Donnerstag, 25. April 2024

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Die guatemaltekische Rapperin Rebeca Lane
"Die pure Not hat uns zu Künstlern gemacht"

Rap ist für die Aktivistin Rebeca Lane die einzig mögliche Sprache, um sich in Guatemala Gehör zu verschaffen und für Gleichberechtigung und Aufklärung einzutreten. Ihre ebenso poetischen wie sozialkritischen Texte verbindet sie mit traditionellen Rhythmen wie Cumbia, Calypso und peruanischem Huayno.

Von Camilla Hildebrandt | 07.09.2018
    Die Musikerin Rebeca Lane im Profil
    "Frau zu sein ist in meiner Heimat eine Herausforderung“ - Rebeca Lane (Somos Orbital)
    Musik: "Obsidiana"
    "Obsidiana"
    Zu intensiv für einen einfachen Menschen
    Mit seiner organischen Materie und den Stürmen in der Seele
    Zu intensiv, um menschlich zu sein
    Aber zu banal, um eine Göttin zu sein
    Deshalb sage ich, was ich denke, auch wenn es mir unangenehm ist
    Sie bringen meine Leider nicht im Radio
    Ich werde mich nicht für sie erniedrigen
    Sie laden mich nicht zu ihren Partys oder Festivals ein
    Aber sie machen mich stark auf den Straßenmärschen
    In Guatemala ist die Frauenmordrate eine der höchsten weltweit. Rebeca Lane sagt: "Frau zu sein ist in meiner Heimat eine Herausforderung". Die Guatemaltekin ist mittlerweile eine der bekanntesten Rapperinnen Lateinamerikas.
    "Obsidiana"
    Ich bin ein Vulkan, eine Pantherin und ich habe ein ganzes Rudel an Hündinnen
    Ich singe nicht für irgendwen
    Ich singe für meine Wölfinnen und Kämpferinnen!
    Die heute 33-jährige hat als Kind das Ende des Bürgerkriegs miterlebt, der über 30 Jahre gedauert hatte. 1996 wurde er offiziell für beendet erklärt. Aber de facto sei der Krieg noch lange nicht vorbei, sagt die Rapperin. Ihre Musik ist ein Spiegel des Lebens im heutigen Guatemala und gleichzeitig ihr Weg, Kraft für den alltäglichen Überlebenskampf zu schöpfen.
    Rebeca Lane, blondgefärbte Locken, ca. 160 groß, betritt die Bühne in Berlin – während ihrer Tour mit dem aktuellen Album 2018 - in goldenen Paillettenshorts, schwarzem, bedruckten T-Shirt mit kurzen Ärmeln, die ihre Tätowierungen sichtbar machen. Das Publikum begrüßt sie frenetisch. Ihr Auftreten und ihre Art sind unmissverständlich: "Yo soy guerrera" - Ich bin eine Kämpferin, im positiven Sinne. "Sanar y luchar" - Heilen und Kämpfen ist ihr Thema.
    "Meine Musik ist meine Form der Verteidigung"
    "Da ich viel von der 'Guerrera', der Kämpferin, rede, werde ich oft gefragt, ob ich als Feministin für den Kampf bin. Als Feministin sage ich: 'Nein', aber ich bin auch keine Pazifistin. Denn ich lebe mitten in der Kampfzone und muss mich für etwas entscheiden. Ich musste auch lernen mich zu verteidigen. Meine Musik ist meine Form der Verteidigung und des Kampfes."
    Rebecas Kampf findet am mehreren Fronten statt. Die Gleichberechtigung von Frauen zu erreichen, in einem Land mit der höchsten Frauenmordrate weltweit, ist eine der Fronten. Unter dem Begriff Frauenmord, in Lateinamerika Feminicidio oder Femicidio genannt – versteht man Morde, die allein durch den Hass auf Frauen motiviert sind. In Lateinamerika manifestierte sich der Ausdruck besonders seit den brutalen Morden in der mexikanischen Stadt Ciudad Juárez in den 1990er Jahren. Die meisten Fälle wurden bislang nicht aufgeklärt. Nach wie vor gehen viele der Täter in ganz Lateinamerika straffrei aus.
    Musik: "Llora el cielo"
    "Llora el cielo"
    Eine weitere schlechte Nachricht in Guatemala City
    So viel Feuer, das so viele Flügel schmilzt
    56 Mädchen eingesperrt, damit sie zum Schweigen gebracht werden können
    Und die Wolken können nicht aufhören, sich an sie zu erinnern
    Ein neuer 8. März – Weltfrauentag -, für den gekämpft werden muss
    Da weiterhin Frauen ermordet werden
    Eine weitere offene Wunde in der Seele dieses Landes
    Ein weiteres Verbrechen in unserer Kriegsgeschichte
    "Die große Armut bei uns erzeugt Ignoranz, Wut, Schmerz, Hunger. Dazu kommt das historisch legitimierte Patriarchat: Der einzige Besitz des Mannes sind seine Frau und seine Kinder, die er beherrschen kann. Aber Gewalt gibt es in allen Klassen."
    Wenn man Rebeca Lane zuhört, wie sie über ihr Land berichtet, über die Frauen, die Gräueltaten während der Militärdiktatur, über ihre Arbeit mit indigenen Jugendlichen, die ihrer Herkunft beraubt wurden, da sie aus ihrer Region und ihrer Kultur herausgerissen wurden, dann fragt man sich, woher sie ihre Kraft nimmt. Rebeca lächelt.
    "Mit den Jahren wurde mir auch durch das Feedback der Leute klar, dass wir – nicht nur ich - Musik erschaffen, die in Verbindung steht mit dem Kampf und der Heilung. Meine Musik soll nicht zerstörerisch sein, sondern kraftvoll. Wenn man Wut in Kraft verwandelt, dann findet man Wissen. In den Konzerten ist das ganz offensichtlich, die Energie verändert sich. Die Frauen gehen euphorisch heraus."
    Rabeca Lane als Brustportrait in mittelamerikanische Vegetation
    "Die pure Not hat uns zu Künstlerin gemacht" - Feministin und Rapperin Rebeca Lane (Somos Orbital)
    Die musikalische Ausdrucksform für ihren Kampf kann nur der Rap sein, sagt Rebeca. Das sei die einzige Art, um sich Gehör zu verschaffen. Aber Rap in Verbindung mit indigenen Rhythmen, wie Cumbia, Calypso und peruanischem Huayno.
    "Meine Musik soll wie der Kontinent klingen, nicht wie die USA, wie so oft im Rap. Sie soll authentisch sein. Was wir in meinen Stücken hören ist z.B. auch die Marimba, der Soundtrack unseres Lebens. Außerdem spiele ich mit afrikanischen Rhythmen, mit chilenischen und argentinischen Sounds."
    Der Wahrheit Platz machen
    Ihr aktuelles Album hat sie "Obsidiana" genannt. Denn der Obsidian ist ein Stein der in der Maya-Kultur Kampf und Heilung bedeutet.
    "Die Mayas haben den Obsidian z.B. für Lanzenspitzen benutzt. Bei den Ritualen der Götteranbetung wurde er poliert und als Spiegel genutzt, um darin den Himmel zu sehen. Energetisch betrachtet geht es darum, die Wahrheit rauszufinden. Das Obsidian-Messer schneidet etwas heraus, um der Wahrheit Platz zu machen.
    Musik: "Zkat"
    "Zkat"
    Wir verteidigen das Leben, die Flüsse, die Seen
    Und so wie wir unser Land verteidigen, tun wir es auch für den weiblichen Körper
    Die Energie verwandelt den Hass in Freude
    Der Mut der kämpferischen Frauen
    Indem ich heile, gesundest Du
    "Tzk´at" stammt aus der Maya-Sprache Quiché und bedeutet so viel wie: "Du bist ich, ich bin Du". Und "Tzk´at es" ist ein Frauennetzwerk, das sich zur Wiederherstellung einer gesunden, sozialen Gemeinschaft auf das Wissen der indigenen Vorfahren beruft. Ihr Kampf habe eine konstruktive Botschaft, sagt Rebeca. Trotzdem wird ihr nachgesagt, sehr aggressiv zu sein.
    "In einem meiner Lieder heißt es nicht umsonst: "No elegí la guerra, pero nací en una guerra - ich habe mir den Krieg nicht ausgesucht, aber ich wurde in einen hineingeboren."
    Musik als sicherer Ort im alltäglichen Kampf
    Der Bürgerkrieg wurde in Guatemala 1996 offiziell beendet. In den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und linken Guerillaorganisationen starben mehr als 250.000 Menschen. Die Mehrheit stammte aus der Maya-Bevölkerung. Heute spricht man von Genozid. Und der Krieg, erklärt Rebeca, sei noch lange nicht zu Ende.
    "In den letzten Jahren sind mehr junge Leute ums Leben gekommen als in den schlimmsten Zeiten des Bürgerkriegs. Es geht um Banden, Drogen, Menschenhandel und es geht um Land - um wirtschaftliche Interessen. Ein neoliberaler Krieg. Jetzt ist es nicht mehr nur die Guerilla, die sich mit der Regierung anlegt, jetzt sind es multiple Gruppen und Gruppierungen. In diesen Konfliktzonen müssen wir überleben lernen. Und die Musik ist ein sicherer Ort. Er erlaubt uns, uns auszudrücken, uns zu organisieren. Es ist ein kleiner Ort der Freiheit und Freude in dem alltäglichen Kampf."
    Die Musikerin Rebeca Lane im amerikanischen Bildausschnitt
    "Mein Kampf hat eine konstruktive Botschaft" - Die Feministin und Musikerin Rebeca Lane (Somos Orbital)
    Musik: "Desaparecidos"
    Die guatemaltekische Rapperin Rebeca Lane besingt all das, was sie erlebt hat, was sie beschäftigt und für was sie kämpft, frei heraus. Meistens im Sprechgesang, aber auch mit poetischen Texten, mit psychedelischen Anleihen oder elektronischen Einflüssen.
    "Guatemala wurde auf Rassismus gegründet"
    "Der Staat Guatemalas wurde auf Rassismus gegründet, und das hat nicht alleine mit der Kolonialisierung seit 1492 zu tun. Um 1800 kam eine Welle an deutschen Kolonialherren hierher. Ihnen wurden ganze Landteile vermacht und die Völker, die dort lebten, gleich mit, um ihnen zu dienen. Also die Macht hatten die Weißen. Es gibt dazu einen Dokumentarfilm von Uli Stelzner: 'The Civilizers - germans in Guatemala' von 1997. Das Motto im 19 Jahrhundert hieß: Lasst uns Weiße dort hinbringen, um die Rasse zu verbessern."
    Während der Regierungszeit von Diktator Efraín Ríos Montt – in den 1980ern -, wurden systematisch ganze Dörfer und Felder der indigenen Bevölkerung besonders im Ixil-Gebiet abgebrannt. Man spricht heute von der gewaltsamsten Periode des gualtemaltekischen Bürgerkrieges.
    2013 wurde Montt wegen Verbrechen gegen die Menschheit zu 80 Jahren Gefängnis verurteilt. Abgesessen hat er die Strafe aber nie. Er starb im April 2018. Heute, sagt Rebeca, weiß man, dass es damals bereits Pläne zur wirtschaftlichen Nutzung der Ixil-Region gab.
    Musik: "A veces"
    "A veces"
    Ich habe meine Flügel ausgebreitet, um frei von meinem Kokon zu sein und wurde ein Schmetterling
    Ich teilte alles, was ich schrieb, und verwandelte es in einen Song oder Prosa
    Ich bat das Meer, meine Wunden zu heilen, um jeden Tag wie den Ersten zu leben
    Ich bat die Seele, nach ihren Wurzeln zu suchen, damit ich meine Flugangst verliere
    Und heute bin ich hier und habe so viel aus unserer Geschichte zu erzählen
    Manchmal brauche ich etwas Ruhe
    Manchmal brauche ich etwas Einsamkeit.
    Rebeca sieht sich selbst als Aktivistin, die unter anderem mit den Mitteln der Musik arbeitet. Die ganze Familie besteht aus Aktivisten. Mutter, Vater, Tanten und Onkel setzten sich für den Frieden, für Gleichberechtigung und Aufklärung ein und waren unter anderem Teil der Guerilla-Bewegung.
    "1981 verschwand meine Tante spurlos. Das hat uns sehr geprägt. Als Kinder haben wir natürlich noch nichts kapiert. Aber als 12-jährige sah ich 1996 die Friedens-Verhandlungen und begann nach und nach zu verstehen. Und mir wurde klar, dass meine Kindheit trotz des Verlustes meiner Tante, sehr privilegiert war. Wir wurden weder vertrieben, noch erlebten wir die Kämpfe hautnah. Wir haben quasi wie in einer Blase gelebt."
    "Es herrscht Zensur"
    Rebeca ging als junge Frau schließlich selbst auf die Straße, demonstrierte gegen den Landraub durch die großen Firmengruppen, setzte sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung ein. Ob sie damals bedroht wurde? 'Ja', sagt die Guatemaltekin.
    "In der Kunst, in der Musik ist das anders. Da gibt es keine direkte Bedrohung, aber es herrscht Zensur. Und die geht so: Ich spiele deine Musik nicht im Radio! Die großen Zeitungen machen auch kein Interview mit mir. Sprich: Man gibt mir keine Stimme. Deswegen ich bin fast bekannter im Ausland, als in Guatemala selbst."
    Musik: "Crece el río"
    Musik: "Isla de atomas"
    "Isla de atomas"
    Atmen und das Herz wachsen lassen
    Wir sind eine Insel der Atome
    Wir sind ein expandierendes Universum
    Heute bin ich dankbar für all das, für was ich nicht dankbar war
    Ich fühle mich lebendig, ich kann fließen.

    Auf ihrem Berliner Konzert haben viele der Zuhörer ihre Lieder so gut wie auswendig mitgesungen. Vor allem Lateinamerikaner, aber auch Deutsche. Es herrschte Partystimmung. "Ich bin Karibik, ich bin Mittelamerika, mit ein wenig Honig, ein wenig Salz, ein bisschen Sand und Kalk", singt sie in dem Lied "Soy Centroamérica" – Ich bin Mittelamerika.
    "Gesund werden ist etwas Politisches"
    "Wir sind Männer und Frauen aus Mais. Verschiedene Pflanzen, aber nur eine Wurzel. Ein Land, das sie geschafft haben zu teilen, aber sie haben uns nicht das Recht genommen, glücklich zu sein." Rebeca singt ihre Wut, ihre Lebensfreude und ihre Ansage zum Kampf heraus. "Sanar y Luchar" – "Heilen und Kämpfen", ihre Botschaft kommt an.
    Musik:"Soy Centroamérica"
    "Gesund werden, das ist etwas Politisches, das betrifft nicht nur den Einzelnen. Ich gehe zum Psychologen und heile meine Seele, sondern: wie erschaffe ich ein Netzwerk, eine Gemeinde, wie heile ich die Körper der malträtierten Frauen, wie verteidige ich unsere Flüsse, Wälder, unser Land? Die Kraft nehmen die indigenas, an denen ich mich orientiere, aus der Natur. Davon spricht meine aktuelle CD."
    Musik: "Siempre viva"