Archiv


Die Gruppe 47 in Bildern und Texten

Wo offizielle Geburtstage gefeiert werden, da erscheinen nicht selten auch Bücher, so natürlich auch im 50. Gründungsjahr der "Gruppe 47". Die wissenschaftlichen Publikationen brauchen etwas länger und sind noch in Vorbereitung, darunter eine Auswahl der Korrespondenz des 1993 verstorbenen "Gruppen"-Oberhauptes Hans Wemer Richter. Sie wird in wenigen Wochen erscheinen. Vor uns aber liegt bereits, so könnte man sagen, die feierliche, Festschrift. Es ist der prächtige Band "Die Gruppe 47 in Bildem und Texten", herausgegeben von Toni Richter, der Ehefrau Hans Wemer Richters. Nein, äußerlich läßt dieses Buch nichts zu wünschen übrig. Wir sind gefesselt von der ästhetischen Qualität der Aufmachung, von dem hochwertigen Papier, von der Güte der Fotoreproduktionen, von einem informativen Anhang mit den wichtigsten Fakten, den als I-Tüpfelchen - und das ist ja nicht gerade der Regelfall - ein "bio-bibliographisches Personenregister" krönt. Da hat der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch weder Kosten noch Mühe gescheut. Im Gegenzug muß man dafür freilich bezahlen. 223 Seiten für 98, ab April kommenden Jahres für stolze 128 Mark. Indes werden demjenigen, der sich schon länger mit der Geschichte der "Gruppe" beschäftigt hat, nicht sehr viel neue Perspektiven eröffnet, schon gar keine besonders spektakulären. Das war auch nicht Absicht der Herausgeberin. In ihrem Vorwort betont sie, daß sie sich zumindest bei ihren "Zwischentexten" vorwiegend von "persönlichen Erinnerungen" habe leiten lassen. Den Leser und Betrachter das "besondere Fluidum" der einstigen Gruppentagungen "spüren" zu lassen, erschien ihr wichtiger als der "literaturhistorische Anspruch auf Allgemeingültigkeit" und "Vollständigkeit". Dieses Recht wollen wir ihr zugestehen.

Volker Kaukoreit |
    Und tatsächlich führt auch dieser subjektive Ansatz auf eine interessante Reise durch die zwanzigjährige Gruppengeschichte ab 1947. Die zumeist von Toni Richter geschossenen Fotos und jede Menge Texte halten lebendige Rückschau in chronologischer Folge.

    Dokumentiert ist jedes Treffen, von den ersten in Süddeutschland über internationale Stationen wie Italien, Schweden und USA bis hin zum großen Paukenschlag in der Fränkischen Schweiz, wo im Gasthof "Pulvermühle" die "Gruppe" 1967 bekanntlich auseinanderbrach. Politische Polarisierungskämpfe - "Grass oder die Gruppe" titelte damals der als "Linksaußen abgestempelte" Schriftsteller Erich Fried in der Studentenzeitschrift "konkret" - hatten ihr den Rest gegeben. Von ähnlichen Querelen und den teils giftigen Streitereien der Gruppenmitglieder untereinander sieht das Buch im Hauptteil eher ab; auch von den Attacken von außen, wie etwa denen von Robert Neumann, der in den sechziger Jahren gar von einer "Literaturmafia" sprach. Dagegen steht, wie gesagt, Toni Richters offenherzige Einleitung. Und auch daß ihr Mann, der mitunter besonders launisch und autokratisch sein konnte, gelegentlich etwas zu viel Heiligenschein ausstrahlt, ist eine verzeihliche Sache, gerade bei einer Jubiläumsschrift. Zudem sind Hans Wemer Richters Verdienste um die deutschsprachige Literatur nach 1945 im Großem wie im Kleinen unumstritten. Und keineswegs ist es so, daß die von der Herausgeberin ausgewählten Beiträge anderer Autoren, sich jeglicher kritischen Annäherung verschlössen.

    Insgesamt aber lasse man sich eher mit Sanftmut durch diese dichte Bild- und Textwelt der legendären Schriftstellervereinigung fahren. Man staune, wie ein junger Peter Handke aussah, und erfreue sich der Vielfalt der herangezogenen Wortbeiträge aus dem Gruppenkontext, seien es Gedichte, Auszüge aus szenischen Arbeiten oder Erinnerungsberichte und sonstige Stellungnahmen. Hier nur ein oder zwei konkrete Beispiele zu nennen, wäre ungerecht. Man mußte sie dann alle aussprechen, jene klangvollen Namen von Schriftstellern, Kritikern und Verlegern, denen wir bei Toni Ricliter wieederbegegnen, nicht ohne gelegentliche Rührung, nicht ohne sporadische Trauer darüber, daß diese ungemein fruchtbare Ära der deutschsprachigen Literatur heutzutage kaum mehr Vergleicbbares hat. Es seien allein jene hervorgehoben, die den Band mit Originalbeiträgen bereichert haben, die große österreichische Schriftstellerin Ilse Aichinger, Reinhard Baumgart, Hans Bender, Milo Dor, Peter Härtling, Günter Herburger, Silvia und Wolfgang Hildesheimer, Walter Jens, Joachim Kaiser, Barbara König, Gerhard Köpf, Günter Kunert, Siegfried Lenz, Hans Mayer, Horst Mönnich, Hermann Peter Piwitt und Roland H. Wiegenstein.

    Noch vor dem eigentlichen Anhang beleuchtet das Buch auch die insgesamt drei mehr oder weniger offiziellen Nachfolge-Meetings, 1972 in der ehemaligen Villa von S. Fischer in Berlin, fünf Jahre später im Hotel "Kleber-Post" in Saulgau und 1990 in einem Schloß bei Prag. Bei letzterem Treffen ergänzte die Runde von Alteingesessenen wie Jürgen Becker und Hubert Fichte zum Beispiel nun auch schon der Wiener Lyriker Robert Schindel, der sich kurze Zeit später durch den Roman >>Gebürtig << ebenfalls als Romancier einen Namen machte. Direkt in die Jetztzeit, ins Jahr 1997, reicht ein abschließendes Interview mit dem Berliner Schriftsteller F.C. Delius, der als junger Mann einer quasi neuen Generation in den sechziger Jahren zur "Gruppe 47" gestoßen war. Von ihm, dem linksengagierten Nonkonformisten, ist schließlich auch eine nachprüfende und übergreifend literatursoziologische Einschätzung zu erwarten. In der Tat enttäuscht Delius nicht. Aus der Retrospektive argumentiert er kritisch und fair.

    Damit ist der Rundgang beendet und wir stehen erneut vor dem eingangs erwähnten Anhang. Das auf den ersten Blick so verdienstvolle "bio-bibliographische Personenregister" erweist sich bei genauerem Hinsehen als unzureichend. Hier wären präzise Angaben, wann der einzelne Autor in den Bann der "Gruppe" geriet, hilfreich. Doch sie fehlen, Die bibliographischen Nachweise sind lückenhaft. Die Überprüfung im Einzelfall läßt fast so etwas wie bibliographische Willkür erkennen, konkret etwa das Werkverzeichnis von Erich Fried. Halten wir uns in der Conclusio dennoch an die gelungensten Teile des Bandes, an die Tatsache, wie angenehm er zu durchblättern und im Detail zu studieren ist bis hin zum Gespräch mit F.C. Delius. Dieses haben im übrigen Sabine Cofalla und Jürgen Schutte geführt. Erstere ist Herausgeberin des bereits angekündigten Briefbandes im Carl Hanser Verlag. An die Öffentlichkeit sollen 400 größtenteils unbekannte Korrespondenzstücke kommen, mit, wie der Verlag ankündigt, sorgfältigen Erläuterungen und einem ebenfalls kommentierten Namensregister. "Interessante HintergrundInforrnationen" sind versprochen, die Aufdeckung "zahlreich versteckter Hinweise". Gespannt darauf stöbern wir in der Zwischenzeit besänfigt und angeregt in Toni Richters Rückblick, nicht ohne expliziten Dank für deren Mühe und Leistung. "Ein fehlerfreies Werk" so hat Heinrich Heine gerne ein indisches Sprichwort zitiert, "liefert nur Gott". Leider ist selbst das zu bezweifeln.