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Die Großen Blondinen

Sie sind Paul Salvador und suchen jemanden. Der Winter geht dem Ende zu. Aber Sie suchen nicht gern allein, Sie haben nicht viel Zeit, also melden Sie sich bei Jouve. Sie könnten sich mit ihm wie gewohnt auf einer Parkbank, in einer Bar oder einem Büro, in Ihrem oder seinem, verabreden. Zur Abwechslung schlagen Sie ihm ein Treffen im Schwimmbad an der Porte des Lilas vor. Jouve ist völlig einverstanden. Sie wären am vereinbarten Tag zur vereinbarten Stunde am genannten Ort zur Stelle. Aber Sie sind nicht Paul Salvador, der zu all seinen Terminen zu früh kommt.

Jürgen Ritte |
    Sie sind nicht Paul Salvador, und wir schreiben das Jahr 1992. Sie sind auch nicht Jouve, Sie sind Jean Echenoz, Sie sind Schriftsteller und haben gerade Ihren fünften Roman geschrieben. Sie sind keiner von der schnellen Sorte: alle zwei, meistens drei Jahre ein Buch. Sie brauchen Geld. Da kommt eines Tages ein Redakteur auf Sie zu und sagt: "Schreiben Sie mir doch einfach mal einen Artikel über Ihr ganz persönliches Verhältnis zum Kino, Ihre Souvenirs, über das, was bleibt, wenn's im Saal wieder hell wird". Sie sagen: "Gut, ich schreibe etwas über Hitchcocks Frauen, diese kühlen, unnahbaren Blondinen, die sich, so der Meister, in der Vorstellung des Zuschauers zu heißblütigen Ludern wandeln sollen". Aber dann stellen Sie fest, dass die Sache doch nicht so einfach ist. Sie können das Ganze drehen und wenden, wie Sie wollen - aus dem Artikel wird nichts. Aber Sie haben eine Idee: Sie erfinden Paul Salvador, seines Zeichens Produzent von Fernsehshows des Typs "Was ist aus Ihnen geworden?" sowie anderer quotenträchtiger Variétés. Und nun kann Salvador sehen, wie er mit dem Problem fertig wird. Denn natürlich interessiert sich auch Salvador für Blondinen, rein professionnell, versteht sich. Insbesondere interessiert sich Paul Salvador für Gloire Abgrall: Vor Jahren hat sie zwei Schallplatten gemacht, Singles, es damit kurzeitig auf einen dritten Platz in der französischen Hitparade gebracht und dann, man weiß nicht warum, Ihren Entdecker, Manager und Ehemann in einen Aufzugschacht gestürzt.

    Schlagzeilen, Gerichtsverhandlung, Gefängnis, vorzeitige Haftentlassung wegen guter Führung. Seitdem fehlt jede Spur von Gloire Abgrall oder, so ihr Künstlername, Gloria Stella. Seit vier Jahren hat man nichts mehr von ihr gehört. Was ist aus ihr geworden? Die unglaubliche Geschichte der Gloire Abgrall - das wäre ein schönes Thema für seine Sendung über den Mythos der "Großen Blondinen". Aber nun sind Sie wieder Paul Salvador und kommen in ihren Recherchen nicht weiter. Nein, Sie sind nicht Paul Salvador, Sie sind Jean Echenoz und erfinden Jouve. Abends schaut sich Jouve mit seiner Frau gerne Salvadors Sendungen an. Tagsüber arbeitet Jouve bei der Spionageabwehr. Er hat Leute unter sich, deren Beruf es ist, andere Leute, solche, die sich verstecken, aufzuspüren. Also bittet Salvador Jouve in der Cafeteria des Schwimmbads an der Pariser Porte des Lilas um einen Gefallen. Und Jouve verspricht zu helfen...

    Ich will Ihnen nicht verhehlen, sagte Salvador, dass es Möglicherweise nicht leicht wird. Wir haben selber ein paar Nachforschungen angestellt, aber die haben nichts ergeben. Als hätte sie sich praktisch seit vier Jahren bei keinem Menschen gemeldet. - Abwarten, sagte Jouve, ich setze gleich jemanden darauf an. Aber wen?, fragte er sich. Wir hätten Boccara, der wäre nicht schlecht, mal schauen, ob der frei ist. Oder auch Kastner. Ja, lieber Kastner. Ein netter Kerl, der das sehr gut für Sie erledigen könnte. Ist das eigentlich die wahre Identität? - Entschuldigung, meinte Salvador, was für eine Identität? - Na, dieser Name da, sagte Jouve und legte den Zeigefinger auf Gloria Stella. - Klingt ein bisschen kitschig, so als Name, finden Sie nicht auch? - Ach so, sagte Salvador, nein, nein, natürlich nicht. Aber Sie werden schon sehen, ich habe Ihnen das alles aufgeschrieben.

    Sie sind weder Paul Salvador noch Jouve. Und Sie sind auch nicht Jean Echenoz. Sie sind der eventuelle Leser des Romans "Die großen Blondinen", und das ist die mit Abstand beste Rolle, die Ihnen Echenoz in diesem seinem sechsten Buch zudenken konnte. Sie ist auf jeden Fall beneidenswerter als die des netten, aber auch tragischen Kastner, Jean-Claude Kastner, einer von Jouves Leuten, dem es gleich im zweiten Kapitel gelingt, Gloria Stella irgendwo in der Bretagne ausfindig zu machen. Sein Problem ist nur, daß er nicht weiß, daß die etwas unscheinbar wirkende und etwas geschmacklos geschminkte Frau mit Einkaufstüte, die ihn auf ein Glas zu sich ins Haus bittet, Gloire Abgrall alias Gloria Stella ist. Als diese ihn dann beim nächtlichen Spaziergang - bei einem Glas war's nicht geblieben - von den nahen Klippen ins Meer stößt, wird er, kurz vor dem tödlichen Aufprall, vielleicht noch geahnt haben, daß er unabsichtlich einen Volltreffer gelandet hatte. Zu spät, und das ist für einen Geheimagenten nicht nur peinlich, sondern eben auch fatal.

    Exit Kastner. Andere werden folgen, und so beginnt die Jagd auf Gloria Stella, die von der Bretagne nach Australien, nach Indien und schließlich, zum Showdown, zurück auf den Alten Kontinent, genauer: in die Pyrenäen führen wird. Aber Romane wie dieser lassen sich nicht nacherzählen. Jean Echenoz treibt ein buntes, ein schwindelerregendes und vor allem: ein sprachspielerisch witziges Verwirrspiel mit Versatzstücken aus Kriminalromanen und Kinomythen. Nicht, um aus solchen Bauelementen ein weiteres Werk der sogenannten Populärkultur zu basteln, sondern weil sich dieser Kultur Wirklichkeitsbereiche erschließen, weil sie Wahrnehmungsmuster erstellt, die der alten Dame Belletristik in der Regel verschlossen bleiben.

    Angefangen bei seinem ersten, 1979 erschienenen Roman "Le méridien de Greenwich" bis zu seinem vorläufig letzten, dem seit dem vorigen Jahr auf Deutsch vorliegenden "Ich gehe", für den er den "Prix Goncourt" erhielt, vermißt Jean Echenoz zeitgenössische Wirklichkeit, die Wirklichkeit der 80er und 90er Jahre, mit ihren eigenen optischen Apparaturen und testet sie auf ihre Leistungsfähigkeit. Nicht umsonst ist Paul Salvador Fernsehproduzent und nicht umsonst hat er, das gehört bei Echenoz zur ironischen Wahrnehmung dieses Milieus aus Strass, Sex und Flitter, eine Assistentin namens Donatienne mit so tiefem Dekolleté und so kurzen Röcken, dass an Stoff nicht viel bleibt.

    Die großen Blondinen. Wir rekapitulieren. Nach Urhebern geordnet. Das hätten wir also erst mal die Hitchcock-Modelle. Dann die Bergmann-Modelle. Dann die aus den sowjetischen Filmen, Satellitenstaaten inklusive. Noch mal von vorn. Vielleicht doch besser geographisch geordnet. Vor allem die Amerikanerinnen und Europäerinnen, sozusagen von Übersee bis zum Ural: die großen Blondinen kommen vor allem in der nördlichen Hemisphäre vor. Ja. Auch nicht gerade fantastisch, das Prinzip. Man könnte stattdessen von einer klassischen Größe ausgehen, mit der sich alle auskennen. Sagen wir mal das emblematische Dreieck Monroe-Dietrich-Bardot. Ist das nicht ein bisschen konventionell?, sorgte sich Donatienne, hat man das nicht schon hundert Mal gehabt? - Wenn du meinst, sagte Salvador. Gut. Dann gehen wir nach Persönlichkeiten vor. Vergessen wir diese drei klassischen großen Blondinen, suchen wir nach dem Exzentrischen. Sonderfälle, á la Anita Ekberg, weißt du, oder Julie London in einem anderen Genre. Gib mal die Kartei. Alöso. Wir haben die Einsamen, die an den Rand Gedrängten, die Missratenen. Und auch ein paar Unbedeutende. Nicht zu vergessen ein paar Komische, die sollte man auch erwähnen. Berücksichtigen müssen wir auch die wenn auch sehr kleine Menge der Hässlichen. Wie da eine Ordnung schaffen? - Wie das Ganze klassifizieren? - So groß war die ja gar nicht, die Monroe, bemerkte Donatienne, über die Karte gebeugt. - Hat nichts damit zu tun, sagte Salvador, ohne den Kopf zu heben, du begreifst die Methodik noch nicht. Eine muss nicht unbedingt körperlich groß sein, um zu den großen Blondinen zu gehören, nicht unbedingt. (Er dachte nach.) - Vielleicht nicht mal unbedingt blond übrigens.

    Die Wahrnehmung durch die Optik des Kinos und des Fernsehens in "Die großen Blondinen", durch den Spionageroman in "Lac" (deutsch: Der See, 1989), oder etwa die Gattung der Science Fiction und des Katastrophenfilms in "Wir Drei" aus dem Jahre 1992 ist eine Wahrnehmung von der Peripherie her, der Peripherie der Hochkultur. Und so sind auch Jean Echenoz Romane "dezentrierte" Romane, Romane von den Rändern her. Der Erzähler, der zuweilen, wie Paul Salvador zu Anfang des Romans, vorgibt, selbst nicht mehr weiter zu wissen, hat seinen Hochsitz im Zentrum der Geschichte verlassen. Das ist für eingefleischte Romanleser, die Raymond Queneau oder Georges Perec gelesen haben (bleiben wir in Frankreich und in Echenoz' Nähe), nichts beunruhigend Neues. Bei Echenoz aber wirkt der Erzähler wie ein Autofahrer, der sich auf dem Weg in eine ihm unbekannte Innenstadt leise fluchend in irgendwelche Vororte verfahren hat und nun beschließt, dort auch zu übernachten. Das ist nicht nur als Metapher gemeint. Denn nirgends zeigt sich Echenoz' Standpunkt an der Peripherie deutlicher als an den durchaus konkreten Orten, die er für seine Romane aussucht. Diese sind so sorgfältig abseitig gewählt wie sonst nur in modernen Filmen. Das ist die Welt von Wim Wenders' "Paris.Texas" oder David Lynchs "Mulholland Drive". Spulen wir unseren Film noch einmal zurück: Salvador trifft Jouve an der Pariser Porte des Lilas. Dort gibt es nicht viel zu sehen, dort hat man bestenfalls Aussicht auf die Pariser Stadtautobahn, den "Boulevard Périphérique".

    Dorthin verirrt sich kein Tourist, auch auch kein Pariser, der nicht dort wohnt oder arbeitet. Dabei gibt es dort ein Schwimmbad, in dem sich, wie Salvador und Jouve beiläufig feststellen können, durchaus interessante Beobachtungen anstellen lassen, etwa über die aktuelle weibliche Bademode: "Einteiler, Zweiteiler, Bikinis, Tangas, Prototypen in Waffelpiqué, gesmokt, gefranst oder gar gerüscht". Entspricht die Wahl des Standorts Porte des Lilas Echenoz' Vorliebe für die Peripherie, so entspricht die Wahl der Schwimmbad-Cafeteria seinem ironisch distanzierten Umgang mit den genrebedingten Gesetzen seiner Modelle in der Populärkultur: Natürlich hätte Salvador sich, wie es sich bei einem Treffen mit einem Geheimagenten gehört, mit Jouve auf einer Parkbank oder in einem Bistro verabreden können. Aber das wäre zu einfach gewesen.

    Und außerdem hätte dies keinen ersten Blick auf die Großen Badenden erlaubt, die eine kunsthistorische Spielart und Vorform der Großen Blondinen sind. Oder nehmen wir den unglücklichen Kastner, Jean-Claude: Sein erster Zwischenhalt in der Bretagne findet auf dem Parkplatz eines anonymen Gewerbegebiets statt. Von dort hat man Aussicht auf Saint-Brieuc. Kein Ort, wo man seine Ferien verbringt. Und Kastner mag Geheimagent mit Spesenkonto sein, er nächtigt in einer billigen Herberge mit nachträglich ins Zimmer eingebauter Duschkabine. Das sind die Orte des Jean Echenoz: Parkplätze vor Supermärkten, Autobahnraststätten, anonyme Wohnsiedlungen vor den Toren von Provinzstädten. Auch in Indien, wo immerhin drei Viertel des Romans spielen, oder in Australien, wo es im Sommer entsetzlich heiß wird, ändert sich nichts an diesem Befund. Nichts kommt aus Prospekten oder Reiseführern, Echenoz betreibt eine Erkundung der Nicht-Orte, der globalen Banalität.

    Vorstadt ist überall, und sie ist nicht einmal exotisch. Sie ist normal wie die Kantine, in der man sich "Mahlzeit" sagt, aber sie ist, das entgeht uns normalen Kantinengängern und Ferntouristen, literaturfähig. Man braucht nur hinzuschauen, und das Sehen wird zur Lust: Weibliche Bademode zum Beispiel. Oder, Hausaufgabe, notieren Sie einmal Präsentation und Nomenklatur Ihres täglichen Kantinenessens. "Schweinenacken Hawai", darüber lachen wir heute. Aber was essen Sie morgen? Wir haben, so schrieb der französische Literaturkritiker Pierre Lepape vor Jahren schon, Geist und Alltag der fünfziger Jahre in den Photographien eines Doisneau, den der sechziger in den Filmen eines Godard, den der siebziger in den Ikonen eines Andy Warhol - und den der Gegenwart in den Romanen eines Jean Echenoz.

    Schön, aber was ist nun mit Gloria Stella? Gemach. Auch sie stammt von der Peripherie, von der Peripherie von Gesetz und Vernunft. Sie ist ganz objektiv eine Mörderin und eine Verrückte noch dazu. So ist das nun einmal mit fatal faszinierenden Frauen. Lässt sich nicht von Zeit zu Zeit ein dreißig Zentimeter großer Homunkulus namens Béliard auf ihrer Schulter nieder, mit dem sie vertraute, aber auch kontroverse Zweisprache hält? Der ihr sagt: Den da hätte ich auch umgebracht, aber dies und das würde ich nicht tun? Oder ist der Erzähler verrückt, der uns allen Ernstes der Existenz dieses infernalischen Fabelwesens versichert? Ja, er ist verrückt, ver-rückt, leicht verquer, gebrochen, dabei witzig, nicht zum Schenkelklopfen, aber immerhin. Man weist gerne auf die spielerische Leichtigkeit in den Romanen des Jean Echenoz hin, auf das Feuerwerk an brillanten erzähltechnischen und wortspielenden Kniffen, das er mit fast jeder Seite seiner Romane zündet. Und es stimmt: seit Michel Butors "Modifikation", einem Klassiker des sogenannten "Nouveau Roman" aus dem Jahre 1957, hat es niemand mehr gewagt, einen Roman in der Höflichkeitsform der zweiten Person Plural, "Vous" - im Deutschen ist es, wie gehört, die dritte Person - anzufangen. Aber genauso wenig wie das "Vous" als formale Spielerei abgetan werden kann - es funktioniert vielmehr wie das Auge einer Kamera, das den Ort der Handlung abfährt, bevor die erste Person auftritt, kann man Witz und Ironie bei Echenoz als Attribute der leichten Muse abtun.

    Es sei denn, und dafür spricht einiges, man erklärt die Muse der Leichtigkeit zur eigentlichen Muse: In seinen viel zu wenig beachteten "Sechs Vorschlägen für das nächste Jahrtausend", die der italienische Romancier Italo Calvino Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrtausends, kurz vor seinem Tod als Flaschenpost hinterlassen hat, zählen Vielschichtigkeit, Geschwindigkeit, Komplexität und eben Leichtigtigkeit, vielleicht besser verdaulich als "leggerezza", zu den Schlüsselbegriffen einer kommenden Ästhetik des Literarischen. Die Leichtigkeit ist das, wovon die visuellen Künste, allen voran die Malerei mit ihrer Faszination für Seiltänzer und Kunstreiterinnen, schon seit langem sprechen. Die Leichtigkeit ist die Überwindung der Schwerkraft, ist Tanz, ist Schweben.

    Calvino zitiert Kafkas "Kübelreiter" als Vertreter einer Ästhetik der Leichtigkeit. Dieser wird aufgrund seines Hungers schließlich so dünn und leicht, daß er sich auf seinem Kübel in die Lüfte erheben kann. Die Leichtigkeit spricht von der Schwere des Daseins, nicht der moralische Zeigefinger, nicht der kluge Diskurs. Nach den "Großen Blondinen" schrieb Echenoz einen kurzen, nicht weniger leichtfüssig daherkommenden Roman: "Un an", "Ein Jahr", genau die Zeit, die eine Frau, wieder eine Frau, braucht, um sich aus der Mitte der Pariser Galeristenszene an die soziale Peripherie als Clocharde am Bahnhof von Toulouse verfrachtet zu sehen. Aber noch einmal: Echenoz' Romane sind keine moralischen Erzählungen. Sie gleichen ironischen Flügen über das hinweg, was wir Wirklichkeit nennen und dafür halten - in unseren Lieblingserzählungen, Lieblingsfilmen, Lieblingsträumen. Und was nun Gloria Stella und Paul Salvador angeht: Nun, er findet sie schließlich, ganz dem Genre der leichten Muse entsprechend. Und wie es sich für ein anständiges Kinofinale in Agentenfilmen und ähnlichem gehört, befinden wir uns auf hochgelegenem, gefährlichem Terrain. Schlimmer noch: wir betreten eine Seilbahn. Salvador ist nicht schwindelfrei, der Leser schon lange nicht mehr, und Gloria Stellas Spezialität besteht darin, Männer aus der Höhe in die Tiefe zu stürzen - ein wahrhaft hitchcock'scher Alptraum:

    Warten Sie, sagt Salvador, einen Moment bitte. Ich kann da nicht einsteigen. Gloire sieht ihn fragend an. Ich habe etwas Höhenangst, erklärt Salvador. Abgründe unter mir kann ich nicht ertragen. Das macht mich ganz krank, wenn Sie so wollen. Ich gerate in Panik, das ist idiotisch, aber Vernunft hilft da nicht weiter. - Mit einem seltsamen, etwas starren Lächeln schaut Gloire auf ihn, ihre Augen sind fast feucht. Ach bitte, kommen Sie, sagt sie mit seltsamer Stimme. Und Salvador kommt nicht dagegen an, er folgt ihr in die Kabine. Die Tür schließt sich hinter ihnen, sobald der aus seiner Baracke getretene Mann Schalter und Hebel betätigt, dann auf einen großen grünen Knopf gedrückt hat: Lautlos setzt sich die Seilbahn in Bewegung. Sie schweben los. Sie schweben empor. Der Mann steht neben den Maschinen und sieht, wie die Kabine kleiner wird; über ihr, am hohen Himmel, ziehen wieder Adler oder sogar schon Geier ihre Kreise. Ein sehr leichter Wind entlockt dann und wann den Kabeln der Seilbahn harmonische Obertöne. Welche eben gerade auf halber Strecke stehen geblieben ist. (...) Ja, Sie ahnen das Schlimmste, diese Ihre Ahnung ist verständlich: Halbtot vor Angst, ohne auch nur den winzigsten Blick nach unten werfen zu können, klammert Salvador sich mit aller Kraft an alles, das wie ein Griff aussieht, klammert sich so fest daran, dass seine Knöchel weiß hervortreten, dass ihm die Luft wegbleibt.

    Jetzt sind Sie wieder Paul Salvador. Sie heben ab. Sie wissen nicht, was gleich kommen wird. Bis zum Ende des Romans stehen Ihnen noch ganze 24 Zeilen bevor.