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Die Grenzen des Wachstums

Ethische Maßstäbe für ökonomisches Handeln: Die christliche Wirtschaftsethik entlässt den einzelnen Unternehmer häufig aus der Verantwortung, sich moralisch zu verhalten. Ganz anders die Ethiken der östlichen Religionen: Sie kritisieren das Menschenbild des Homo oeconomicus.

Von Monika Konigorski | 07.08.2012
    Die östlichen Religionen kritisieren vor allem das Menschenbild, das sich durch eine einseitige Fokussierung auf die Gewinnmaximierung herausgebildet hat: den sogenannten "Homo oeconomicus" – jenen Menschen also, der allein nach wirtschaftlichen Kriterien handelt. Padmanabhan Menon lehrt am Institut für Hinduismus-Forschung und Management im indischen Bangalore. Er kritisiert:

    "Das Menschenbild der modernen Wirtschaft ist allein der Mensch, der Profit erwirtschaftet. Das ist ein sehr eng gefasstes Modell. Alle Handlungen eines Menschen beruhen demnach auf der Überlegung, was für ihn profitabel ist. Was ihm den maximalen Gewinn einbringt."

    Nach hinduistischer Überzeugung wird der Mensch dagegen nur dann glücklich, wenn er das sogenannte "Dharma" erfüllt und aufrechterhält. Dharma – das bezeichnet eine ewige, präexistente überzeitliche, kosmische Ordnung. Padmanabhan Menon:

    "Dharma ist ein Sammelbegriff, der viele verschiedene Bedeutungen haben kann: In manchen Zusammenhängen bedeutet er Gerechtigkeit, aber Gleichgewicht, das richtige Verhalten, das Falsche zu unterlassen. All diese Vorstellungen werden vom Dharma umfasst. Und das eigene Gewissen sagt einem, ob das, was man tut, dharmisch ist, also der Ordnung des Dharma entspricht, oder nicht. Das ist die Idee."

    Lässt sich dieses Konzept aber tatsächlich auf die Komplexität der Wirtschaftswelt anwenden? Westlichem Denken mag das fremd erscheinen, für den Wissenschaftler aus Indien birgt das keine Schwierigkeiten.

    "Ein Beispiel aus dem öffentlichen Sektor. Genau wie in Europa, gibt die Regierung riesige Summen aus, um Unternehmen zu stützen. Viele Menschen sind dort beschäftigt, aber sie sind nur ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung. Einen Großteil des verfügbaren Geldes an diese ineffizienten Unternehmen zu geben, damit sie weitermachen können, scheint nicht dharmisch zu sein."

    Die abendländische Wirtschaftsethik, die sich mehrheitlich mit strukturellen Fragen des Wirtschaftssystems befasst, entlässt den einzelnen Unternehmer häufig aus der Verantwortung, sich moralisch zu verhalten. Der Wettbewerb, so heißt es dann, mache das unmöglich. Eine Ethik sei allein in der wirtschaftlichen Rahmenordnung zu verankern – mithilfe von Gesetzen und Normen, die für alle Marktteilnehmer gelten. Der hinduistische Ansatz von Padmanabhan Menon geht in eine ganz andere Richtung: Die Verantwortung liegt hier zuallererst beim Einzelnen selbst.

    Diesen Ansatz verfolgt auch die Wirtschaftsethik, die Karl-Heinz Brodbeck aus der buddhistischen Lehre entwickelt hat. Brodbeck arbeitet als Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik in München und Würzburg. Der praktizierende Buddhist wendet die Grundüberzeugungen des Buddhismus auf das Wirtschaftsleben an. Nach buddhistischer Überzeugung haben die Dinge keine bleibende Substanz. Alles ist vergänglich. Die dingliche Welt selbst ist leer, alles existiert in gegenseitiger Abhängigkeit. Übertragen auf das Wirtschaftsleben heißt das für Karl-Heinz Brodbeck:

    "Wenn man auf wirtschaftliche Prozesse in der modernen Geldökonomie in einer kapitalistischen Ökonomie blickt, dass es Arbeitsteilung gibt, globale Abhängigkeit, das leugnet eigentlich niemand. Aber wie organisieren wir das? Wir organisieren es über das Geld."

    Doch Geld habe keine Substanz. Es sei im buddhistischen Sinne "leer". Warum?

    "Das erkennen wir daran, dass über Nacht bei einem Crash Geldwerte verschwinden, die lösen sich auf. Alle glauben daran, dass die Aktienkurse steigen, kaufen Aktien, der Wert nimmt zu. So ist die Illusion des Wertes, die Illusion bricht auch wieder zusammen. Wir glauben hinterm Geld da gibt es Geld, da gibt es Gold, das gibt es Substanzwerte, da gibt’s eine Zentralbank mit unveränderlichen Gesetzen, unverbrüchlichen Gesetzen. Nein, Geld wird geschaffen durch den Glauben aller, dass Geld einen Wert hat. Und weil das alle glauben, darum hat’s einen Wert."

    In Wirklichkeit sei Geld etwas völlig anderes, eine soziale Einrichtung, eine Marktzutrittsschranke, und habe nur dadurch Wert, dass es wieder ausgegeben wird. Wer Geld festhalte und ihm damit die Funktionsfähigkeit entziehe, störe den gesamten Wirtschaftsablauf. Brodbeck kritisiert aber nicht nur, dass dem Geld fälschlicherweise Substanz zugeschrieben wird. Auch der Mensch, der nach buddhistischer Lehre ebenfalls keine bleibende Substanz hat, weil auch er nur in Abhängigkeit existiert, werde in der modernen Wirtschaft verabsolutiert. Karl-Heinz Brodbeck:

    "Das nennt man dann Homo oeconomicus. Er ist egoistisch, er ist gierig. Das können wir nicht ändern. Viel besser als jedes ökonomische Lehrbuch ist das 1987 in dem Wallstreet-Film von Gordon Gekko gesagt worden: Habgier ist gut, Habgier ist rechtens. Habgier ist das was uns antreibt. Also diese völlige Perversion, diese Verkehrung, dass man etwas, was alle Religionen, alle ethischen Systeme der Vergangenheit als Untugend beschrieben haben, dass man das plötzlich zur Tugend gemacht hat. Das hat nur funktioniert über die ökonomische Wissenschaft. Sie hat das legitimiert, sie hat das Feigenblatt geliefert. Und deshalb sehe ich also grade in meinem Verständnis von buddhistischer Wirtschaftsethik eine Hauptaufgabe darin, diese intellektuelle Fehlentwicklung zu korrigieren, zu kritisieren. Es ist ein harter Weg aber es ist möglich."

    Eine ausformulierte, umfassende buddhistische Wirtschaftsethik gibt es aber ebenso wenig wie es eine aktuelle jüdische Wirtschaftsethik gibt. Die liberale Rabbinerin Elisa Klapheck will das ändern. In Frankfurt hat sie einen Verein gegründet, der die Ausarbeitung einer jüdischen Wirtschaftsethik fördern soll. Denn Theologie und moderne Wirtschaft müssten das Gespräch aufnehmen und völlig neu zueinander in Beziehung treten. Klaphecks Urteil über den Ist-Zustand ist verheerend:

    "Ich bin der Ansicht, dass Theologie heute nicht mehr als Plattitüden zu sagen hat."

    Allgemeinplätze wie der moralische Ruf nach Gerechtigkeit und mehr Einsatz für die Armen würden angesichts der Zwänge, in denen Unternehmer oft steckten, nicht weiterhelfen. Die Rabbinerin erinnert stattdessen an die jüdische Mischna, den ältesten Text-Bestand des Talmuds. Dort legten die Rabbiner im 2. Jahrhundert nach Christus fest, was ein fairer Preis sei – mit scharfem Blick fürs Detail:

    "Dann sagen sie: Da, wo am meisten Wettbewerb ist, in den Städten auf den Märkten, den Preis dort kann man als fairen Preis ansehen. Dann sagen sie, es gibt das Problem der Übervorteilung, der unfaire Preis. Die Rabbiner sagen bis zu einem Sechstel Gewinn, also ungefähr 16 Prozent sind das, ist ein fairer Preis. Alles was darüber geht ist unfair, ist Übervorteilung."

    In den Diskussionen der Rabbiner zeigt sich, dass es händlerfreundliche wie kundenfreundliche Positionen gibt. Daraus leitet Rabbinerin Klapheck das Prinzip ab: In einer jüdischen Wirtschaftsethik kann es nicht darum gehen, die Wirtschaft, das System, die Händler insgesamt moralisch in Frage zu stellen, oder, wie Klapheck es bei christlichen Ethikern beklagt, nur die Reichen und Erfolgreichen zu kritisieren. Der Mensch solle sich vielmehr verwirklichen, auch wirtschaftlich.

    Die jüdische Position von Rabbinerin Klapheck zielt daher auf eine angewandte Ethik, die auch die Eigengesetzmäßigkeiten des wirtschaftlichen Sektors in den Blick nimmt. Sie versucht durchzubuchstabieren, was ethisches Handeln nach den Grundsätzen des Judentums im Bereich der Wirtschaft heißen kann.