Freitag, 03. Mai 2024

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"Die Griechen" im Berliner Ensemble
So viel Klischee wie irgend möglich

Volker Braun, einer der wichtigsten DDR-Dramatiker, ist auf der Bühne zurück. Kein anderer hatte das Siechtum der untergehenden DDR derart präzise unter die Lupe genommen. Nun feiert er mit seinen "Griechen" ein Comeback im Berliner Ensemble. Ein überzeugend aktueller Text in antikem Gewand, findet unser Kritiker.

Von Michael Laages | 18.09.2016
    Die Schauspieler Felix Tittel (M.) sowie im Hintergrund Benno Lehmann, Sven Scheele und Anatol Käbisch stehen am 15.09.2016 in Berlin während einer Probe des Stückes «Die Griechen» (Demos) auf der Probebühne des Berliner Ensembles (BE). Das Stück von Volker Braun hat am 16.09.2016 Uraufführung. Foto: Soeren Stache/dpa | Verwendung weltweit
    Der Schauspieler Felix Tittel während einer Fotoprobe von "Die Griechen" (dpa/Soeren Stache)
    Lange nicht mehr war der Blick ins Programmheft derart hilfreich wie an diesem Abend. Wer sich schon im Vorhinein ein wenig schlau las, konnte hinterher nicht nur die Feinarbeit wert schätzen, die Brauns weithin undialogischer und fast rollenloser Text dem Regie-Team auferlegt hat, dass ja die antikisierend fließenden Verse zunächst mal auf eine an sich unbestimmte Menge Personal verteilen musste. Außerdem war zu erfahren, wie parallel jüngere historische Vergangenheit und Schreibarbeit am Stück einander bedingt haben. Selbst ein echter "Held" ging dem Autor verloren, als sich der unkonventionelle Finanzminister Yannis Varoufakis Knall auf Fall aus der Regierung von Alexis Tsipras verabschiedete. Aber der Reihe nach.
    Soviel Klischee wie irgend möglich steht am Beginn – zu den "Alexis Sorbas"-Klängen von Mikis Theodorakis entert das Ensemble die extrem karg eingerichtete Probebühne. Vor einen weißen Vorhang hinten hat Beatrix von Pilgrim 15 Stühle nebeneinander gestellt. Später können die auch zu einem kleinen Thron zusammen geschoben werden. Im ersten Teil steht Giorgios Papandreou im Zentrum – der war der erste griechische Premier, der 2009 zum Partner (und Gegner) wurde für die EU am Beginn der Schulden-Krise: zum Partner, weil er einräumte, dass Griechenland geschummelt hatte, was die Staatsbilanz betraf - zum Gegner, weil er die Brüsseler Forderung nach radikalem Sparen dem Entscheid des Volkes unterwerfen wollte. Dessen Ergebnis war absehbar – und der Druck aus Brüssel auf Athen war so vehement, dass Papandreou die Plebiszit-Idee wieder einsammelte. Von jetzt an mussten die Griechen wissen, wie weiterhin mit ihnen umgesprungen werden würde.
    "Seht Papandreou – lasst ihn abtreten. Kein Verbrecher, kein Held ..."
    Wolfgang Schäuble als Minotaurus
    Der letzte Demokrat älteren Stils war also gegangen, die Postdemokratie hatte begonnen.
    Volker Brauns Ton ist der des antiken Theaters. Joachim Nimz als Papandreou stehen chorisch "die Presse" und "die Troika" sowie "das Volk" gegenüber. Manfred Karge und Dramaturg Hermann Wündrich formen ziemlich klug ziemlich viel Spiel aus Brauns an sich ja unszenischem Text. Teil 2 bestreiten "Die Putzfrauen": auf der Bühne vier von 400, wie sie Braun vor dem Eingang des Finanzministeriums von Yannis Varoufakis platziert. Mit blutroten Handschuhen (und unter Führung der energischen BE-Schauspielerin Swetlana Schönfeld auf dem Thron aus Stühlen) entern sie das Amt; und frisch gewählt als Minister der neuen Koalitionsregierung unter der Führung des linken Parteienbündnisses Syriza, stellt Varoufakis sie wieder ein, trotz leerer Kassen. Nun beobachten sie die Gänge des Ministers in die Höhle der Brüsseler Löwen – und müssen zunehmend erschreckt feststellen, dass selbst dieser Sponti domestiziert wird von der Macht. Plötzlich trägt der Typ mit dem Stinkefinger, dem Motorrad und dem Hemd aus der Hose sogar Krawatte. Das kann nicht gut gehen. Und während er auf den "Grexit" setzt, den Ausstieg aus der EU, kommt nun auch der Minotaurus ins Spiel: Wolfgang Schäuble.
    Gott sei Dank hat die Regie den Rollstuhl und Hinweise auf die Behinderung gestrichen, wie sie in Brauns Text stehen – dafür trägt (wieder) Joachim Nimz, jetzt als Schäuble, Stierhörner und Klauen des mythischen Monstrums.
    Die Griechen werden gebraucht wie nie zuvor
    Auf wessen Seite sich Braun schlägt, ist überdeutlich – die Euro-Strategen retteten bloß die Milliarden-Einsätze der Banken, während griechische Mütter kaum mehr eine Geburt im Krankenhaus bezahlen können. Und nicht umsonst wird Minotaurus Schäuble immerhin mit Worten zerfetzt von den "Bakchen" des Euripides. Ein überzeugend aktueller Text ist das in antikem Gewand - schade nur, dass Brauns Epilog (der auch im Programmheft steht) nicht mit inszeniert wurde. Denn da denkt der Autor die Rolle der Griechen bis heute weiter, wo sie den Stauraum bieten sollen für so viele Geflüchtete. Wer fragt da noch nach Schulden? Die Griechen werden gebraucht wie nie zuvor.