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Die größte Schau der Welt

1958 erschien den Menschen wie die ersehnte "Heile Welt". Krieg und Wiederaufbau lagen hinter ihnen, Eiserner Vorhang und Kuba-Krise noch vor ihnen. Wirtschaftswunder, Atomkraft und die neuesten Errungenschaften moderner Technik versprachen eine strahlende Zukunft. All das schlug sich nieder auf der größten Technikschau der Welt.

Von Hartmut Goege | 17.04.2008
    Der junge belgische König Baudouin - seine feierliche Eröffnungsrede an diesem 17. April 1958 hielt der erst 27-jährige Monarch traditionell zweisprachig, in flämisch und französisch. Es war ein Plädoyer für ein friedliches Miteinander in einer hochtechnisierten Welt und gleichzeitig das Motto dieser Weltausstellung.

    Zuvor hatten in teils monatelanger Arbeit über 4500 Aussteller aus 51 Nationen ihre Stände und Pavillons aufgebaut. Auf dem 200 Hektar großen Heysel-Plateau wollten sie ein für damalige Verhältnisse überwältigendes Multimedia-Spektakel bieten. Die 17. Weltausstellung seit 1851 präsentierte den Beginn des elektronischen Zeitalters. Entsprechend groß war das Interesse. Schließlich hatte die letzte Expo in Paris 1937 stattgefunden und lag über zwanzig Jahre zurück.

    Radiobericht RIAS-Berlin:

    "Wer von Ihnen Zeit hatte, erlebte es heute Vormittag am Rundfunkgerät oder Fernsehschirm mit. 20.000 Luftballons trugen die Botschaft des Beginns der größten Schau der Welt in alle Welt. Denn das Thema dieser Weltausstellung ist der Fortschritt und der Mensch unserer Tage, wie dieser Fortschritt dem Menschen hilft, wie aber auch der Mensch sich auf vielen Gebieten schon wieder der fortschrittlichen Segnungen erwehren muss."

    Ein dezenter Hinweis darauf, dass gerade beim Thema Atomenergie heftige Kontroversen existierten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war die Idee vergangener Weltausstellungen, technischen Fortschritt nur zu feiern, mehr als fragwürdig geworden. Denn die politische Situation war geprägt durch das atomare Wettrüsten zwischen der Sowjetunion und den USA. Das in der Mitte der Expo aufgebaute neue Brüsseler Wahrzeichen Atomium, eine 165-milliardenfache Vergrößerung des Eisenmoleküls, sollte deshalb ein Symbol für die friedliche Nutzung der Kernenergie darstellen. Wegen seiner ungewöhnlichen futuristischen Stahl-, Glas- und Aluminium-Konstruktion entwickelte sich das 102 Meter hohe Atomium zum Besuchermagneten - ein WDR-Reporter:
    "Nun, eins muss ich sagen, nachdem ich das Atomium von außen gesehen habe und ein wenig hier im Innern spazieren gegangen bin. Das furchterregende, das vielleicht ein wenig zu technisierte Symbol der Ausstellung, verliert etwas von seiner Gefährlichkeit, wenn man hier drinnen ist, denn dann hat man die Kugel vergessen, dann ist das Ganze doch nur noch ein schöner Blickpunkt, ein schöner Ausblick."

    Von dort oben übersah man das komplette Ausstellungsgelände. Eine Technikschau, die alles bot, was es zur damaligen Zeit an Neuheiten gab. Die UdSSR etwa zeigten in einem gewaltigen Stahl- und Glaskubus ihre erfolgreichen Sputnik-Satelliten, die von charmanten russischen Hostessen erklärt wurden.

    "Wir haben zwei Modelle gemacht, und das ist das zweite Modell. Man sieht den Kopf, die letzte Stufe dieser Rakete, und darin ist ja ganz deutlich zu erkennen der Behälter, in dem der russische Hund war. Ja, das ist ganz genauso, wie Sie haben gesagt."

    Ein Affront im "Kalten Krieg" gegen die USA, die sich dafür den größeren Pavillon leisteten, in dem sie symbolträchtig moderne elektrische Wahlzählmaschinen präsentierten. Im Vergleich zu den monumentalen Pavillons der beiden Supermächte beherrschten Leichtigkeit und Transparenz als Symbol für den Aufbruch in eine neue und freie Welt die Entwürfe der meisten anderen Architekten.

    Es gab Pavillons in Form von futuristischen Raumskulpturen, die für die unbegrenzten Möglichkeiten neuer Bautechnologien standen oder kühne Hängekonstruktionen, die die Überwindung der Schwerkraft symbolisierten. Etwa Le Corbusiers Philips-Pavillon, in dem unter einem freitragenden Dach eigens für diesen Anlass von Edgar Varese komponierte sogenannte elektronische Gedichte von einem dreispurigen Tonband liefen.

    Im Unterschied zu solchen futuristischen Entwürfen wirkte der bundesdeutsche Beitrag einfach und bescheiden. Dabei knüpfte der deutsche Architekt Sep Ruf, der zusammen mit Egon Eiermann die Pavillons entworfen hatte, gezielt an die Tradition der Bauhausarchitektur an:

    "Wir wollten es aber gerade sehr einfach zeigen, Deutschland zeigen, wie man einfach und bescheiden leben soll. Auch in den ganzen Materialien, die wir verwendet haben, wir haben modernsten Konstruktions-Stahlbau verwendet, aber mit Holz, mit Naturstein. Lauter echte Dinge, um dieses Einfache würdig darstellen zu können."

    Zahlenmäßig konnte sich die Bilanz der Weltausstellung sehen lassen. 41 Millionen Besucher innerhalb eines halben Jahres sorgten für einen satten Gewinn. Der moralische Anspruch aber, den technischen Fortschrittsglauben kritisch präsentiert zu haben, kam zu kurz. Letztendlich überwog doch wieder die Euphorie über die neuen technischen Möglichkeiten.