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"Die größte Deutschstunde der Welt"

Es ist schon ein Phänomen: Fast 15.000 Menschen haben auf der lit.COLOGNE Kölns größte Veranstaltungshalle gefüllt, um sich auf der wahrscheinlich größten Deutschstunde der Welt Texte rund um die deutsche Sprache vorlesen zu lassen. Veranstaltungen wie diese sind die Volkshochschulen von heute. Das reicht zwar nicht für ein Land, das extreme Bildungsdefizite aufzuarbeiten hat. Aber es ist eine interessante Ergänzung.

Von Christoph Schmitz |
    " So, Hefte raus, Diktat.
    Liebe Zuschauer, Ausrufezeichen! "

    So ging es gestern los, doch interessant war nicht das Programm der "Größten Deutschstunde der Welt" gestern Abend in der so gut wie ausverkauften Köln-Arena. Es gab nur ein Sammelsurium von Altbekanntem zu sehen und zu hören. Der Spiegel-Online-Redakteur und Sprachkolumnist Bastian Sick las aus seinen Büchern, dass der "Dativ dem Genitiv sein Tod" ist, las heitere, aufklärende und ironische Geschichten über das verhunzte Gegenwartsdeutsch - sympathische Beobachtungen, die man seit Jahren von ihm kennt. Ebenso wie die Alltagsbeobachtungen des deutsch-russischen Autors Wladimir Kaminer. Besonders lustig war auch die kabarettistische Nummer des "Schillerstraßen"-Duos Cordula Stratmann und Annette Frier nicht, die zwei deutsche Frauen beim Italiener spielten und dem Kellner mit italienisch-spanisch-französischem Kauderwelsch zu imponieren versuchten und dabei über grammatikalische Tücken räsonierten. Die Komik bewegte sich selten über das Blödelniveau der Comedyshows im Privatfernsehen hinaus.

    " Scampis und Pizzas, das ist ja nun wirklich Mehrzahl - im Gegensatz zu Capuccino. Capuccino, da kannst du streng genommen eigentlich sogar Capuccino sagen zu ganz vielen Capuccinenen, weil es ist eine Flüssigkeit, in egal wie viele Tassen du das reinschüttest!"Deutschland-sucht-den-Superstar"-Juror Thomas Bug war als Conferencier des Abends dafür eine gute Wahl der lit.COLOGNE-Veranstalter, die auch noch NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und seine Bildungsministerin Barbara Sommer ins Programm drückten, um an und mit Ihnen die Klischees der politischen Rede zu entlarven. Das Publikum machte mit, buhte, applaudierte, tobte, kreischte und wurde manchmal ganz aufmerksam und still. Eine Deutschstunde, wie man sie noch nicht gesehen hat.

    Interessant war das inhaltlich, wie gesagt, aber nicht, eher langweilig. Interessant war vielmehr das Phänomen. Dass nämlich fast 15.000 Menschen zusammenkommen, um sich Texte rund um die Sprache vorlesen zu lassen. Und das in Kölns größter Veranstaltungshalle, wo sonst die Kölner Haie den Puck übers Eis dreschen, Eisprinzessinnen ihre Pirouetten drehen und Karnevalsgarden zu Humtata aufmarschieren.

    Natürlich könnte man auf die gerissenen Strategien der lit.COLOGNE verweisen, wie sie hunderte von Schulklassen in die Arena lockte mit der Aussicht, als Teilnehmer der "größten Deutschstunde der Welt" den Sprung ins Guinnessbuch der Rekorde zu schaffen. Man könnte klagen über den gnadenlosen Populismus des Kölner Lesefestes überhaupt. Man muss es aber nicht. Denn es wäre auch die Klage der elitären Hochkultur, die ihr Heiligstes in den Schmutz gezogen sieht. Aber die Masse und der Markt sind ebenso wenig der Schmutz, wie zu befürchten ist, dass die Kultur in den Händen der Menge und als Objekt des Marktes ihren Wert und ihre Aura verlöre. So wie auch in der Religion das Heilige, wie der Leib des Gottessohnes als Nahrung nicht dem Klerus vorbehalten ist. Jeder darf Gott essen.

    In der Köln-Arena beanspruchte auch das Volk Literatur, Sprachkritik und Bildung für sich. Über den Markt und die Mechanismen der Medien organisiert die demokratische Gesellschaft ihren eigenen Zugang zum Gut Kultur. Die Populär-Kultur bemächtigt sich der Hoch-Kultur. Die von der Globalisierung gezeichnete Gegenwart verleibt sich die Vergangenheit des alten Europa ein und rettet es, hoffentlich, für die Zukunft. Man könnte auch einfacher argumentieren - sozusagen volkspädagogisch. Veranstaltungen wie in der Köln-Arena und die Großlesungen wie die gesamte lit.COLOGNE sind die Volkshochschulen von heute. Das reicht natürlich nicht für ein Land, das extreme Bildungsdefizite aufzuarbeiten hat. Aber es ist eine interessante Ergänzung, vor allem mit einem wie Bastian Sick:

    " Die Supermarktkette der Gebrüder Albrecht hat es nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht zu bundesweiter Bekanntheit gebracht. Auch als linguistisches Phänomen ist Aldi zu Ruhm gelangt.

    Denn kein sprachlicher Zweifelsfall entzweit die Deutschen so sehr wie die Frage, ob man zu Aldi geht oder nach Aldi; und jeder kennt den Witz mit dem Manta-Fahrer, der auf der Suche nach einem Supermarkt neben einem Türken bremst: "Hey, sag' mal, Wo geht's hier nach Aldi", fragt er.

    "Zu Aldi", verbessert der Türke.

    Der Manta-Fahrer guckt verdutzt: "Was denn? Schon nach sechs?"