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Die Hand am Tafelsilber

Der Porscheplatz im Stadtzentrum von Essen. Wer hier aus der U-Bahn steigt, der absolviert auf den Rolltreppen eine Zeitreise. Der U-Bahnhof ist noch geprägt von einem leicht angegrauten Weiß und Orange - von den Farben der siebziger Jahre. Aus einer Zeit, in der sich Essen tatsächlich den Luxus einer eigenen U-Bahn leisten konnte. Am oberen Ende der Treppe dann wartet das 21. Jahrhundert - in Gestalt eines nagelneuen, großzügigen Einkaufszentrums. Die Ladenpassagen sind an diesem Mittag gut frequentiert - Geld scheint es in Essen also auf den ersten Blick immer noch reichlich zu geben.

Von Michael Kuhlmann | 17.09.2004
    Doch Magnus Nieland, der Stadtkämmerer, winkt ab. Nieland residiert 16 Stockwerke über dem Porscheplatz, im höchsten Rathausgebäude Deutschlands. Auch das stammt noch aus den besseren Zeiten - Mitte der siebziger Jahre.

    Die Essener Finanzsituation sieht so aus, dass wir jeden Tag etwa eine Million Euro mehr ausgeben, als wir einnehmen. Die Stadt Essen hat im Jahr 2000 geplant, im Jahr 2004 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Stattdessen haben wir eine strukturelle Schieflage von rund 340 Mio. Euro pro Jahr.

    Legt man die Schulden auf die Einwohner um, dann trägt jeder Essener ein Schuldensäckel von 1.700 Euro - schon zu Anfang 2003. Und Essen bewegte sich damit gerade mal knapp über dem Durchschnitt deutscher Großstädte. Die Pro-Kopf-Verschuldung lag etwa in Duisburg bei 2.400, in Köln über 2.500, in Frankfurt am Main sogar jenseits von 2.700 Euro. Der Trend hat sich aufs ganze gesehen bis heute noch verschärft: Immer mehr deutschen Kommunen steht das Wasser bis zum Hals.

    Viele müssen heute schon ihre Angestellten auf Pump bezahlen. Nicht selten über sogenannte Kassenkredite; die sind eigentlich nur als kurzfristige Überbrückungshilfe für echte Haushaltsnotlagen gedacht. Im vergangenen Jahr aber schwoll dieser Berg schon auf 15 Milliarden Euro an - elfmal soviel wie zu Beginn der neunziger Jahre. Damals konnten die Gemeinden noch gegensteuern - indem sie Investitionen kürzten oder auch schlicht ihr Tafelsilber verkauften. Diese Reserven sind heute aber so gut wie aufgebraucht.

    Die kommunalen Spitzenverbände klagen denn auch über immer größere Haushaltslöcher. Die deutschen Städte und Gemeinden bekämen immer weniger Steuern – gleichzeitig müßten sie mehr und mehr Aufgaben übernehmen.

    Nach zähem Hin- und Her greift jetzt Belrin den Kommunen unter die Arme. Barbara Hendricks, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium.

    Zu Beginn dieses Jahres 2004 sind die Kommunen in einer Größenordnung von 2,5 Mrd. Euro entlastet worden, dies wird sich ab dem nächsten Jahr auf rund 3 Mrd. jährlich belaufen, d.h. also, ab dem nächsten Jahr 5 1/2 Mrd. Euro Entlastung, und damit kann man nicht sagen, eine Gemeindefinanzreform stünde noch aus!

    Hier allerdings beginnt schon der Streit: fünfeinhalb Milliarden stopfen das Loch nur zur Hälfte. Der Ruf nach der "Gemeindefinanzreform" steht nach wie vor im Raum.

    Die letzte Weichenstellung dieser Art gab es vor 35 Jahren. Die Städte und Gemeinden kassieren heute zum einen Gebühren, zum Beispiel für Müllabfuhr, Stadtbibliotheken oder für den Eintritt ins Freibad. Gut ein Zehntel ihres Gesamthaushalts kommt so zusammen. Außerdem erhalten sie Zuschüsse von Bund und Ländern - das macht ein knappes Drittel des Haushalts aus. Der Löwenanteil aber fließt über Steuern in die Kassen. Zum Beispiel erhalten die Kommunen einen Teil der Lohn- und Einkommensteuer. Darauf stützen sich besonders die kleineren Städte.

    Denn denen fehlen in der Regel die größeren Unternehmen. Deren Besteuerung spült besonders den großen Städten Geld in die Kassen: die Gewerbesteuer. Eine wichtige, aber auch eine heiß umstrittene Finanzquelle - und das nicht erst seit heute. Denn die Steuer hat ihre notorischen Haken. Peter Götz, Bundesvorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung in der CDU.

    Nun, ich glaube, die Diskussion über die Gewerbesteuer ist so alt wie die Gewerbesteuer selbst, ich erinnere mich noch an mein Studium - und das liegt nun auch 25 oder fast 30 Jahre zurück -, damals war die Aussage des Professors: Gewerbesteuer können wir nur streifen, die wird demnächst abgeschafft! Daraus mag man ermessen, wie alt die Diskussion ist.

    Problem Nummer eins: die Gewerbesteuer hängt an den Unternehmensgewinnen und damit an der Wirtschaftslage. Da genügt schon eine vorübergehende Flaute, und das Finanzkonzept mancher Kommune ist nur noch Makulatur. Und wenn das Geld nach einem Aufschwung wieder zu fließen beginnt, die Gemeinden also endlich investieren können, dann überhitzen sie damit zwangsläufig die Konjunktur. Weg mit der Gewerbesteuer - fordern deshalb viele Wirtschaftsverbände und auch die FDP. Nicht zuletzt, um die Unternehmen zu entlasten.

    Für die Kommunen ist die Gewerbesteuer jedoch ihre wichtigste eigene Einnahmequelle - und solange dafür kein Ersatz in Sicht ist, verteidigen sie sie, quer über alle Parteigrenzen hinweg. Stadtkämmerer Nieland aus dem christlich-liberal regierten Essen etwa hält die Abgabe für unverzichtbar.

    Absolut; die Gewerbesteuer - so spricht der Ökonom - ist eine ökonomisch sinnvolle Steuer, weil: sie ist eine Wettbewerbssteuer, und insofern spricht für die Gewerbesteuer, dass jede Kommune sich bemüht, möglichst gut im Bereich der Wirtschaftsförderung tätig zu sein, für die Betriebe eine gute Infrastruktur zu schaffen.

    Was deren Kosten wiederum senken kann. Bleiben allerdings zwei weitere Probleme der Gewerbesteuer: Ihr Aufkommen stieg zwar im ersten Halbjahr 2004 um satte 12,8 Prozent. Gegenüber dem Stand von 2000 aber hinken die Einnahm en immer noch hinterher. Und: Nur jedes zehnte Unternehmen zahlt die Steuer überhaupt - dank etlicher Ausnahmeregeln. Von Steuergerechtigkeit also keine Rede.

    Ein Problem, das die Bundesregierung voriges Jahr ansatzweise in den Griff bekommen wollte: Auch Selbständige und Freiberufler sollten demnach Gewerbesteuer zahlen. 2,5 Milliarden Euro mehr hätte das in die Kassen gespült. Die Initiative scheiterte allerdings im Bundesrat. Nun ist die Opposition wieder am Zuge. Für die FDP hat Prof. Andreas Pinkwart, der liberale Obmann im Bundestags-Finanzausschuß, gerade den Gesetzentwurf zu einer Gemeindefinanzreform entwickelt. Pinkwart stellt sich ein vereinfachtes System vor - ohne Gewerbesteuer.

    Unser Vorschlag ruht ja auf zwei Säulen, nämlich eines deutlich erhöhten Anteils der Kommunen an der Umsatzsteuer und zum zweiten einem Zuschlagsrecht auf die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer, und dieser Zuschlag kann von den Gemeinden selbst festgelegt werden.

    Darum geht es der FDP vor allem: um mehr finanzielle Freiheit für die Kommunen. Denn von der Gewerbesteuer abgesehen, können die Kommunen keine nennenswerte Steuer selbst bestimmen. Ein strukturelles Problem des deutschen Steuersystems: Bund und Länder verteilen einen großen Kuchen, von dem die Städte und Gemeinden ihre Stücke abbekommen. Auch CDU-Kommunalexperte Peter Götz würde hier den Hebel ansetzen - die Gewerbesteuer hält er nicht für das Hauptproblem. Sondern:

    Ich glaube, das ist eigentlich der springende Punkt, dass kommunale Selbstverwaltung wieder stärker in den Focus rückt, das heißt auch Eigengestaltung der Steuerkraft, in den Focus rückt, so dass wir dann auch die Möglichkeit haben, den Gemeinden ihre Aufgaben eigenverantwortlich zu übertragen, und sie können dann auch so die Prioritäten setzen, wie sie's aus ihrer Sicht kommunalpolitisch für richtig erachten.

    Über Details hat sich unterdessen die Bertelsmann-Stiftung Gedanken gemacht. Deren Vorstandsmitglied Prof. Marga Pröhl plädiert für ein neues, dreiteiliges Steuersystem.

    Wir stellen uns vor, dass neben einer Bürgersteuer, die eine Kommune erheben kann auf das Einkommen jedes einzelnen Bürgers, daneben gestellt wird eine Wirtschaftssteuer, das ist eine umgestaltete Gewerbesteuer, und natürlich auch ein reformierte Grundsteuer.

    An den Einzelpunkten allerdings scheiden sich schon die Geister. Andreas Pinkwart von der FDP zum Beispiel hält wenig davon, Bürger und Wirtschaft unterschiedlich zu besteuern. [Ihm ist der Bertelsmann-Vorschlag im ganzen zu kompliziert.]

    Wir schlagen einen einheitlichen Zuschlagsatz vor; das birgt den Vorteil zum einen, dass wir Rechtsformneutralität haben, und zum zweiten haben wir hier einen Anreiz, dass die Steuersätze insgesamt niedrig bleiben. Denn sonst ist allzuleicht die Gefahr gegeben, dass der Gemeinde- und Stadtrat die Zuschläge für die Wirtschaft und damit die Steuern auf Arbeitsplätze deutlicher erhöht als die Steuern für die anderen Bewohner.

    Noch verzwickter wird es auf der Ausgabenseite. Die größten Posten sind die Personalkosten und die Sozialtransfers - fast jeder zweite Euro, den die Gemeinden heute ausgeben, fließt in die Sozialhilfe oder in die Besoldung der Beamten und Angestellten. Dazu kommt: Städte und Gemeinden können in neun von zehn Fällen gar nicht mehr selbst bestimmen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Grund sind die sogenannten Pflichtaufgaben. Das sind Leistungen, die die Kommunen erbringen müssen, weil Bund und Länder und auch Europa das so anordnen. Auf dem Schreibtisch von Magnus Nieland in Essen liegt zum Beispiel gerade wieder eine druckfrische Regelung, die auf einer EU-Richtlinie fußt.

    Das ist nämlich der neueste Gedanke, ein so genanntes Lärmkataster einzuführen, das heißt, wir als Stadt sollen ein Lärmkataster machen und sagen, wie viel Lärm an welcher Stelle in unserer Stadt ist. Da muss ich Sie ganz ehrlich fragen: Was soll das?

    Der Umfang der Pflichtaufgaben hat über die Jahre rasant zugenommen. So sehr, dass die Kommunen heute gerade noch über zehn Prozent ihres Geldes frei verfügen können. Monika Kuban, die Finanzreferentin des Deutschen Städtetages, war bis vor wenigen Jahren selbst Kämmerin.

    Bei den Städten, wo es besonders schlecht aussieht, ist es tatsächlich so, ich weiß das aus eigener Erfahrung, weil wir in der Stadt, wo ich das mal gemacht habe, in Duisburg, 1997 mal untersucht haben: wenn wir alle freiwilligen Aufgaben streichen, das heißt: alle Kultureinrichtungen zu, alle Sport- und Freizeiteinrichtungen zu, haben wir dann einen ausgeglichenen Haushalt? Und die Stadt hätte auch dann noch keinen ausgeglichenen Haushalt gehabt.

    Gerade aus Brüssel und auch aus Berlin sind die Kommunen mit Pflichtaufgaben immer wieder üppig bedacht worden. Der CDU-Kommunalexperte Peter Götz verweist etwa auf das Kindergeld: Jede Erhöhung müssen die Gemeinden zu einem Viertel mitbezahlen - ohne, dass sie sich dagegen wehren können. Und das ist nur ein Beispiel.

    Wir haben jetzt gerade in diesen Monaten die Diskussion über Ganztagsschule. Der Bund überträgt die Aufgabe auf die Gemeinden, vier Milliarden Größenordnung gibt er als so genanntes Geschenk dazu für vier Jahre. Aber was ist nach diesen vier Jahren? Die Aufgabe bleibt, die Kommunen haben es zu finanzieren. Nichts gegen Ganztagsschulen! Nur: wenn eine solche Aufgabe kommt, muss das Geld mitkommen.

    Das allerdings geschah in der Vergangenheit nicht immer. So sah sich Essen 2003 durch eine EU-Richtlinie verpflichtet, sein Trinkwasser schärfer zu kontrollieren. Man brauchte mehr Untersuchungslabors und mehr Personal. Bezahlen mußte es die Stadt selbst. Urplötzlich mußten Kommunen Kindergartenplätze schaffen oder neue Statistiken für Wohnungsmieten aufstellen - auf den Kosten aber blieben sie vielfach sitzen.

    Immerhin scheinen nun auch die Länder dieses Problem endlich wahrzunehmen. Gegen die klammheimliche Kostenverschiebung haben die meisten Landesverfassungen eine Barriere aufgerichtet: das "Konnexitätsprinzip". Wenn das Land also seinen Kommunen Aufgaben überträgt, dann muss es dazu auch das Geld bereitstellen. Der Bund allerdings glänzt hier durch Untätigkeit, wie Christdemokrat Peter Götz bemängelt; und selbst wenn er den Kommunen entgegenkäme - die schon bestehenden Pflichtaufgaben sprengen längst jeden Rahmen.

    Welche Aufgaben müssen die Kommunen überhaupt noch wahrnehmen, auf welche können sie verzichten, und welche Aufgaben können Sie an Dritte übertragen? Also auch verstärkter Einsatz von Privaten für bisher öffentliche Aufgaben.

    Ansätze dazu gibt es schon lange. Wenn etwa ein Neubaugebiet von einer privaten Firma mit Strom- und Wasserleitungen erschlossen wird. Oder wenn ein privater Betreiber ein Hallenbad übernimmt. Prof. Rüdiger Robert lehrt Politikwissenschaft an der Universität Münster. Nebenberuflich betreibt der Sozialdemokrat Robert praktische Kommunalpolitik - in der westfälischen Kleinstadt Telgte [Aussprache: Telchte]. Auch dort sind Privatisierungen ein Thema.

    Das ist allerdings kein Allheilmittel - aber: es gibt Bereiche, die man selbstverständlich privatwirtschaftlich führen kann. Man kann sich überlegen, und viele Gemeinden haben das getan, ob es denn eigentlich richtig ist, dass man so etwas wie einen Bauhof als Kommunaleinrichtung unterhält. Ist es nicht günstiger, die Dienstleistungen, die dort erbracht werden müssen, mit einem Privatunternehmen abzuwickeln? Ich sage mal, Laubfegen fällt im Sommer nicht so an wie im Herbst.

    Noch in anderer Hinsicht ließen sich alte Zöpfe abschneiden. Bei der Frage nämlich, mit welchem Aufwand die Kommunen ihre Pflicht erfüllen müssen: ob es also in einer Tempo-30-Zone nicht auch die preiswertere Aufpflasterung tut - oder ob denn die Fenster einer Schule unbedingt mit dem teuersten Sonnenschutz versehen werden müssen. Dabei allerdings ergeben sich überraschende Schwierigkeiten. Michael Reidenbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin.

    Wir haben das vor einigen Jahren mal für den Bereich der Kindergärten untersucht, und da läßt sich deutlich zeigen, dass es eben nicht nur die Auflagen des Bundes sind, sondern dass es auch die Versicherungsträger sind, die bestimmte Dinge verlangen, wie die Schaukeln zu konstruieren sind und ähnliches.

    Preiswertere Turngeräte anzuschaffen oder an den Duschräumen zu sparen - damit kann ein städtischer Kindergarten also schnell scheitern - an einem Rattenschwanz von Auflagen. Doch einige Kommunen suchen sich Nischen, in denen sie selbst immerhin noch ein bisschen schalten und walten können. [Besonders in den Neuen Bundesländern. Dieter Funke ist Stadtkämmerer in Halle an der Saale.

    Es gibt z.B. im Personalbereich die Möglichkeit, Sozialtarifverträge abzuschließen, wir haben in Halle die wöchentliche Stundenzahl über einen Tarifvertrag gesenkt von 40 auf 36 Stunden ohne Lohnausgleich. Das wäre nach dem Bundesangestelltentarif West, sag ich mal, gar nicht möglich, so dass denen die Hände gebunden sind und wir natürlich gerade in diesem Bereich die Möglichkeit haben, zu Einsparungen zu kommen - um da auch nur eine Zahl zu nennen, das macht für uns ein Einsparpotential in 2004 aus von acht Millionen.

    Ein Punkt also, in dem die Alten Länder von den Neuen lernen könnten. Freilich: der zweitgrößte Ausgabenbatzen steht auch dann noch unverrückbar im Raume - die Sozialtransfers. 2003 wandten die deutschen Kommunen hierfür über 30 Milliarden Euro auf - fast ein Viertel ihrer Gesamtausgaben.

    Was landläufig als Sozialhilfe bezeichnet wird - die sogenannte "Hilfe zum Lebensunterhalt" -, wiegt dabei nicht einmal am schwersten. Wesentlich mehr Geld kostet die sogenannte Eingliederungshilfe - die Unterstützung von Menschen, die wegen einer Behinderung keinem Erwerb nachgehen können. Hier haben Bund und Länder die Kommunen bislang weitgehend alleingelassen. 2005 allerdings könnten diese Belastungen auf 13,5 Milliarden steigen – das wären 50 Prozent mehr als noch vor vier Jahren. Eine Lösung für dieses Problem ist weit und breit nicht in Sicht. [Auch Länder und Bund haben schließlich kein Geld übrig.]

    Bei allem weisen die westdeutschen Bilanzen auf der Soll-Seite noch einen besonderen Posten auf: nämlich die Solidarbeiträge zum Aufbau Ost. Viele Westkommunen müssen dafür ihrerseits hohe Kredite aufnehmen - Essen zum Beispiel hat allein daraus Schulden von über 200 Millionen Euro. Kämmerer Magnus Nieland.

    Also, es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob es sinnvoll ist, dass die Ruhrgebietskommunen die Beteiligung an den Kosten der deutschen Einheit praktisch nur durch eine Erhöhung der Verschuldung finanzieren können. Verschulden können sich die Neuen Bundesländer auch selbst.

    Fürs erste freilich werden Nieland und seine Kollegen im Westen wohl weiter damit leben müssen. Der Weg aus der Schuldenfalle muß woanders gesucht werden.

    Manche Städte werfen sich in US-amerikanische Arme. Sie verkaufen ihre Verkehrs- oder Energienetze teilweise nach Übersee und leasen sie dann zurück. Ein zweifelhaftes Verfahren – mit der vielbeschworenen kommunalen Autonomie jedenfalls hat es wenig zu tun.

    Denn sparen kann man auch anders. Und ein Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen hat unlängst gezeigt, dass man dazu sogar die Bevölkerung mit ins Boot holen kann: der sogenannte "Kommunale Bürgerhaushalt". Dahinter verbirgt sich die Idee, die Bevölkerung einer Gemeinde zu beteiligen, wenn ein Haushalt aufgestellt wird. Sechs Städte haben das Programm einige Jahre lang getestet, und das mit Erfolg: ob das rheinische Hilden seine Bürger mit dem Brettspiel Hildopoly über die Tücken der Haushaltsplanung informierte – ob das westfälische Emsdetten seine Bürger befragte, wie man denn Finanzlöcher stopfen solle – oder ob eine Gymnasialklasse in Vlotho ein effizienteres Schulbus-System entwickelte. Stefan Mnich vom Düsseldorfer Innenministerium will diesen Ansatz allerdings nicht nur als stupides Sparinstrument verstanden wissen.

    In erster Linie dient der Kommunale Bürgerhaushalt dazu, verständlich zu machen, wofür gibt eine Kommune Geld aus, und das hilft dann allerdings tatsächlich in der Situation, dass eine Kommune in finanziellen Schwierigkeiten ist, sich gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern zu überlegen: Was können wir denn noch tun, bzw. was wollen wir zuerst tun? Ist es wichtiger, eine Schule zu bauen oder auszustatten, oder ein Museum, oder eine Sportanlage?

    So recht schalten und walten könnte die Bevölkerung allerdings bisher nur über zehn Prozent der Ausgaben – die nämlich nicht von vornherein an die Pflichtaufgaben gebunden sind. Doch sobald Bürger und Kommune an einem Strang ziehen, läßt sich auch leichter der Rotstift ansetzen. Freilich - auch ohne solche Weichenstellungen können die Gemeinden bereits sparen. Einmal mehr heißt die Devise: Kleinarbeit. Rüdiger Robert.

    Was kann man machen? Man kann beispielsweise kooperieren als Kommunen. Das tun die auch. Also, so 'ne Kleinstadt wie Telgte, wir bilden Einkaufsgemeinschaften und schreiben gemeinschaftlich aus. Sagen wir mal, wir müßten Schulbücher anschaffen. Dann kann man sich überlegen, ob man das gemeinschaftlich ausschreibt und dadurch einen größeren Rabatt erzielt.

    Bei der Abwasserbeseitigung hat sich Telgte mit den benachbarten Kreisen Ostbevern und Everswinkel zusammengetan – 120.000 Euro soll das pro Jahr sparen. Anderenorts nutzt man die Idee bei der Abfuhr von Altpapier. Und auch wenn es ab 2005 darum geht, die Langzeitarbeitslosen effektiv zu betreuen, werden sich viele Kommunen verbünden - sie wollen dann auch gemeinsam mit den Arbeitsagenturen an einem Strang ziehen. Ob das Hartz-IV-Gesetz allerdings tatsächlich die Stadtkassen entlasten kann, das steht noch in den Sternen. Hans Eichels Staatssekretärin Barbara Hendricks immerhin vertraut auf eine eingebaute Sicherung.

    Man darf nicht vergessen, es gibt eine Revisionsklausel in diesem Gesetz, sogar mehrere Revisionsklauseln, also schon im März des nächsten Jahres wird zum ersten Mal überprüft werden, wie die Daten denn nun wirklich sind, und der Bund hat garantiert, es bleibt bei einer Nettoentlastung von zweieinhalb Mrd. pro Jahr - so dass jetzt natürlich alle Seiten von Schätzungen ausgehen, und das wird an den Ist-Zahlen dann überprüft werden.

    Was den deutschen Kommunen dann tatsächlich ein wenig mehr Luft verschaffen könnte. Aufs Ganze gesehen freilich sind die 2,5 Milliarden Euro Entlastung nicht viel mehr als ein Kurieren an Symptomen. Ähnlich wie der CDU-Experte für Kommmunalpolitik Götz oder der FDP-Finanzobmann Pinkwart plädiert deshalb auch Rüdiger Robert für eine grundsätzliche Reform: mehr Entscheidungsfreiheit für die Kommunen - vor allem: mehr maßgeschneiderte Steuern, die die Kommunen selbst erheben können. Für einen neuen, maßvollen Wettbewerb der Städte und Gemeinden.

    Man könnte fast sagen: Ich muss das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft auf einem insgesamt geänderten Niveau, bei insgesamt geänderten Rahmenbedingungen neu schmieden. Diese Neujustierung von Wettbewerb und Solidarität unter veränderten Rahmenbedindungen, die stimmt in der Bundesrepublik nicht, man hat sie noch nicht mal theoretisch richtig bearbeitet. Ich hab auch keine Patentantwort darauf, aber das ist dringend erforderlich.

    Aber auch politisch ist eine Reform der Gemeindefinanzen vorerst nicht in Sicht. SPD und Grüne jedenfalls planen ob ihrer Minderheit im Bundesrat vor 2006 keine neuen Vorstöße mehr. Bis auf weiteres trägt also nur das Prinzip Hoffnung - Hoffnung auf ein Wiederanspringen der Konjunktur. Dabei hält der FDP-Politiker Andreas Pinkwart an sich mehr für möglich als nur die schwarze Null in den kommunalen Bilanzen - sogar Schuldenabbau wäre denkbar. Vorausgesetzt, man stellt einige Weichen neu.

    Wenn wir das alles mal nutzen, diese Rationalisierungsreserven, die wir haben, ist mir gar nicht bange, dass wir auch dieses Verschuldungsproblem wieder in den Griff bekommen könnten - wenn auf der andere Seite die Einnahmen des Staates wieder steigen aufgrund besserer wirtschaftlicher Aktivität und die Ausgaben aufgrund rückläufiger Sozialtransfers zurückgehen, dann schließt sich die Schere, die gegenwärtig so weit geöffnet ist.

    Vor der nächsten Bundestagswahl freilich rechnet niemand mehr mit wesentlichen Fortschritten. Bis dahin allerdings wird der Problemdruck noch wachsen. Und nach 2006 dürften eine verantwortungsbewußte Bundesregierung - und eine ebensolche Opposition - an einer neuen Gemeindefinanzreform nicht mehr lange vorbeikommen.