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"Die große Parade"

"Manege frei" heißt es für die kommenden zehn Wochen im Pariser Grand Palais. Einzug hält "die große Parade", so der Titel der mit über 200 Gemälden, Skulpturen, Fotografien, Filmen und Installationen aus drei Jahrhunderten üppig bestückten Schau, die einen tiefen Einblick in die Welt des Zirkus zu geben verspricht. Doch der Untertitel der Ausstellung präzisiert das Vorhaben: "das Portrait des Künstlers als Clown".

Von Björn Stüben | 13.03.2004
    Dieser Aspekt liegt auch Didier Ottinger, Konservator am Centre Pompidou und mitverantwortlich für die "große Parade", besonders am Herzen.

    Im Grunde ist es der Untertitel der Ausstellung, der unser eigentliches Anliegen formuliert. Wir wollen dem Publikum das Portrait des Künstlers als Clown vorstellen. Warum? Weil es mir scheint, dass die Figur des Clowns die perfekte Allegorie des modernen Künstlers verkörpert, denn wie der Clown auch ist der Künstler eine ambivalente Gestalt. Beide bewegen sich zwischen zwei Welten. Der moderne Künstler wurde im 19. Jahrhundert oft als lächerlich, ja sogar als monströs verspottet, während er andererseits bei sich selbst und in seiner Kunst die Tendenz zeigte, nach Höherem streben und sich mit dem Ideal messen zu wollen. Man könnte sogar von einem Gradmesser für die Modernität des Künstlers sprechen, in dem Maße wie sich dieser mit der Figur des Clowns identifiziert. Dessen Vorgänger in der Kunst, der Pierrot, war eine Gestalt der Vergangenheit, die der Commedia dell’Arte und der Bildwelt Watteaus angehörte, während der Clown eine moderne und komplexe Figur darstellte, die vor allem mit dem Alltäglichen, dem Gewöhnlichen in Verbindung gebracht wurde. Dieser Wechsel in der Darstellung vom Pierrot hin zum modernen Clown ereignete sich zeitgleich mit dem Beginn der Moderne in der Kunst.

    "Vorhang auf" also für die Suche nach dem modernen Künstler in der Gestalt des Clowns. Zum Vorschein kommt aber viel häufiger etwas anderes. Vier Damen etwa, von Francisco Goya 1792 gemalt, befördern mit einem gespannten Tuch einen lebensgroßen Hampelmann hoch in die Lüfte. James Ensor inszeniert 1930 einen beängstigenden Maskenball und Jean-Baptiste-Siméon Chardin lässt zweihundert Jahre früher in seinem Gemälde einen Schimpansen die Rolle des Staffeleimalers einnehmen. Im Großformat der Historienmalerei bildet Fernand Pelez 1888 beinahe photorealistisch die Welt der Gaukler auf ihrer Wanderbühne ab, vom kleinen traurig dreinschauenden Trommler bis zum lustlos musizierenden Greis. Pablo Picasso findet 1905 seine Inspiration hinter den Kulissen bei einer verhärmten Akrobatenfamilie. Dem Amerikaner Reginald Marsh hatten es 1932 die bunten Schaustellerbuden von Coney Island angetan und August Sander lässt 1927 das Zirkusvolk vor seinem Kameraauge posieren. Der junge französische Künstler Pierrick Sorin hingegen schlüpft selbst in die Rolle des Clowns. Nackt lässt er sich in seinem Kurzfilm ständig mit Torten bombardieren. Ein einsamer Künstlerclown in einer Schau, die überwiegend von Malern, Bildhauern und Fotografen dominiert wird, die die Welt des Zirkus vielmehr als Fundgrube verstanden auf der Suche nach realitätsnahen Motiven.

    Die Realität abzubilden, darum geht es den Künstlern sicher immer, aber das sollte nicht unser Thema sein. Natürlich beschäftigt sich die Ausstellung auch mit der starken Anziehungskraft, die die Welt des Zirkus auf die Künstler ausübte, was eng mit dem damals verschärften Blick der Künstler auf die primitive Kunst zusammenhing. Hier wie dort wurde nach der Reinheit des Ausdrucks in einem sozusagen vorkulturellen Zustand gesucht, was ein typisches Charaktermerkmal der modernen Kunst war.

    In der "großen Parade" im Pariser Grand Palais ziehen am Publikum vor allem Werke vorbei, die den Blick der modernen Künstler auf die Originalität und die allgegenwärtige Misere der Zirkuswelt wiederspiegeln. Die Identifizierung des Künstlers mit der Figur des Clowns ist jedoch nur selten direkt an den Werken abzulesen, auch bei Max Beckmann nicht, der immerhin 1927 bekennt: "Religion, Politik und Leben sind dem Künstler fremd er ist da für die Zerstreuung und das Vergnügen der Mächtigen". Die Pariser Ausstellung bleibt also in erster Linie eine glänzend inszenierte "große Parade" von Kunstwerken zum Thema des Zirkus und der Welt der Gaukler. Der ambitionierte Untertitel der Schau ist unterwegs irgendwann wohl verlorengegangen. Ob da die Figur des Clowns den Ausstellungsmachern wohl einen Streich gespielt hat?