Archiv


Die glühenden Eisen von Ybbsitz

In Ybbsitz in Niederösterreich ist das Schmiedehandwerk eine alte Tradition. Bereits seit dem elften Jahrhundert siedelten sich in dem kleine Ort an der Ybbs zahlreiche Metallkünstler an. Aber auch heute wird die Tradition gepflegt: Zur Adventszeit treffen sich Schmiede aus ganz Europa auf dem Marktplatz zur Schmiedeweihnacht. Die Besucher des Weihnachtsmarktes können ihnen beim Schmieden am offenen Feuer zusehen, Glühwein trinken und Krapfen essen.

Von Joachim Dresdner und Steffi Mehlhorn |
    In den Bergwäldern der Voralpen liegt ein altes Städtchen. Der Ort hat seinen Namen von einem munteren Flüsschen: Ybbsitz an der Ybbs.

    "Das Besondere bei uns in Ybbsitz ist, überall wo man steht, hört man das Wasser fließen, von hier aus dem Bach, und es ist ja auch das Wasser gewesen, neben dem Wald, neben dem Holz, das sich hier die Schmiede angesiedelt haben."

    Es muss einst laut geklungen haben, das Klopfen der Hämmer in den über zwanzig Schmieden! Als Kind habe das Schmiedefeuer an seinem Schulweg geleuchtet, frühmorgens, wenn es noch dunkel war. Das ist lange her. Inzwischen ist aus dem Schulbuben der Bürgermeister geworden. Das die Feuer noch immer lodern, daran hat Josef Hofmarcher einen großen Anteil, auch wenn nur noch wenige Hammerschmieden in Betrieb sind. Geschmiedet wird alles, was das Eisen hergibt: Werkzeuge, Geschirr, Schmuck, Kunst- und Gebrauchsgegenstände. Wahre Metallkünstler sind sie, die ihr Können gern weitergeben, so wie das Alfred Habermann, der Meister aller Schmiede, bis zu seinem Tode Ende April 2008 gehalten hat.

    Habermann war ein "Weltreisender" in Sachen Schmiedekunst. Fast auf allen Kontinenten hat er Kurse gegeben und bei jungen Leuten das Feuer der modernen Metallgestaltung entfacht. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Habermann in Ybbsitz. Ein Beispiel seiner Gestaltungskunst finden wir auf dem Weg zum Marktplatz. Es ist eine fünf Meter hohe Sanduhr, die Bürgermeister Hofmarcher vor unseren Augen in Bewegung setzt.

    "Das ist eine Riesensanduhr und wurde beim Internationalen Schmiedefest im Jahr 2000, von 18 Schmieden aus ganz Europa unter der Leitung von Professor Habermann gefertigt. Und es ist unwahrscheinlich, diese Sanduhr, sie wird immer wieder ja von Menschen aus der Bevölkerung händisch aufgezogen. Und wenn ich vorbei gehe, eigentlich jeden Tag, fließt der Sand, fließt die Zeit und das ist ganz, ganz was Einmaliges. So, jetzt werde ich ein bisschen schneller, weil der Sand ist jetzt wieder oben, und jetzt beginnt er wieder zu fließen. So jetzt fließt wiederum der Sand beziehungsweise die Zeit."

    Wenn die Zeit des alten Jahres abläuft, wenn im Winter, kurz vor Weihnachten, die Dunkelheit hereinbricht, dann beginnt in Ybbsitz die Schmiedeweihnacht. Auf dem Marktplatz und entlang der Drei-Kilometer langen Schmiedemeile lodern Feuer, sprühen Funken, dass es eine Art hat. Umgeben von Düften aus der Weihnachtsbäckerei, wärmen sich am Wochenende vor Weihnachten Gäste aus Nah und Fern mit Punsch und Glühmost an den Schmiedefeuern:

    "Und da stehen die Leute und genießen die einen warmen Krapfen mit Marmelade und Zucker, das ist ja ganz was Feines. Und heraußen wird warmer Tee den Besucher verabreicht und das braucht man auch, weil: Es ist doch immer sehr kalt. Dann schneit es, ja, die ersten Flocken stellen sich ein, Schnee liegt schon."

    Vor dem mächtigen Südturm der Ybbsitzer Pfarrkirche leuchten hell die Lichter des Weihnachtsbaumes. Adventsmärkte gibt es viele, aber nur einer holt die Schmiedefeuer auf den Marktplatz.

    "Es ist so, dass an die acht bis zehn Schmiedefeuer verteilt aufgestellt sind. 15 bis 20 Schmiede arbeiten permanent vor den Augen des Publikums. Und da tut sich einiges. Natürlich es gibt herrliche Produkte dann in unserer Galerie, wo wir jene Arbeiten, die mitgebracht werden, dann für die Schmiede verkaufen, in einem schönen Verkaufsraum. Und das sind hochqualitative Schmiedeprodukte, hier erhältlich."

    Bei der Schmiedeweihnacht in Ybbsitz geht es um Eisen, um die Kunst des Schmiedens und um fast vergessene Kunstfertigkeiten wie Schnitzen, Drechseln, Spinnen, Porzellan und Glas malen. Begleitet von Glühmost- und Krapfendüften, lassen kräftige Männer aus verschiedenen Regionen Europas ihrer Fantasie beim Schmieden weihnachtlicher Leuchter freien Lauf.

    "Ich bin an der Schmiedemeile aufgewachsen und dort ist mein Elternhaus, mein Schulweg war zirka drei Kilometer lang. Das ist genau der Weg der Schmiedemeile und ich denke noch immer zurück. Wenn man vorbei gegangen ist, am morgen, wo es noch finster gewesen ist, aus dem Fenster hat das Feuer gestrahlt. Man hat die Leute arbeiten gehört - und das verpflichtet einen dann, da hat man dann schon gesagt, das muss man auch weiter erhalten, weiterpflegen, weitertragen."

    Wir sind in einer der ältesten europäischen Industrieregionen! Die ausgedehnten Waldungen an der Ybbs gehörten Jahrhunderte lang dem Stift Seitenstetten. Kein geringerer als der Erzbischof Wichmann von Magdeburg, durch dessen Wirken der friedliche Handel aufblühte, hatte 1174 das Gebiet um Ybbsitz dem Stift geschenkt. Die Stiftsherren bestimmten, was und wie viel produziert werden durfte, damit die Einnahmen stimmten. In dem Städtchen waren die Bedingungen gut: Holz und Wasser kamen aus den nahen Wäldern. Wasser zum Betreiben der schweren Hämmer. Das Eisen kam aus der Steiermark. Ein Hammerwerk hat sich der Metallkünstler und Schmied Sepp Eybl wieder hergerichtet. Einst wurden darin Schaufeln und Hauen geschmiedet.

    "Und in Ybbsitz hat es 28 solcher Hammerwerke gegeben und an die 600 Personen, die direkt mit dem Eisen zu Werke waren und - zum Beispiel: Es hat auch andere Gewerke gegeben, da drüben, das war eine Drechslerei. Die haben die Stiele hergestellt für die Werkzeuge."

    Sepp Eybl strahlt Kraft aus, ist schlank und stolz auf sein Wirken. Er hat sich ”diese Heimat ausgesucht”, nachdem er in der halben Welt unterwegs gewesen war. Bis zu seinem 40. Lebensjahr arbeitete Eybl in der Industrie. Seit 1996 ist er selbständig, als freischaffender Künstler und Schmied. Seine Schmiede ist an die 500 Jahre alt. Sie sei zur Hälfte "abgemorscht” gewesen, sagt Eybl. Nun funktioniere das meiste wieder:

    Die Besitzer der Hammerwerke nannte man die "Schwarze Grafen". Noch heute künden reich verzierten Häuser von ihrem Reichtum.

    "Die Schmiedefeuer, die sind immer wieder interessant, für Jung und Alt, ob das Kinder sind oder Männer, irgendwo sind die Kinder auch in den Männern versteckt und die Frauen sehen sich halt das Schöne, das Gediegene dieser Werke an. Und so ist für jeden was dabei."

    Es ist die einzigartige Atmosphäre, die Gäste und Besucher anlockt. Aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, der Ukraine und sogar aus Russland kommen Schmiedeleute und Metallkünstler. Freundschaften sind entstanden. Die Gäste finden inzwischen Herberge bei Ybbsitzer Familien:

    "Jetzt zum Beispiel grade wieder sind zwei aus der Slowakei hier und bei der Schmiedeweihnacht ist in ganz Ybbsitz "full house", da gibt es fast keine leeren Betten und auch bei mir zu Hause werden Schmiede sein, wahrscheinlich aus Norddeutschland, ein guter Freund von mir, der kommt mit seiner Familie."

    Der Eybl Sepp ist in Eile, denn bis zur Schmiedeweihnacht soll noch einiges fertig werden:

    "Dieses Mal ist das Thema Leuchten, also man kann schon im weitesten Sinne mit Leuchten auch etwas christliches verbinden, mit Kerzenleuchtern, mit Kerzen."

    Mag für die Besucher die Ybbsitzer Schmiedeweihnacht Romantik pur sein, für die Schmiedeleute ist es harte Arbeit:

    "Eher fachlich orientierte Gegenstände, die man kaufen kann. Natürlich kommt das Trinken nicht zu kurz, es gibt auch Punschstände, verschiedenste Glühmoste und so weiter, aber kein Kitsch."

    Jeder habe seine Nischen, meint Bürgermeister Hofmarcher, wichtig sei eine gute handwerkliche Arbeit. Schließlich wolle sich Ybbsitz nicht nur gegenüber den 26 Gemeinden der niederösterreichischen Eisenstraße behaupten.

    Mit Schmiedegemeinden in ganz Europa pflegen die Ybbsitzer Kontakte und als Präsident des Vereines "Ring Europäischer Schmiedestädte" war Hofmarcher bis nach Donezk in der Ukraine unterwegs.

    Die Schmiedeweihnacht findet nun zum elften Mal statt, hat 1989 klein begonnen und ist inzwischen die größte Veranstaltung der Gemeinde. Handwerklichen Angebote rund um das Schmiedefeuer gibt es nirgendwo anders. Und alle machen mit!

    Am Ende der Schmiedemeile, auf der Anhöhe hinter Ybbsitz, treffen wir den jungen Schmied Thomas Hochstädt in einem alten Sägewerk, das er inzwischen fast vollständig zu einer Schmiede umgebaut hat.

    Ursprünglich kommt er aus Dresden, studierte Philosophie, erlernte das Schmiedehandwerk und war drei Jahre weltweit auf Wanderschaft. Die Schmiedehochburg Ybbsitz war eines der ersten Ziele auf seiner Tour, da lebte der Schmiedeprofessor Habermann noch. Für Thomas Hochstädt war das ein Grund später wiederzukommen. Seit 2004 ist er nun Ybbsitzer und in diesem Jahr eröffnete er seine eigene Wirkungsstätte:

    "Tannhäuser Schmiede, gegenüber die Tannhäuser Höhle, was gibt es Schöneres, links ein Berg, rechts ein Berg umgeben von Wald, man stört niemanden, da ist der Bach, das Wasser ist klar."

    Hochstädt, der Wanderbursche von der Elbe, ist inzwischen Schmiedemeister. Ausschlaggebend für seine Entscheidung, hier sesshaft zu werden, sei vor allem ein Grund. Das kam…

    "...durch eine Frau, durch eine Ybbsitzerin. Wir haben jetzt geheiratet, am 4. Oktober."

    Die beiden lernten sich kennen, als Hochstädt - noch als Wandergeselle - am Markt in Ybbsitz ein Geländer schmiedete, kein Handy dabei hatte und telefonieren musste. Doch wo und wie? Vielleicht gegenüber im Büro einer Baufirma?

    "Und da hat mal der Polier gesagt, da fragst mal ganz höflich, da sitzt eine hübsche Sekretärin. Na ja - und da hat sie mal gefragt, was das für eine komische Kluft ist, die ich anhabe und da habe ich gesagt: Ja, das liegt da und da ran, aber das ist eine lange Geschichte, die werde ich dir mal bei einem Kaffee erzählen und dann war ich nach der Wanderschaft 1 1/2 Jahre in Kalifornien und habe da als Schmied gearbeitet und da hat sie mich drei Mal besucht und da habe ich auch gesehen, dass ich ihr auch was bedeute. Und seitdem bin ich hier."

    In der Tannhäuser Schmiede: Seine "Nische" sind eher die handwerklichen Produkte wie Fenstergitter, Feuerkörbe, Geländer und Dinge, die jeden Tag am Bau gebraucht werden. Die Schmiedeweihnacht beschäftigte Hochstädt schon länger:

    "Eigentlich seit ich auf Wanderschaft bin, war ich immer mit dabei, Kristalle schmieden, da habe ich eine überdimensionale Schneeflocke gemacht, dann Schmuck, dann Sterne, dann war die Krippe. Das ist immer sehr gemütlich, weil, das ist wie so ein kleines Schmiedetreffen. Die Schmiede, die man lange nicht gesehen hat – da kommt man mal wieder zusammen. Dann gibt es auch guten Schnaps in Ybbsitz und für die Leute ist das natürlich auch interessant, weil: Es ist kalt und dann brennt ein Feuer, es ist zeitig dunkel und das ist schon immer etwas, was die Leute fasziniert."

    Thomas Hochstädt ist viel herumgekommen, hat fachlich wie menschlich Erfahrungen sammeln können und will davon den Jüngeren etwas weiter geben, zum Beispiel in der Schmiedeakademie in Ybbsitz.

    "Die ist neu. Erst seit diesem Jahr, Ende September, da war der Auftakt. Jugendliche haben die Möglichkeit, das Schmieden als kreatives Hobby zu erlernen. An Samstagen trifft sich der Nachwuchs in der Welser Schmiede."

    Das jahrhundertealte Hammerwerk wurde von der Seniorchefin der Firma Welser und Mäzenin, Waltraud Welser, zur Verfügung gestellt und originalgetreu wieder hergerichtet. Auf historischem Boden arbeiten die zwölf bis 19-Jährigen unter fachlicher Anleitung.

    "Wenn man plötzlich vor der Aufgabe steht, man soll was schmieden: Kann man nicht erst das Eisen warm machen und dann überleg ich mir, was ich mache, weil: Es wird ja schnell wieder kalt und da muss man schmieden. Es wäre schön, wenn die ganze Gruppe dann einen Leuchter zur Schmiedeweihnacht macht, dass auch die Jüngeren sich in Form von einem Leuchter präsentieren können."

    Thomas Hochstädt und die Tochter Alfred Habermanns, Christine sind quasi Dozenten. Christine ist die künstlerische Leiterin, Thomas ist der Handwerker, der Schmied.

    "Und es wird jungen Schülern oder Jugendlichen die Möglichkeit gegeben, dieses Handwerk ein bisschen zu erlernen und in diesem Handwerk oder mit diesem Material kreativ zu sein. Und es werden sich bestimmt Jugendliche entwickeln, die dann vielleicht einmal Metallkünstler werden."
    Die Firma Welser, den Namen gibt es in Ybbsitz seit 1664, war einst eine kleine Pfannenschmiede. Daraus ist heute ist eine Firma mit 1700 Mitarbeitern und Niederlassungen in ganz Europa geworden.

    Und die alte Welser Schmiede wurde zur Werkstatt. Dort fand Alfred Habermann Erfüllung, zusammen mit seiner Tochter Christine, die nun dabei ist, sein gestalterisches Erbe auf eigenen Wegen anzutreten:

    "In Nürnberg in der St. Lorenz-´Kirche, Kathedrale, ist dort mein Portal eingeweiht worden, das ist eine Kerzenwandinstallation, das ist eine moderne Gestaltung aus Eisen. Und das ist ein wunderschöner Auftrag für mich gewesen, der auch die Jahrhunderte dann auch bleiben wird."

    Ihre Galerie hat Christine Habermann im ersten Stock eines historischen Bürgerhauses am Marktplatz eingerichtet, gegenüber dem Schmiedemuseum.

    Ihrem Vater hat Christine Habermann in einem der hellen Räume ein anschauliches Denkmal gesetzt. Wie kein anderer verband er Handwerk und Kunst miteinander. Vor zehn Jahren, 1998 war es, erinnert sich Bürgermeister Hofmarcher, beim ersten Schmiede-Fest, dem "Ferraculum":

    "Und auf einmal ist ein Ybbsitzer Schmied auf mich zugestürmt und hat gesagt, da ist der Habermann in Ybbsitz, der Professor Habermann. Habe ich gesagt, wer ist das? Hat er gesagt: Das ist dasselbe wie für die Christen der Papst, so ist das der Papst für die Schmiede."

    "Und man muss sagen, dass Ybbsitz in den letzten, letzten acht Jahren wirklich schon zu einer Metropole für die Kunstschmiede geworden ist. Es ist wirklich Tatsache, dass Schmiede aus der ganzen Welt - vor allem aus Europa hierherkommen und sich austauschen, also einerseits in der Sprache des Handwerks, aber andererseits durch die zwischenmenschliche Kommunikation. Also es ist egal, ob jemand englisch spricht oder tschechisch oder ukrainisch; wirklich, es verstehen sich alle. Und das ist ein wunderschönes Beisammensein."

    Das liegt an der guten handwerklichen Arbeit, die bei der Schmiedezunft in ganz Europa Anerkennung gefunden hat.

    Ebenso wichtig aber ist das Zusammenspiel der Entscheidungsträger vor Ort in den Gemeinden. Daran hat der Ybbsitzer Bürgermeister einen großen Anteil. Das hat sich weit herumgesprochen, denn die Ybbsitzer haben gewonnen, aus ihrer Nähe zu Osteuropa, weil auch von dort geschickte Handwerker kommen.

    " Wenn man zur Schmiedeweihnacht also zurückblicken, ist für mich die Schmiedeweihnacht wirklich eher ein zusammenkommen von den Menschen. Die ganze Atmosphäre, man steht draußen, es ist zwar eiskalt, aber es brodelt das Feuer. Man steht mit einem Schnaps oder einem Glühwein zusammen. Das ist einfach fein!"

    Zur Schmiedeweihnacht ist irgendwie jeder seines Glückes Schmied. Findet jeder sein Glück beim Schmieden? Wer weiß? Fahren Sie doch einfach mal hin, nach Ybbsitz, am Flüsschen Ybbs in den Bergwäldern Niederösterreichs.
    Traditionsschmiede in Ybbsitz an der Ybbs.
    Traditionsschmiede in Ybbsitz. (Joachim Dresdner)