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Die Gotik

Gleich drei Neuerscheinungen widmen sich aus unterschiedlichen Perspektiven einer Epoche, deren gewaltige Kathdralen bis heute faszinieren: Jürgen Kaiser porträtiert die "Gotik im Rheinland", Martin Papirowski und Susanne Spröer widmen sich den "Giganten der Gotik". Stephan Gasser, Katharina Simon-Muscheid und Alain Fretz untersuchen "Die Freiburger Skulptur des 16. Jahrhunderts".

Von Beatrix Novy | 26.12.2011
    Als die Gotik noch nicht Gotik hieß, standen ihre Kirchen und Kathedralen mittendrin im Leben. Metzger wetzten ihre Messer an ihren Steinen, Händler bauten ihre Läden und Hütten an und um sie herum. Achteten die Leute, die am Fuß eines gotischen Doms die Marktstände besuchten, auf die unerhörte Konstruktion aus Stützen und Streben, die das Bauwerk umgab? Bewunderten sie die Feinheit und Fragilität, die Baukunst, die ungeheure Lasten ableitete und enorme Bauhöhen ermöglichte? Oder sahen sie nur grauen Stein, blinde Fenster – zog also alles sie hinein, erst zum reich geschmückten Portal, dann nach innen, wo sie der Vorschein des Paradieses erwartete? Die Romanik hatte dicke Mauern gebaut,

    "… so dick, dass sie auch ein Tonnengewölbe tragen."

    Erklärt der Theologe Arnold Agenendt, der am Buch "Giganten der Gotik" mitarbeitete.

    "Jetzt geht die Gotik hin und sagt, nein, ich baue ein Strukturwerk, ich schaue genau, wo die Kraftlinien verlaufen, das fange ich auf durch ein architektonisches Strukturwerk, mit Schwibbögen und so weiter, und da kann ich die Wände weglassen. Nicht nur aus Baulust, sondern ich kann damit eine ganz neue Idee verwirklichen: die Hoffnung auf das Himmlische Jerusalem, in der Offenbarung des Johannes ist das die Stadt aus dem Himmel, aus Glas, mit goldenen Straßen, 12 Toren, in der Mitte der Altar – die Himmelstadt!"

    Und kein Buch über den Kirchenbau der Gotik versäumt es, sich in die Gemüter der mittelalterlichen Menschen hineinzuversetzen, denen beim Eintreten in einen der großen Dome die unverwöhnten Sinne geschwunden sein müssen. Aus "niedriger Häuser dumpfen Gemächern" kamen sie ja, gewöhnt an erdfarbene Stoffe, lehmige Wände, enge Gassen.

    "Giganten der Gotik"
    Diesen Punkt der mittelalterlichen Lebenswirklichkeit berührt immer wieder das Buch "Giganten der Gotik" von Martin Papirowski und Susanne Spröer, ein Gemeinschaftsprojekt des DuMont Buchverlags und der ARD. Ein Buch zum Film, das erzählt und erklärt.

    Wie ist es aber möglich – so fragt man sich angesichts dieser gotischen Gebirge aus Stein -, dass man auf meterdicke Wände verzichten kann?

    Das in einer Zeit, die so etwas wie Baustatik noch nicht kannte' Und Stützpfeiler, die eine solche, vorher ungekannte Höhe tragen konnten, gibt es doch gar nicht.

    Durch die im Vergleich zu den romanischen Bauten filigrane, massearme Bauweise der Gotik lasten auf den Säulen enorme Querkräfte. Diese Schubkraft muss aufgefangen werden. Das geschieht mithilfe der Strebepfeiler, die seitlich vom Baukörper auf eigenen Fundamenten ruhen. Sie leiten die Schubkräfte ab. Sie sind kein Zierwerk, sondern elementare Stütze des Baus. Ihnen gilt die ungeteilte Aufmerksamkeit der Baumeister.

    Im Eifer, das Strebewerk so elegant wie möglich zu halten, geriet es oft zu dünn, dann musste es verstärkt werden. Daher die vielen Brücken, Seitenstreben, Mauerübergänge, die gotische Kathedralen so vielfältig und abenteuerlich machen. Abenteuerlich waren sie sowieso. Die Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner, die auch an "Giganten der Gotik" mitwirkte, sagt:

    "Man wollte immer höher und schlanker, dann hat man bei jedem Bau die Grenzen erweitert, so lange, bis es schiefging. Wir haben ja nur die Bauten, die stehen geblieben sind, die eingestürzten sind nicht mehr da. Und die gab's auch, Baumeister, die die Grenze überschritten, dann haben alle anderen gelernt, so geht es nicht, da müssen wir was anderes probieren. Es war immer ein Ausprobieren."

    Unfälle gehörten trotzdem nicht zum Alltag an einer Kathedralen-Baustelle, vielleicht deshalb waren die Abstürze einzelner Baumeister vom Gerüst so spektakulär und erhielten ihren Namen der Nachwelt: Wilhelm von Sens, der Erbauer der Kathedrale von Canterbury, oder der legendäre Kölner Dombaumeister, Meister Gerhard, der mit dem Teufel paktiert hatte, das wussten die Leute damals ganz sicher.

    "Wir sind keine Kathedralenmenschen mehr" stellte in den 50er-Jahren Hans Jantzen in seinem Buch "Die Kunst der Gotik" fest, wir können die erstaunliche, rauschhafte Bewegung schwer verstehen, die im 12. und 13. Jahrhundert, von St. Denis über Chartres und Amiens nach England und Deutschland um sich griff. Überall begann man, diese gewaltigen Kirchen zu errichten, Tausende strömten zu den Baustellen und arbeiteten mit, ohne Aussicht, das fertige Bauwerk je zu erleben. Die Kunst der Steinmetze entfaltete sich, auch die der Glasmaler, denen die aufgelösten Wände nunmehr Raum für unerhörte farbige Bilderzählungen gaben. Für die Entstehung der Gotik in Frankreich gibt es allenfalls ein Geflecht von Ursachen, die in Giganten der Gotik aufgeführt werden:

    Die politische Lage ist relativ stabil und das Klima mild, Mobilität, wirtschaftliches Wachstum und eine gewisse geistige Aufgeschlossenheit fördern Erfindungen und Entwicklungen. Es ist eine Zeit des Wandels, ein Jahrhundert, das in die Zukunft weist, ein Vorbote der Moderne.

    Barbara Schock-Werner: "Was auch erstaunlich ist und bewundernswert, dass diese Baumeistergeneration des Hohen Mittelalters international und eng vernetzt war. Das heißt eine Form oder Technik, die im Herzen Frankreichs entwickelt wurde, war einige Jahre später im Osten des Deutschen Reichs bekannt. Es gab nicht das Abschotten, gerade die Steinmetze bewegten sich europaweit, das hatte mit Bauhütten zu tun, und innerhalb der Zunft wurde das Wissen ganz rasch verbreitet und weitergegeben."

    So brachte Wilhelm von Sens den gotischen Geist und Stil nach England und baute die Kathedrale von Canterbury. Seine Lebensgeschichte, eine der wenigen überlieferten, trägt zur Lebendigkeit dieses Buchs bei, das seine Inhalte gern personalisiert, um die historischen und kunstgeschichtlichen Tatsachen des für die meisten so fernen Mittelalters verständlich zu machen. Da ist es natürlich wunderbar, dass Wilhelm von Sens uns schon in Ken Folletts Bestseller "Die Säulen der Erde" begegnet ist. Oder dass man Robert de Luzarches, der die Kathedrale von Amiens entwarf, dieses Wunder an Höhe, Vorbild für den Kölner Dom, dass man also Robert de Luzarches den "Henry Ford des Mittelalters" nennen kann, weil er sich arbeitsteilige Methoden der Rationalisierung ausdachte. "Giganten der Gotik" erzählt seine Geschichten mit Bildern des Films: Dokuszenen und Aufnahmen der Kirchen. Die gehen selten ein her mit dem Text, und wenn vom Triforium die Rede ist, findet man gar keine Abbildung. Aber dem berühmten Geist der Gotik wird jeder näher gekommen sein, der das Buch gelesen hat und den Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner so einkreist:

    "An den Baumeistern der frühen Gotik bewundere ich, wie sie mit den wenigen grafischen, rechnerischen, aber auch handwerklichen Mitteln in relativ kurzer Zeit einen Stil entwickeln können, der so überzeugend ist, dass wir ihn noch heute bewundern, und was mich fasziniert an gotischer Baukunst, dass es eine ganze mathematisch-berechnende Baukunst ist, die einen höchst emotionale Wirkung hat."

    Angesichts der Karriere, die das Bild des gotischen Doms in der Imaginations-Geschichte des 19. und 20. Jahrhundert gemacht hat, von Victor Hugo bis Walt Disney, ist es schwer, sich zu erinnern, dass Gotik mal ein Schimpfwort war. Dass ihr Namensgeber, Giorgio Vasari, Verfasser der ersten Kunstgeschichte, auf die Goten zurückgriff, weil er diese Architektur barbarisch fand - Produkt der dunklen Zeit des Mittelalters, während der das für Vasari weit höher stehende Rinascimento in Italien schon blühte.

    "Gotik im Rheinland"
    So abgeneigt oder gleichgültig schaute man dann auch jahrhundertelang auf die Wahrzeichen der Gotik, ließ den Kölner Dom unvollendet stehen, verschleuderte und zerstörte viele kostbare Kirchen zur Zeit der Französischen Revolution - bis das 19. Jahrhundert, angefeuert vom nationalen Zeitgeist, die Gotik entdeckte. Die Denkmalpflege mit ihrem Anspruch auf Stilreinheit wurde geboren und präparierte die Kirchen aus ihren Anbauten und ihrer Alltäglichkeit heraus, entfernte, wenn möglich, alles Ungotische, später Hinzugekommene. So sehen wir unsere gotischen Kirchen heute in der Wirklichkeit, und so, nein sogar noch besser sehen wir sie in einem faszinierenden Bildband: "Gotik im Rheinland". Geschrieben von Jürgen Kaiser, fotografiert von Florian Monheim.

    "Wenn ich in eine Kirche komme, wo hässliche Möbel rumstehen, oder anderes, was den Eindruck stört, da fallen viele Blicke schon weg, dann muss ich suchen."

    Einen barocken Altar oder Renaissance-Lettner wird man in diesem Buch nicht finden: Nur die reine Lehre, aber die ist überraschend vielfältig und oft wunderbar bunt. Auch wenn die hier in Text und Bild vorgestellten Kirchen immer noch nur eine subjektive Auswahl des Autors Jürgen Kaiser darstellen, hätte der Laie sich soviel Gotik allein im Rheinland gar nicht träumen lassen. Florian Monheim, der Fotograf, erklärt die Bandbreite:

    "In Kalkar ist die Kirche richtig vollgeräumt, aber gotische Ausstattungsstücke, deshalb fantastischer Eindruck. Altenberg, wirken total nüchtern, aber hat auch Reiz. Fenster sind grau, manchmal winzig kleine Farbflecke, aber grau. Dadurch sieht man erst den Formenreichtum, weil da keine Altäre, keine Wandmalereien, hat beides seine schönen Seiten."
    Bevor von Aachen bis Wesel Kirche für Kirche en gros und Detail vorgestellt wird, erzählt Jürgen Kaiser in einem chronologischen Einführungskapitel, wie der gotische Baustil im Rheinland Einzug hielt und sich verbreitete. In welchen Bauten das französische Vorbild direkt Einfluss nahm; wie die Gotik in ihrer späten Zeit am Niederrhein noch einmal blühte, im Gefolge des niederländischen Wirtschaftsaufschwungs; wie im 16. Jahrhundert die Glasmalerei in Köln einen Höhepunkt erreichte; und wie schließlich die ersten Renaissance-Elemente in die gotischen Formen eindrangen. So wie, das wird auch in diesem Buch deutlich, die Gotik in ihren Anfängen nicht vom Himmel fiel, sondern sich in manchen romanischen Bauten ankündigte.

    Unmittelbar nach der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert tauchen im Formenrepertoire des spätromanischen Kirchenbaus im Rheinland Einzelformen auf, die eindeutig der gotischen Architektur Nordfrankreichs entlehnt sind. Diese verdrängen jedoch zunächst die lokale Bautradition, sondern werden immerhin ein halbes Jahrhundert lang in den spätromanischen Massenbau bereichernd integriert.

    Normannisches Rippengewölbe und Spitzbogen sind in diesen Kirchenbauten keine Gegensätze, und Beispiele für diesen Übergangsstil, den Jürgen Kaiser keinesfalls Vorläufer nennen würde, gibt es viele, in Bonn , Köln, Andernach, Limburg. Der erste, der mit der spätromanischen Tradition brach, und einen französisch-hochgotischen Kirchenbau in Auftrag gab, war 1235 der Trierer Erzbischof Theoderich von Wied.

    "Die Liebfrauenkirche in Trier!"

    Das ist Florian Monheims erklärte Lieblingskirche:

    "Die hat einen einzigartigen Grundriss, Zentralbau, Vierungsturm, der erste gotische Bau in Deutschland, danach kam Köln, Altenberg."

    Wie ein Gebirgsmassiv wirkt im Eingangsbild des Trierer Kapitels die vom Klostergarten aus aufgenommene Liebfrauenkirche in ihrer Verschränkung mit dem römisch-romanisch-barocken Dom. Doch die folgende Doppelseite wird von einem ganz kleinen, aber hier übergroßen Detail eingenommen: im hellen Stein hängende staunende Augen, ein ratlos geöffneter Mund, ein Gesicht, geformt aus Blättern.

    "Man muss Geduld haben. Ich mache immer erst das Wichtigste, das Licht aus. Pfarrer oder Küster fragen mich immer: "Soll ich Licht anmachen", da sage ich Nein. Dann sieht man erstmal überhaupt nichts, dann treten aus der Dunkelheit die Sachen heraus. Und weil's dunkel ist, muss man lange belichten, ich belichte eine halbe bis 2 Stunden. Bis vor kurzem habe ich noch mit einer Großbildkamera gearbeitet, wie vor 100 Jahren, mit einem Tuch überm Kopf."

    In Detailansichten offenbart sich die Gotik genauso wie in den fulminanten Aufnahmen von dem, was sie landläufig ausmacht: den Kreuzrippengewölben, den emporstrebenden Diensten, den riesigen farbigen Fenstern, den Deckengewölben, von denen Florian Monheim aus dem einem symmetrischen Punkt heraus schwindelerregende Bilder gemacht hat.

    "Man muss sich erstmal den Punkt suchen, meist ein Symmetriepunkt, muss man an Pfeilern ablese, wo ist Mitte, Stativ mit Wasserwaage, drehen, dann wird belichtet, einmal in England 2 Std. belichtet. Hinterher kann man jedes Detail erkennen, jede Malerei."

    Auch die Blattmaske an der Konsole eines Gewölbedienstes.

    "Die meisten Menschen sehen das nicht, wenn sie in der Kirche sind."

    Ob Nahaufnahmen von lichten Laubwerkkapitellen, ob Blicke durch die Länge des Kirchenschiffs vom Westwerk in den Chor, auf bemalte Decken, Grisaille-Fenster, bunte Glasmalereien oder steinerne Stifterfiguren in ihren grauen und braunen Farbtönen: Soviel Perfektion in Dramaturgie und Qualität der Reproduktion ist selten. Dem Lochner-Altar im Dom zu Köln begegnet man in diesem Buch derart direkt, dass die Gefahr besteht, ihn in natura gar nicht mehr sehen zu müssen - kleiner Scherz. Im Gegenteil: Zu jedem Gotteshaus, zu dem Jürgen Kaiser die Geschichte erzählt – und Text und Bild sind in diesem Buch aufs Beste synchronisiert -, möchte man hinfahren. Etwa vielleicht mal zum Hof Iben bei Fürfeld, auch wenn erst geklärt werden muss, wo das liegt. Denn:

    Dort erhebt sich inmitten eines bäuerlichen Anwesens, das auf den Resten einer Niederlassung der Tempelritter steht, der als einziger Teil der Anlage erhaltene Chor der Ordenskirche. Dieses Juwel der Frühgotik ist ein verkleinerter Nachbau jener Kapellen, wie sie zwischen 1211 und 1220 am Chorumgang der Reimser Kathedrale entstanden.

    Der Siegeszug der Gotik birgt noch viele entlegene Zeugnisse – auch wenn die Bilderstürmer der Französischen Revolution allein in Köln fast 100 gotische Kirchen und Kapellen auf Abbruch versteigern ließen, sie also dahin beförderten, was sie für den Müllhaufen der Geschichte hielten. Dabei gingen, neben den Bauwerken selbst, die ungeheuren Werte verloren, die zu ihnen gehörten: Die Fenster, hoch, bunt und diffizil wie nie zuvor in der Geschichte, und die Skulpturen, die zu Tausenden die Kirchen bevölkerten. Beide waren die Medien, mit denen die biblischen Erzählungen den einfachen Menschen vermittelt wurden. Das Titelbild von "Gotik im Rheinland" zeigt nicht umsonst Figuren an den Pfeilern des Kölner Doms. Sie prägten die gotische Kunst; noch einmal der Theologe Arnold Agenendt:

    "Das 12. Jahrhundert steht unter dem antiken Sprichwort 'Lerne dich kennen, ergründe dich, wer du bist'. Es kommen porträtartige Gesichtsdarstellungen auf, in diesem Sinn hat die Plastik einen interessanten Stellenwert. Also eine neue Dimension von Selbstbewusstheit, von Selbstwerdung."

    "Die Freiburger Skulptur des 16. Jahrhunderts"
    Die Spätzeit und gleichzeitig ein goldenes Zeitalter dieser Entwicklung betrachtet das zweibändige Werk "Die Freiburger Skulptur des 16. Jahrhunderts". Gemeint ist das schweizerische Freiburg, Fribourg, das stolz ist auf eines der größten zusammenhängenden Ensembles spätgotischer Skulptur. Das Buch ist das Ergebnis einer Ausstellung, vorangegangen war ein Forschungsprojekt, für das drei Wissenschaftler den gesamten Bestand nach historischen, kunstgeschichtlichen und restauratorischen Gesichtspunkten ausleuchteten. Auch hier geht es um die Skulptur als Medium eines Zeitalters, in dem das geschriebene Wort für die meisten noch keine Rolle spielte. Die viel besuchten Brunnen, wo die Menschen täglich Wasser holten und ihr Vieh tränkten, wurden zu genau diesem Zweck mit Figuren ausgestaltet.
    Brunnen waren die wichtigsten profanen Bildträger, die sowohl die katholische Freiburger als auch die reformierte Berner Obrigkeit auf hohem künstlerischen Niveau und mit großem finanziellen Aufwand einsetzten.

    Denn wir befinden uns jetzt schon im Jahrhundert der Reformation. Weil Freiburg sich gegen sie entschied, hat es heute mehr Bildwerke als reformierte, ikonoklastisch gesinnte Städte, die ihren Bildhauern und Malern nichts zu verdienen gaben. So entfaltet sich ein reiches Bild spätmittelalterlicher Altäre, Wappen, Ornamente. Und Plastiken, die noch einer Zeit des Typus, der immer wieder angewandten Vorlage angehören, deren individueller Ausdruck dennoch frappiert. Ausdrücke von Schmerz, Freude, Nachdenklichkeit wiederholen sich in den absichtsvollen Gegenüberstellungen gleichartiger Figurentypen und wirken doch überaus gegenwärtig. Die Farbigkeit der Bekleidungen erweckt einen jungen Heiligen oder eine Madonna in den fototechnisch präzisen Abbildungen zum Leben, ein heiliger Blasius, üppig in Rot und Gold gewandet, hat ein Gesicht, das von Johannes Grützke gemalt sein könnte. Wie diese Figuren entstanden, wer sie in Auftrag gab, wer sie herstellte, das alles erfährt man in diesem Buch. Es wiegt etwa drei Kilo und ist jedes Gramm wert.

    Jürgen Kaiser: Gotik im Rheinland. Fotografiert von Florian Monheim. Greven-Verlag Köln 2011, 48 Euro.

    Martin Papirowski und Susanne Spröer: Giganten der Gotik. Die Baukunst der Kathedralen. DuMont Buchverlag Köln 2011, 29,95 Euro.

    Stephan Gasser, Katharina Simon-Muscheid, Alain Fretz: Die Freiburger Skulptur des 16. Jahrhunderts: Herstellung, Funktion und Auftraggeberschaft. Bd. 1 und 2. Mit Fotografien von Primula Bosshard. Michael Imhof Verlag 2011, 98 Euro.