"Das Interessante ist, dass selbst die italienischen Einwanderungsgesetze von 'Hospiti' - also 'Gästen' - sprechen. Das heißt, es gibt die Sprache der Gastfreundschaft in der italienischen Gesetzgebung. Gastfreundschaft entsteht durch diese Ambivalenzen: Der Gast ist sowohl Freund als auch Feind. Und genau diese Spannung trägt sich bis in unsere Gesetzgebung eigentlich fort, der Fremde, der ankommt - wir wissen nicht, ist der gut gesonnen? Und das spiegelt sich in diesen Ambivalenzen, die wir Fremden gegenüber haben, wider."
Seit mehr als 20 Jahren beobachtet die Ethnologin Heidrun Friese die Bevölkerungsentwicklung auf der kleinen Insel Lampedusa, die so malerisch zwischen Sizilien und Tunesien als südlichstes Eiland Europas im Mittelmeer liegt.
Zu Beginn war es gar nicht die Flüchtlingsproblematik, die Heidrun Friese interessierte, sondern die Anfänge der Besiedlung auf der Felseninsel mit den zahlreichen einladenden Buchten, die im 19. Jahrhundert ursprünglich als Bastion gegen Piraten dienen sollte.
"Man überlegte lange schon, das irgendwie zu befestigen und richtig zu besiedeln. Nun, im Jahre 1843 hat man das dann getan - und da es wie gesagt eine staatlich organisierte Besiedelung war, haben die jeden Nagel, den man da rüber geschafft hat, dokumentiert. Und wer dahin gegangen ist, wer für diese Expedition ausgesucht war, das waren 120 Menschen und das war so eine Geschichte, wo man den Anfang einer Gemeinschaft tatsächlich von Null auf untersuchen konnte."
Zunächst erarbeiten sich die Neuankömmlinge ihren Lebensunterhalt mit der Landwirtschaft, doch bereits nach 20 Jahren waren die Wälder abgeholzt und die Böden karg geworden. Die Lampedusani wandten sich den reichen Fischgründen zu, wohlhabend wurden vor allem diejenigen, die Schwammfischerei betrieben. Und die besten Schwämme gab es vor der Küste Tunesiens. Seit damals besteht die historische Verbindung zwischen Tunesien und Lampedusa, denn Gastfreundschaft war auf beiden Seiten des Mittelmeers überlebensnotwendig.
"Es ist vollkommen klar, dass Fischer ... Das ist eine gefährliche Angelegenheit. Wenn jemand in Gefahr ist, egal wer, wird der gerettet. Man fragt nicht nach Herkunft, man fragt nicht nach Nationalität, man fragt nicht: Wo kommst du her, was willst du hier. Bei Schiffbrüchigen, bei Menschen, die auf See in Gefahr sind, wird man sich selbst in Gefahr bringen, um Menschen zu retten."
Einen Menschen, sei es wer wolle, von der Tür seines Hauses wegzuweisen, gilt als gottlos. Je nach seinem Vermögen ist jeder bestrebt, die leckersten Bissen aufzutischen. Ist es damit zu Ende, wird der, der eben noch der Gastgeber war, zum Wegweiser und Begleiter zu einem neuen Wirt,
schrieb einst der römische Schriftsteller Tacitus und sein Landsmann und Kollege Cicero ergänzte:
Ein Mann, der in der Gesellschaft Anerkennung finden will, ist zur Gastfreundschaft und entsprechender Repräsentation verpflichtet.
"Gastfreundschaft ist seit der Antike eines der ethischen Grundpfeiler Europas. Darüber haben wir uns auch definiert. Von Aristoteles angefangen, die christliche Ethik, die christliche Moral ist 'liebe deinen Nächsten wie dich selber' und nimm deinen Nächsten in deinem Haus auf. Und ich denke, dass es eine Ressource auch für ein politisches Europas ist, sich darauf zu besinnen. Das ist ein Teil unseres Selbstverständnisses","
meint die Ethnologin Heidrun Friese, die noch miterlebte, dass die Einwohner von Lampedusa den strandenden Flüchtlingen aus Afrika mit eben jener Gastfreundschaft begegneten. Ehrenamtlich und mit großem Engagement kümmerten sich vor allem junge Leute um die "Hospiti", die zum Teil in den Familien untergebracht und bewirtet wurden - und die sich schon fast am Ziel ihrer Wünsche sahen und auf ein Leben mit Arbeit und in Sicherheit hofften.
""Besonders gut ausgebildete junge Männer machen sich auf den Weg. Die wollen Lebenschancen, die fühlen sich in diesen Ländern, grade wenn sie gut ausgebildet sind, so ein bisschen festgefahren. Sie sehen keine Lebenschancen. Es kommen nicht die Armen der Ärmsten."
Doch Mitte der 90er-Jahre kamen immer mehr Asylsuchende. Sie wurden zu einem Wirtschaftsfaktor. Und damit interessant für bestimmte Kreise in Sizilien, die - als Kooperative organisiert - ab sofort den Aufenthalt und die Transitabwicklung unter sich aufteilten und professionell organisierten.
"Stellen Sie sich vor, 35.000 bis 37.000 Leute, die da einen Transit haben. Die Kooperative bekommt vom Innenministerium 33 Euro pro Person, also: Die haben ein Budget, was um die zwei Millionen ist. Die Leute müssen eingekleidet werden, die kriegen Zigaretten, die kriegen Telefonkarten, die Leute müssen essen. Es arbeiten so 40 bis 50 Leute dort. Dann: Was auch wichtig ist, ist ein großes Aufgebot an Polizei. Die Leute müssen wohnen, die wohnen in Hotels. Es gibt zwei, drei Hotelbesitzer, die haben ihren Laden das Jahr über ausgebucht."
Doch nicht nur Menschenhändler und Schlepper in Nordafrika und die Patrone in Sizilien machen ihr Geschäft mit den Flüchtlingen. Oft werden die jungen Männer illegal in die großen Landwirtschaftsbetriebe auf dem Festland weitergereicht und davon profitieren die Menschen in ganz Europa, meint Heidrun Friese:
"Wenn wir in Deutschland bei Lidl günstige Tomaten kaufen, dann wurden die gepflückt von illegalen Migranten entweder in Spanien oder in Italien. Das heißt, die ganze süditalienische Landwirtschaft - aber auch in Spanien - würde ohne illegale Arbeit nicht funktionieren. Der Lohn eines Tagelöhners ist auf zehn Euro gesunken pro Tag."
Auf Lampedusa sind die Grenzen der Gastfreundschaft erreicht. Die Bevölkerung, bei der man, wie Heidrun Friese meint, die veränderten Bedingungen im Zuge der Globalisierung wie unter einem Brennglas studieren kann, wehrt sich gegen eine Politik, die sie mit den Gestrandeten und den Geschäftemachern alleine lässt, und gegen eine Gesetzgebung, die Hilfeleistung unter Strafe stellt.
"Wenn jetzt ein lampedusanisches Fischerboot auf eine solche unsägliche Schaluppe mit der die sich auf die Reise machen, trifft, wird der Fischer sich das dreimal überlegen, ob er den aufnimmt, und zwar wegen gesetzlicher Regelungen. Da kann man angeklagt werden der Unterstützung, also Fluchthilfe wird man vermutlich sagen. Man wird eher die Küstenwache anrufen und sagen: Also hier sind die Koordinaten, also kommt und holt die."
In den nächsten anderthalb Jahren wird sich die Ethnologin auf die Spuren derjenigen machen, die in den armseligen Booten das offene Meer überqueren und den Weg, den sie gekommen sind, zurückverfolgen. Denn auch diese Wege bergen viel historisches Material für die Ethnologin: Sind es doch exakt die Pfade, auf denen einst der Sklavenhandel in Richtung Europa und Amerika abgewickelt wurde.
Seit mehr als 20 Jahren beobachtet die Ethnologin Heidrun Friese die Bevölkerungsentwicklung auf der kleinen Insel Lampedusa, die so malerisch zwischen Sizilien und Tunesien als südlichstes Eiland Europas im Mittelmeer liegt.
Zu Beginn war es gar nicht die Flüchtlingsproblematik, die Heidrun Friese interessierte, sondern die Anfänge der Besiedlung auf der Felseninsel mit den zahlreichen einladenden Buchten, die im 19. Jahrhundert ursprünglich als Bastion gegen Piraten dienen sollte.
"Man überlegte lange schon, das irgendwie zu befestigen und richtig zu besiedeln. Nun, im Jahre 1843 hat man das dann getan - und da es wie gesagt eine staatlich organisierte Besiedelung war, haben die jeden Nagel, den man da rüber geschafft hat, dokumentiert. Und wer dahin gegangen ist, wer für diese Expedition ausgesucht war, das waren 120 Menschen und das war so eine Geschichte, wo man den Anfang einer Gemeinschaft tatsächlich von Null auf untersuchen konnte."
Zunächst erarbeiten sich die Neuankömmlinge ihren Lebensunterhalt mit der Landwirtschaft, doch bereits nach 20 Jahren waren die Wälder abgeholzt und die Böden karg geworden. Die Lampedusani wandten sich den reichen Fischgründen zu, wohlhabend wurden vor allem diejenigen, die Schwammfischerei betrieben. Und die besten Schwämme gab es vor der Küste Tunesiens. Seit damals besteht die historische Verbindung zwischen Tunesien und Lampedusa, denn Gastfreundschaft war auf beiden Seiten des Mittelmeers überlebensnotwendig.
"Es ist vollkommen klar, dass Fischer ... Das ist eine gefährliche Angelegenheit. Wenn jemand in Gefahr ist, egal wer, wird der gerettet. Man fragt nicht nach Herkunft, man fragt nicht nach Nationalität, man fragt nicht: Wo kommst du her, was willst du hier. Bei Schiffbrüchigen, bei Menschen, die auf See in Gefahr sind, wird man sich selbst in Gefahr bringen, um Menschen zu retten."
Einen Menschen, sei es wer wolle, von der Tür seines Hauses wegzuweisen, gilt als gottlos. Je nach seinem Vermögen ist jeder bestrebt, die leckersten Bissen aufzutischen. Ist es damit zu Ende, wird der, der eben noch der Gastgeber war, zum Wegweiser und Begleiter zu einem neuen Wirt,
schrieb einst der römische Schriftsteller Tacitus und sein Landsmann und Kollege Cicero ergänzte:
Ein Mann, der in der Gesellschaft Anerkennung finden will, ist zur Gastfreundschaft und entsprechender Repräsentation verpflichtet.
"Gastfreundschaft ist seit der Antike eines der ethischen Grundpfeiler Europas. Darüber haben wir uns auch definiert. Von Aristoteles angefangen, die christliche Ethik, die christliche Moral ist 'liebe deinen Nächsten wie dich selber' und nimm deinen Nächsten in deinem Haus auf. Und ich denke, dass es eine Ressource auch für ein politisches Europas ist, sich darauf zu besinnen. Das ist ein Teil unseres Selbstverständnisses","
meint die Ethnologin Heidrun Friese, die noch miterlebte, dass die Einwohner von Lampedusa den strandenden Flüchtlingen aus Afrika mit eben jener Gastfreundschaft begegneten. Ehrenamtlich und mit großem Engagement kümmerten sich vor allem junge Leute um die "Hospiti", die zum Teil in den Familien untergebracht und bewirtet wurden - und die sich schon fast am Ziel ihrer Wünsche sahen und auf ein Leben mit Arbeit und in Sicherheit hofften.
""Besonders gut ausgebildete junge Männer machen sich auf den Weg. Die wollen Lebenschancen, die fühlen sich in diesen Ländern, grade wenn sie gut ausgebildet sind, so ein bisschen festgefahren. Sie sehen keine Lebenschancen. Es kommen nicht die Armen der Ärmsten."
Doch Mitte der 90er-Jahre kamen immer mehr Asylsuchende. Sie wurden zu einem Wirtschaftsfaktor. Und damit interessant für bestimmte Kreise in Sizilien, die - als Kooperative organisiert - ab sofort den Aufenthalt und die Transitabwicklung unter sich aufteilten und professionell organisierten.
"Stellen Sie sich vor, 35.000 bis 37.000 Leute, die da einen Transit haben. Die Kooperative bekommt vom Innenministerium 33 Euro pro Person, also: Die haben ein Budget, was um die zwei Millionen ist. Die Leute müssen eingekleidet werden, die kriegen Zigaretten, die kriegen Telefonkarten, die Leute müssen essen. Es arbeiten so 40 bis 50 Leute dort. Dann: Was auch wichtig ist, ist ein großes Aufgebot an Polizei. Die Leute müssen wohnen, die wohnen in Hotels. Es gibt zwei, drei Hotelbesitzer, die haben ihren Laden das Jahr über ausgebucht."
Doch nicht nur Menschenhändler und Schlepper in Nordafrika und die Patrone in Sizilien machen ihr Geschäft mit den Flüchtlingen. Oft werden die jungen Männer illegal in die großen Landwirtschaftsbetriebe auf dem Festland weitergereicht und davon profitieren die Menschen in ganz Europa, meint Heidrun Friese:
"Wenn wir in Deutschland bei Lidl günstige Tomaten kaufen, dann wurden die gepflückt von illegalen Migranten entweder in Spanien oder in Italien. Das heißt, die ganze süditalienische Landwirtschaft - aber auch in Spanien - würde ohne illegale Arbeit nicht funktionieren. Der Lohn eines Tagelöhners ist auf zehn Euro gesunken pro Tag."
Auf Lampedusa sind die Grenzen der Gastfreundschaft erreicht. Die Bevölkerung, bei der man, wie Heidrun Friese meint, die veränderten Bedingungen im Zuge der Globalisierung wie unter einem Brennglas studieren kann, wehrt sich gegen eine Politik, die sie mit den Gestrandeten und den Geschäftemachern alleine lässt, und gegen eine Gesetzgebung, die Hilfeleistung unter Strafe stellt.
"Wenn jetzt ein lampedusanisches Fischerboot auf eine solche unsägliche Schaluppe mit der die sich auf die Reise machen, trifft, wird der Fischer sich das dreimal überlegen, ob er den aufnimmt, und zwar wegen gesetzlicher Regelungen. Da kann man angeklagt werden der Unterstützung, also Fluchthilfe wird man vermutlich sagen. Man wird eher die Küstenwache anrufen und sagen: Also hier sind die Koordinaten, also kommt und holt die."
In den nächsten anderthalb Jahren wird sich die Ethnologin auf die Spuren derjenigen machen, die in den armseligen Booten das offene Meer überqueren und den Weg, den sie gekommen sind, zurückverfolgen. Denn auch diese Wege bergen viel historisches Material für die Ethnologin: Sind es doch exakt die Pfade, auf denen einst der Sklavenhandel in Richtung Europa und Amerika abgewickelt wurde.