Kleinkinder, wenn sie mit englischen Wörtern konfrontiert werden, und sie sind ja bis zu drei Jahren in einem Alter, wo sie sehr schnell lernen können, dass das ganz gut für ihre Entwicklung ist."
    Schließlich stehe später in der Schule Englisch sowieso auf dem Stundenplan. Wer weiß, wenn ganz viele Babys ungefragt Baby-TV kucken müssen, vielleicht steht Deutschland demnächst bei PISA-Studien ganz vorn an der Spitze. Fragt sich bloß, was dabei sonst noch außer Hochdeutsch auf der Entwicklungsstrecke eines Kleinkindes bleibt.