Archiv


Die Graue Passion

Für 13,2 Millionen Euro hatte das Land Baden-Württemberg den Zyklus "Die Graue Passion" , mithilfe zahlreicher Sponsoren, vom klammen Donaueschinger Hause Fürstenberg gekauft – allein: Das "uneinheitliche Erscheinungsbild" der Tafeln gab 2003 Rätsel auf.

Von Christian Gampert |
    Die um 1500 entstandenen, beidseitig bemalten sechs Tafeln, ursprünglich Teil eines Flügelaltars, waren irgendwann gespalten worden; das Haus Fürstenberg, das die zwölf Stationen des Martyriums Christi Mitte des 19.Jahrhunderts erwarb, gab 1918 eine bis heute umstrittene Restaurierung bei dem Düsseldorfer "Wiederhersteller" Paul Gerhardt in Auftrag, der großzügig übermalte und vor allem die Farbe der Hintergründe veränderte. 1941 restaurierte die für die Fürstenberg-Sammlungen zuständige Marga Eschenbach die "Geißelung" und die "Kreuzabnahme Christi" in der Überzeugung, daß die ölvergoldeten Strahlenkränze am Kopf der Figuren nicht zu Holbeins originärer Konzeption gehörten.

    Und so weiter. Wir müssen uns also klarmachen, daß unsere Wahrnehmung spätgotischer Kunstwerke nicht nur von Altersspuren, sondern oft auch von der Phantasie fragwürdiger Restauratoren gelenkt wird. Ein Forschungsprojekt der Staatsgalerie hat die Tafeln nun mit Stereomikroskopen untersucht und Farbproben entnommen, um festzustellen, was die originale Malschicht Holbeins war, was Nachdunkelung, was Firnisvergilbung und was Übermalung ist.

    Bei der Fülle der Ergebnisse kann man einiges Vertrauen in die nun gezeigte Restaurierung haben – wobei die Forscher nicht nur auf alte Dokumentationen und Briefe zurückgriffen, sondern auch auf Parallelen zwischen den Bildern setzten. Die jetzt präsentierte Fassung der "Grauen Passion" unterscheidet zwei in der Farbtönung klar voneinander getrennte Zyklen: Die ursprünglichen Außen-Flügel des Altars mit einer beeindruckend konzentrierten Halb-Grisaille-Malerei, in der das statuarische, einheitliche Grau der Gewänder das Inkarnat, die Haut der Hände und Gesichter, umso mehr leuchten läßt - und Judaskuß, Geißelung und Verhöhnung Christi, bei gedrängten Figurengruppen, in einer gelassenen Dramatik erscheinen; und den inneren Zyklus von der Handwaschung des Pilatus bis zur Auferstehung, der früher nur bei aufgeklapptem Altar sichtbar war und ein sehr viel helleres, gelbliches Ocker als Grundfarbe für das Heilsgeschehen favorisierte.

    In der Staatsgalerie sind die zwölf Tafeln nun ganz sachlich neben- und untereinandergehängt; einzelne Figuren-Elemente sind durch die Restaurierung plastischer herausgearbeitet worden. Und die verlorene, zentrale Skulpturengruppe der Kreuzigung wird, seitlich und bescheiden, durch einen zeitgleich entstandenen Ulmer Altar aus der Werkstatt des Michel Erhart ersetzt. Dazugeliehene Brustharnische und Helme aus dem frühen 16. Jahrhundert belegen, daß Holbein sich in der Kostümierung der Schergen an seiner eigenen Zeit orientierte.

    Vor allem aber bettet die Ausstellung die "Graue Passion" in den künstlerischen Reflexionszusammenhang ihrer Zeit, und zwar an den erlesensten Beispielen. Nach Kupferstich-Passionen von Dürer, Schongauer und Israhel van Meckenem, die sehr viel drastischer zu Werke gehen, aber das gängige Bildprogramm als Vergleichsfolie offenlegen, gibt es großartige Beispiele vor allem niederländischer Grisaille-Malerei, die das Statuenhafte von Figuren monochrom herausarbeiten: ein Verkündigungs-Diptychon von Jan van Eyck etwa und eine "Zurschaustellung Christi" von Rogier van der Weyden. Dazu kommen die Standflügel des Frankfurter Heller-Altars von Matthias Grünewald mit ihren monochromen Heiligengestalten. Als Hintergrund dienen weiterhin Zeichnungen aus der Holbein-Werkstatt, von Hans Baldung Grien und Dürers Feder-Skizzen der "Grünen Passion".

    Andererseits kann man – in der anderen Abteilung der Ausstellung – den farbenfreudigen Holbein bewundern, den Holbein der "Kaisheimer Kreuzigung" und des ausladenden "Epitaphs der Schwestern Vetter". Er wird dann im Umfeld der zum Teil popbunten Ulmischen und Augsburger Meister gezeigt. Physiognomische und Kleidungs-Studien belegen, wie Holbein zu mimischer Präzision im Ausdruck gelangte, die Gesamtkomposition aber beruhigte. Im Vergleich zu Dürer und Schongauer ist Holbein jedenfalls ein Minimalist. Sein Weg zu einer verweltlichten Innerlichkeit wird hier von grandiosen Künstlerkollegen gesäumt – eine der schönsten und reichsten Ausstellungen religiöser Malerei seit Langem.