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Die Grundrechtscharta

Die Spannung ist spürbar, als sich Ende September Lord Goldsmith im Konvent zum Schlusswort erhebt. Schließlich gilt der Beauftragte der britischen Regierung als größter Skeptiker. Doch der Lord spricht die erlösenden Worte: Ja, er werde die Grundrechte-Charta Tony Blair empfehlen und er sei optimistisch, dass auch der Premierminister zustimmen werde:

Jochen Spengler |
    I look forward to reporting warmly to the prime minister who has kept close contact with the development on the work to date. And I am very hopeful that he would then be able to signify acceptance of the United Kingdom to that text... Applaus...I think that's the first time that happened to me...Lachen.

    Nicht ohne Selbstironie konstatiert Lord Goldsmith, dass er jetzt wohl zum ersten Mal Beifall im Konvent erhalten habe. Das stimmt - schließlich hat er fast zehn Monate lang immer wieder Bedenken gegen eine allzu verbindliche Grundrechtscharta vorgetragen. Einer der Antreiber war dagegen Professor Jürgen Meyer, der Sozialdemokrat und Beauftragte des Deutschen Bundestages im Konvent.

    Jürgen Meyer: Ich denke insgesamt können wir stolz sein, auf das Ergebnis einer langen Arbeit, die nun vorgelegt wird...und ich denke, dass die Bürgerinnen und Bürger für die wir hier gearbeitet sich freuen können, dass der Schutz ihrer Menschen- und Bürgerrechte gegenüber Machtgebrauch und Machtmissbrauch seitens der Organe der EU eindeutig gestärkt wurde. Damit ist eine Lücke im Schutz der Menschenrechte demnächst so hoffen wir geschlossen. Ein europäisches Modell, das deutlich macht, wir leben nicht nur in einer Wirtschafts-, sondern auch in einer Werteordnung.

    Die Idee der europäischen Grundrechtscharta stammt aus Deutschland aus Reihen der SPD. Ihrer Forderung schließen sich 1995 rasch alle Bundestagsfraktionen an. Doch erst unter dem Eindruck des Kosovo-Krieges gelingt es der rot-grünen Bundesregierung als EU-Vorsitz im Juni 99 die europäischen Partner vom Sinn des Projekts zu überzeugen: Mit der Charta könnte man Europa eine neue Vision geben.

    Ein Gremium, das sich bald selbst Konvent nennt, wird vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs in Köln beauftragt, unter Leitung des Altbundespräsidenten Roman Herzog rechtzeitig vor Ende 2000 einen Charta-Entwurf vorzulegen. Dem Gremium gehören 62 Politiker und Rechtsgelehrte an. Fünfzehn Beauftragte der Regierungen, ein EU-Kommissar, sechzehn Mitglieder des Europaparlaments sowie dreißig Mitglieder der nationalen Parlamente, also zwei pro Mitgliedsstaat.

    Der Konvent tagt erstmals am 17. Dezember 1999. Als Basis der Beratungen dienen rund 25 Rechtsquellen, nicht nur die Verfassungen der EU-Staaten, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Sozialcharta, sondern auch Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Am 2. Oktober 2000 beendet der Konvent seine Arbeit offiziell. Es gibt Konsens über die "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" - niedergelegt auf 23 Seiten. Und natürlich klopfen sich die beteiligten Parteien und Strömungen gegenseitig auf die Schulter. Schwerer wiegt das Lob eines neutralen Beobachters wie das von Siegbert Alber, des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof:

    Siegbert Alber : Dem Konvent ist eine Gratwanderung gelungen - eine Gratwanderung zwischen Wünschenswertem auf der einen Seite und Machbarem auf der anderen ... Deshalb ist die Charta der Grundrechte ein entscheidender Meilenstein für die weitere europäische Integration und auch für den Bürger als Bürger Europas

    Fast euphorisch fällt auch das Urteil des sonst eher nüchternen Juristen Hansjörg Geiger aus, Staatssekretär im Bundesjustizministerium und an diesem 2. Oktober als Vertreter der Bundesregierung nach Brüssel geeilt.

    Hansjörg Geiger : Wir haben einen sehr ausgiebigen Grundrechtskatalog, der sich gut mit unserem Grundgesetz messen kann, aber wir haben einen Bereich der fortschrittlicher ist, als alle europäischen Verfassungen, auch als die deutsche, wir haben gleichrangig mit den Grundrechten, den Menschenrechten, jetzt auch einen Katalog von sozialen Rechten - also der Grundsatz der Solidarität der Europäer untereinander ist jetzt in klaren Positionen in der europäischen Grundrechtscharta festgelegt worden - das ist ein Riesenerfolg. Was aber wirklich entscheidend ist, dass es wirklich gelungen ist, mit 15 Stimmen, mit 15 Sprachen, mit 15 Verfassungstraditionen, auch mit der britischen des ungeschriebenen Verfassungsrechts hier zu einem Konsens zu kommen, das zeigt: Europa lebt wirklich, Europa lebt wirklich.

    Es liegt ein Text vor, dem auch Tony Blair seine Zustimmung nicht versagen kann, als er seine Amtskollegen auf dem EU-Sondergipfel am 14.Oktober in Biarritz trifft. Er wolle hier nicht im Abseits stehen, sagt der Premierminister des Vereinigten Königreichs. Und so wird die Charta einstimmig von den Staats- und Regierungschefs der EU gebilligt, ein Text, der, so Bundeskanzler Schröder, vor allem das Verdienst eines Mannes sei:

    Gerhard Schröder: Der Konvent hat wirklich eine hervorragende Arbeit geleistet und alle haben einmütig festgestellt, dass das nicht zuletzt auf Roman Herzogs Arbeit und seine profunden Kenntnisse des europäischen Verfassungsrechts und der Verfassungsgeschichte zu danken ist

    Ohne die humorvolle, moderate und doch verbindliche Art des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts hätte sich der Konvent vermutlich gleich am Anfang zerfleischt über die Frage, ob die Charta denn nun in den EU-Vertrag aufzunehmen sei und dadurch rechtsverbindlich werden müsse oder nicht. Herzog schlägt den Streithähnen vor, die Frage einfach nicht zu beantworten und statt dessen so zu tun als ob.

    Der Konvent hat sich aber von allem Anfang an darauf geeinigt, dass er so arbeitet, dass wenn der Europäische Rat eine Aufnahme in den Vertrag wünscht, dieses ohne weitere Überlegungen und ohne weitere Arbeit möglich ist. Wir formulieren so als ob die Charta, die wir erarbeiten, in den Vertrag aufgenommen werden würde, ohne dass das unserer Entscheidung unterliegt.

    Ein anderer Grundsatzstreit droht über Sinn und Unsinn einer Geschäftsordnung. Wie etwa soll der Konvent abstimmen im Konfliktfall? Doch auch hier weiß Herzog einen Ausweg. Jo Leinen, der sozialdemokratische Europaparlamentarier.

    Jo Leinen : Es war ein guter Trick von Herzog zu sagen, laß uns doch erst mal gucken, ob wir uns auf Inhalte einigen und wenn wir abstimmen, können wir uns immer noch auf Methoden einigen und dann begann es mit der Würde des Menschen...und dann kam tatsächlich das Verfahren nicht mehr zum Zuge.

    Statt dessen spricht man über Inhalte im halbrunden Saal 3 C 50 des Brüsseler Europaparlaments, wo Roman Herzog vom hohen Podium aus, die Tagungen leitet. Zum Beispiel Ende März, als die sechste Tagung des Grundrechte-Konvents mit der üblichen Verspätung eines akademischen Viertelstündchens um 9 Uhr 16 beginnt.

    Roman Herzog : Wir sollten, um keine weitere Zeit zu verlieren mit der Fortsetzung unserer Beratung beginnen. Ich eröffne die heutige Sitzung. Wir müssen die Zweite Lesung der Artikel 18 und 19 noch abschließen. Ich rufe den Artikel 18 auf: "Alle Menschen sind vor dem Recht gleich". Gibt es Wortmeldungen?

    Ja, und zwar jede Menge - und natürlich auch von Lord Goldsmith, dem Vertrauten Tony Blairs, der immer wieder Haare in der Suppe findet.

    Lord Goldsmith : Mr. Chairman, I have a great doubt weather this should appear as a separate article at all and I am not sure what exactly it is intended to say.

    Lord Goldsmith zweifelt am Sinn des Artikels. Andere Redner plädieren dafür, ihn weiter nach vorn zu stellen. Herzog und sein Präsidium versuchen, den Konsens im Saal zu erspüren. Abstimmungen sind verpönt. Bei der konsensuellen Methode bleibt es auch, als sich der Altbundespräsident nach dem Tod seiner Frau im Juni aus dem Konvent zeitweise zurückzieht und als er im Herbst aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an den Schlussberatungen teilnehmen kann. Herzogs Stellvertreter Professor Guy Braibant, der Beauftragte der französischen Regierung, bedauert:

    Guy Braibant: Wir waren natürlich unglücklicherweise ohne Präsident Herzog, aber um einen Ausdruck zu verwenden, den er von Beginn unserer Arbeit an gebraucht hat: wir haben so getan, als sei er dabei gewesen.

    Kein einziges Mal kommt es im Konvent zu einer förmlichen Kampfabstimmung. Was auch schlecht wäre bei einem Werk, dem Verfassungsqualität zukommen soll. Statt parlamentarischer Geschäftsordnung nebst Debatte und Abstimmung herrscht ein System der paternalistischen Konsensfindung, das aber nicht überall Beifall findet. Johannes Voggenhuber, grüner Europaparlamentarier aus Österreich:

    Johannes Voggenhuber : Massive Mehrheiten im Konvent, etwa zum Streikrecht, zum gerechten Lohn, zum Recht auf Arbeit, und Wohnung - alles verbürgte Grundrechte in der Sozialcharta, im Völkerrecht, in den Konventionen - werden nicht beachtet...Das Präsidium legt Vorschläge vor, in denen die Mehrheit nicht berücksichtigt wird...und durch die Verhinderung von Abstimmungen im Konvent passiert also eine Art Konsensmaschinerie, die prädemokratische Züge aufweist...dass ich mich als Mitglied des Konvents wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen mehr konsultiert fühle als vertreten durch dieses Präsidium.

    Das besteht neben Roman Herzog und Professor Braibant, aus dem EU-Kommissar Vitorino, dem Europaparlamentarier Mendez de Vigo und dem finnischen Parlamentarier Jansson. Die grüne Kritik am Präsidium teilt Martin Schulz nicht, der Vorsitzende der SPD im Europaparlament.

    Martin Schulz : Da muss ich dem Voggenhuber auch widersprechen. Man hatte schon Einfluß auf das Präsidium...indem man mit dem Präsidium in den Dialog eintrat und noch mal nachfragte, Leute was macht ihr mit meinem Änderungsantrag und wie bewertet ihr den. Die Paternalistische Methode war in den ersten drei wochen die einzige Möglichkeit, die Selbstblockade des Konvents zu überwinden. Denn es zeichnete sich ja ab, dass es zwei Grundströmungen gab: die die alles wollten und die die nix wollten.

    Während Briten und Dänen eher nichts wollten, versuchen manche Radikale und Grüne aus Mitteleuropa mit der Charta eine wahre Wunschverfassung für Europa zu basteln. Beide Strömungen scheitern. Am Ende steht ein ausgewogener Wertekanon, der sich zusammensetzt aus einer Präambel und 7 Kapiteln, die sich in 54 Artikel gliedern.

    Bis zum letzten Tag ringen die 62 Konventsmitglieder um einzelne Formulierungen. So wollen die Christdemokraten in der Präambel einen Gottesbezug. Sie bekommen ihn nicht und es bedarf sogar eines Telefonats von Roman Herzog mit Frankreichs Staatspräsident Chirac, um Frankreich, das sich auf seine weltliche Verfassung beruft, wenigstens davon zu überzeugen, dass man das französische Wörtchen "spirituel" im Deutschen nicht auch mit spirituell übersetzt oder mit dem Wortpaar geistig-moralisch. Korrekt sei am ehesten der Ausdruck geistig-religiös. Nun heißt es in der Präambel:

    In dem Bewusstsein ihres geistig-religösen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität.

    Nach der Präambel folgt das erste Kapitel der Charta. Es handelt von der Würde des Menschen und Artikel 1 lautet:

    Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.

    In Artikel 2 heißt es:

    Jede Person hat das Recht auf Leben. Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.

    Es folgen das Recht auf Unversehrtheit, wozu auch das Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen zählt, das Verbot von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung, von Sklaverei und Zwangsarbeit.

    In Kapitel zwei die Freiheitsrechte: das persönliche Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, auf freie Meinungsäußerung, auf Versammlungsfreiheit, auf Bildung, auf Familiengründung, auf Privatleben, auf Eigentum, auf Asyl und Schutz bei Abschiebung. Vergleichsweise modern der Artikel 8:

    Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.

    Artikel 15 handelt nicht etwa vom Recht auf Arbeit, sondern lautet:

    Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben.

    Das ist manchen wie der PDS-Europaabgeordneten Sylvia-Ivonne Kaufmann eigentlich zu wenig.

    Sylvia-Ivonne Kaufmann: Nach meiner Ansicht gibt es nach wie vor eine Schieflage zu Lasten der sozialen Rechte... Es ist zum Beispiel nicht enthalten ... ein Recht auf Wohnung und auch nicht auf ein Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt, was es ja in der Sozialcharta gibt und das hätte man hier übernehmen können.

    Statt dessen aber findet sich in der Grundrechte-Charta der ziemlich ungewöhnliche Artikel 16:

    Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.

    Ein Artikel, dessen Entstehung der Grüne Voggenhuber kritisiert, da er zu einer Disbalance zwischen wirtschaftlichen und sozialen Rechten beitrage:

    Artikel 16 - die unternehmerische Freiheit wird anerkannt, ist ein Grundrecht, das völlig neu kreiert wurde. Es gab dazu keinen Initiativantrag im Konvent, es gab dazu keine Wortmeldung, es gab dazu keine Intervention, keinen Abänderungsantrag, er kommt aus dem nichts.

    Was der Vizepräsident des Europaparlaments Ingo Friedrich nicht auf sich sitzen lässt. Der CSU-Politiker reklamiert die Urheberschaft.

    Ingo Friedrich : Wir haben dann die unternehmerische Freiheit durchgesetzt. Das ist ein neues Grundrecht was es in keiner Verfassung gibt, darauf sind wir sehr stolz, das zeigt die Modernität dieser Charta.

    In Kapitel drei die Artikel 20 bis 26 unter der Überschrift "Gleichheit". Aufgeführt sind die erwähnte Gleichheit vor dem Gesetz, das Verbot der Diskriminierung wegen Geschlechts, Rasse, Hautfarbe oder Herkunft, die Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen, die Gleichstellung von Mann und Frau, die Rechte des Kindes, die Rechte älterer Menschen und der Anspruch von behinderten Menschen, integriert zu werden.

    Kapitel vier ist mit "Solidarität" überschrieben. Darunter werden soziale Rechte verstanden, etwa das Streikrecht, das Tarifvertragsrecht, das Recht auf Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung, auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen, das Verbot der Kinderarbeit, das Recht auf soziale Sicherheit und Unterstützung, auf Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutz.

    All das macht nicht den Eindruck einer fehlenden Balance zu Lasten sozialer Rechte. Präsidiumsmitglied Guy Braibant, legt Wert auf die Feststellung, dass sich der Konvent die sozialen Rechte zwar nicht neu ausgedacht habe:

    Guy Braibant: Diese Rechte gab es schon. Wir haben keinen neuen Rechte erfunden. Aber neu ist die Zusammenstellung, die zu einer besseren Lesbarkeit führt, und neu ist die Tatsache, dass die Rechte in einem einzigen Dokument erscheinen, in dem auch die klassischen Grundrechte enthalten sind. Für mich ist das eine Aufwertung der sozialen Rechte. Es sind keine Rechte zweitens Grades mehr, sondern es sind Rechte die in demselben Dokument auftauchen und die demzufolge den gleichen juristischen Wert haben wie die klassischen politischen Rechte.

    Kapitel fünf der Charta ist mit "Bürgerrechte" betitelt. Hier finden das aktive und passive Wahlrecht Erwähnung, das Recht auf Zugang zu Dokumenten, sowie in Artikel 41 ein neues Recht, das auf eine gute Verwaltung:

    Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden.

    In Kapitel sechs sind justizielle Rechte aufgeführt, zum Beispiel die Unschuldsvermutung sowie das Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden. Im Schlußkapitel sieben schließlich stehen allgemeine Bestimmungen, unter anderem in Artikel 51 eine, auf die viele Konventsmitglieder nachdrücklich Wert gelegt haben.

    Diese Charta begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Gemeinschaft und für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.

    Die fast schon panische Angst des Konvents, der EU ungewollt mehr Kompetenzen zu übertragen, schlägt sich auch nieder in einzelnen Artikeln, die trotz der Generalaussage des Artikels 51 eingeschränkt werden mit dem Verweis auf nationale Gesetze. So hat die Befürchtung, die EU-Behörden könnten auf die Idee kommen, von sich aus die Pressefreiheit in den Mitgliedsstaaten zu kontrollieren, dazu geführt, dass die Freiheit der Medien laut Charta nur mehr "geachtet", nicht aber mehr wie in einem Vorentwurf noch "gewährleistet" wird.

    Dennoch ist der Text der Charta immer noch verständlich, aussagestark und erfreulich knapp. Anfang Dezember soll die Grundrechte-Charta zunächst auf dem Gipfel in Nizza von den Staats- und Regierungschefs feierlich proklamiert werden. Das reiche ihm wie den meisten anderen Europaabgeordneten zwar nicht, sagt Peter Mombaur von der CDU. Aber:

    Peter Mombaur : Ich möchte darauf hinweisen, dass auch eine Proklamation bereits einen Rechtswert hat. Entgegen dem was vielfältig gesagt wird, wird das sicherlich ein wichtiges Indiz für die Gerichtshöfe, insbesondere für den Europ. Gerichtshof sein, bei der Interpretation vorhandenen Rechts auf das zurückzugreifen, was dieser Konvent zusammengesetzt aus drei viertel Parlamentariern und ein viertel Regierungsvertretern, formuliert hat.

    Um aber tatsächlich rechtlich verbindlich zu werden, müßte die Charta von jedem EU-Staat ratifiziert und damit ein Teil der europäischen Verträge werden. Dies ist das Ziel der Bundesregierung für die Zeit nach dem Gipfel von Nizza. Dann soll vielleicht wieder ein Konvent versuchen, einen Kompetenz- und Zuständigkeitskatalog der EU zu entwickeln und die Verträge insgesamt lesbarer zu machen. Damit habe man sogar so etwas wie eine Verfassungsdebatte. Eine europäische Verfassung mit der Grundrechte-Charta als Kern - die Vision des Bundesaußenministers, die bei Peter Mombaur aber nicht auf Begeisterung stößt:

    Peter Mombaur : Ich bedauere diese Diskussion über die Verfassung etwas, weil sie denen, die ohnehin dieser Charta als einem neuen supranationalen Text kritisch gegenüberstehen - angelsächsische Welt - die Akzeptanz erschweren, das ist kontraproduktiv diese Diskussion, die ist typisch deutsch... Ich bin mehr für eine pragmatische Methode Schritt für Schritt und historisch und sage: laß uns das erst mal proklamieren und laß es in die Verträge nehmen, denken wir mal an die Geschichte - das wächst sich als Nukleus einer eventuellen Verfassung von selbst aus.