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Die grausamen Spiele der Reichen

"Slumming" nennen zwei Wohlstandsburschen ihre Streifzüge durch die Wiener Kneipenwelt sozialer Milieus am unteren Rand. Sie treffen auf den Säufer und Dichter Kallmann, den sie in eine andere Welt verfrachten. "Slumming", der Film des 48 jährigen österreichischen Dokumentarfilmer Michael Glawogger kommt in unsere Kinos. Ein kulturpessimistisches Stadtmärchen über poetische Nachgestalten oder schlicht Filmporträt eines "Sandlers", eines Stadtstreicher wie man in Wien sagt.

Von Josef Schnelle | 21.04.2007
    Manchmal weiß sich der erfolglose Zettelpoet Kallmann nicht anders zu helfen. Dann kippt er auf der kalten Parkbank eine Flasche billigen Fusels herunter - bis er bewusstlos nieder sinkt. Schlaf kann man das nicht nennen. Aber so kommt er durch die Nacht. In diesem Säuferkoma treffen ihn Sebastian und Alex an, denen er schon oft - laut krakelend - eines seiner Gedichte anzudrehen versucht hat. Die wohlhabenden Börsenyuppies vertreiben sich ihre sinnleere Zeit mit Slumming - das heißt sie streifen durch das Wiener Milieu der Hoffnungslosen und mischen mit schrillen Späßen deren Leben auf. Bei Kallmann treiben sie es auf die Spitze: Sie verfrachten ihn volltrunken über die Grenze nach Tschechien und nehmen ihm seine Papiere ab. So wacht Kallmann halb erfroren aus seinem Rausch zwar auf einer Parkbank aber in einer völlig fremden Umgebung auf. Geld hat er natürlich auch keins und sein Standardauftritt als versoffenes Genie hilft ihm auch nicht dabei, diesem bitterbösen Schabernack heil zu überstehen.

    Derweil hat sich Sebastian vor seiner Teilzeitfreundin Pia mit seinem neusten zynischen Machtspielchen gebrüstet und sieht nicht ein, dass er was unternehmen sollte.

    Pia die Lehrerin ist entsetzt und mit besten Vorsätzen auf den Weg macht, Kallmann doch noch zu retten.

    Sie wird ihm nicht begegnen, eher an ihrem Gutmenschentum verzweifeln. So muss Kallman sich buchstäblich am eigenen Schopf aus diesem Albtraumsumpf ziehen.

    Regisseur Michael Glawogger ist bekannt geworden mit den beiden Dokumentarfilmen Megacities und zuletzt 2005 mit Workingmans Death, der vielfach preisgekrönt und visuell beeindruckend vom Abwandern der körperlich schweren Arbeit an die Räder der Welt berichtet. Nacktschnecken hieß 2003 sein viel beachtetes skurril-kontroverses Spielfilmdebüt. Diesmal hat ihm die ihrerseits äußerst angesehene Wiener Autorenfilmerin Babara Albert (ihr Film Nordrand ist noch bestens in Erinnerung) beim Drehbuch geholfen. Es scheint in Österreich eine Szene Filmemachern zu entstehen, die ganz ähnlich wie in Deutschland die Berliner Schule um Christian Petzold, verstärkt das wirkliche Leben im Blick hat. Michael Glawogger betont, dass ihm die Grundgeschichte von einem Penner als Eigenes Erlebnis geschildert worden ist. Trotzdem hat die Passionsgeschichte des verkannten Gossendichters einen surrealen Touch. Andererseits ist die Milieuschilderung aus dem bitteren Wirklichkeit der Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der die "ganz unten" den bösen Spielen der Reichen hilflos ausgeliefert sind, klirrend realistisch. Mit dem an der tatsächlichen Alltagswirklichkeit geschulten Auge des Dokumentarfilmers entgeht Glawogger kein noch winziges Detail der Lieblosigkeit und Verrohung der Gesellschaft, die er beschreiben will. Dass es inmitten des Melodramas auch ziemlich komisch werden kann, verdankt sich vor allem dem Schauspieler Paulus Manker, der seinen Dichter so liebevoll detailreich zu spielen weiß, dass wir noch mit ihm bangen, wenn er kraftlos im Eis einbricht. Bevor er aber wieder auftauchen kann, kämpfen sich erst einmal ein paar Gartenzwerge an die Oberfläche.

    Vielleicht ein etwas vordergründiges Ironiesignal. Überhaupt sind Glawoggers Metaphern auf Kallmanns empfindsamer Reise zu sich selbst nicht immer stilsicher. Doch die kalten Bilder aus dem Herzen der sozialen Finsternis, die diesen Film bestimmen, wird man so schnell nicht vergessen, ebenso wenig wie den beklemmenden Besuch bei Dichter Kallman, der seine Stromrechnung schon lange nicht mehr bezahlen kann und deshalb in einem Meer von Kerzen lebt. Das Leben der Bohème ist eben nur in der Verklärung schön und das böse Erwachen vor einem Bahnhof im Nirgendwo fast garantiert. So wird es auch den beiden virtuosen Spielern des oberflächlichen Schabernacks eines nicht allzufernen Tages und also noch im Film ergehen. So ist das Unglück stets Anfang eines neuen bis dahin unbekannten Glücks. Mein Name ist nicht Furcht. Mein Name ist Angst. Ich muss die Zeit, die verbleibt verleben, zerfallen, bröckeln, flüssig werden. In voller Fahrt - schreibt der Dichter und weiß doch nicht, wohin das führen wird..