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Die Haut und die Maske

"Dieses Jahrhundertende scheint mir voller Verzweiflung und bar jeder Hoffnung.Die große Utopie der Linken ist gescheitert. Die russische Revolution war zweifellos eine Totgeburt und die Hoffnung auf eine wirkliche Befreiungsbewegung in Lateinamerika endete in der makaberen Burleske der Castro-Diktatur. Nach dem Fall der Berliner Mauer hat sich der Kapitalismus weltweit als einzige Gesellschaftsform etabliert, obwohl es auf der Hand liegt, daß er unfähig ist die wirklich großen Probleme der Menschheit zu lösen. Leider ist genauso sicher, daß auch der Sozialismus, so wie wir ihn kennen, versagt hat. Wir erleben also ein schreckliches Jahrhundertende, blutig und ohne Utopien, ein Jahrhundertende ohne Utopien."

Stefan Fuchs |
    Verzweiflung und Verstrickung in Schuld prägen das Lebensgefühl des kubanischen Schriftstellers Jesús Díaz, der jetzt seit sechs Jahren im Exil in Berlin und Madrid lebt. Díaz fühlt sich schuldig, weil er als "revolutionärer" Intellektueller und Künstler wie viele Kubaner dem Regime des Fidel Castro, trotz drängender Zweifel so lange einen Blanko-Scheck des Vertrauens ausstellte, bis sich Kuba in der gegenwärtigen Katastrophe wiederfand. Verzweiflung, weil durch die Inkompetenz und den Starrsinn des "Máximo Líder" der Traum von nationaler Unabhängigkeit und von einer Alternative zum US-Kapitalismus nicht nur für Kuba sondern für ganz Lateinamerika ausgeträumt ist. Verzweiflung auch, weil die Rachegelüste der einflußreichen kubanischen Exilgemeinde in Miami und die sich verhärtende Embargo-Politik der USA dem graubärtigen Diktator in Havanna in die Hände spielen, weil ein blutiger Showdown, ein Bürgerkrieg als letzter Akt des kubanischen Dramas immer wahrscheinlicher wird.

    "sagen wir, daß ich der bin, der sein Grauen/ in zwei Spiegelnbetrachtet,/ und zugleich der, der betrachtet,/ und das unendliche Entsetzen der Bilder,/ sagen wir, daß ich mich erfinde, daß ich versuche/ dies Antlitz mit meinen Händen einzudämmen,/ daß zwei Spiegel sie verbreiten,/ diese Gesichte, daß der Tod/ wohl wie ein Mensch ist,/ der sein Grauen im Spiegel betrachtet"

    Diese Zeilen des katholischen Lyrikers Eliseo Diego, eines der Überväter der kubanischen Gegenwartsliteratur, stehen als Motto zu Beginn des Romans "Die Haut und die Maske" und beschreiben die Funktion der ästhetischen Arbeit für den Autor. Schreiben, Geschichten erfinden, die Verdoppelung der realen um die fiktiven Bilder hat einen entlastenden, distanzierenden Effekt. Die Masken strukturieren das Chaos des Lebens und verleihen der menschlichen Ohnmacht so etwas wie tragischen Glanz.

    Zwölf Jahre mußte Jesús Díaz in den Siebzigern warten, dann konnte sein erster Roman >>Die Initialen der Erde << endlich in Havanna erscheinen. Stark autobiographisch gefärbt ist er eine Darstellung der kubanischen Geschichte vom Widerstand gegen die Batista-Diktatur über den Enthusiamus der Revolutionszeit bis 1970, als mit dem Scheitern des von Fidel Castro ausgerufenen Kampfes um eine Zuckerernte von zehn Millionen Tonnen der wirtschaftliche Niedergang der Insel einsetzte. In dieser Wartezeit hat Díaz begonnen, für das Kubanische Institut für Filmkunst zu arbeiten, vielleicht die liberalste Kulturinstitution des Castro-Regimes. Díaz schreibt Drehbücher, dreht Dokumentarfilme in Afrika und Lateinamerika und führt Regie bei Spielfilmen. 1978 wird er mit dem Film "55 Brüder" nach Cannes eingeladen, 1991 sorgt die sozialkritische Komödie "Alicia im Dorf der Wunder" , für die er das Drehbuch geschrieben hat, auf den Filmfestspielen in Berlin für Aufsehen. In Havanna wird der Film schon nach vier Tagen ohne Begründung aus den Kinos genommen.

    Die politischen und die ästhetischen Erfahrungen mit dem Medium Film bilden die autobiographische Grundlage für "Die Haut und die Maske". Der Roman schildert die Dreharbeiten für einen Film mit dem gleichen Titel. Schauplatz ist das heutige Havanna gezeichnet vom Verfall, von der unendlichen Müdigkeit seiner Bewohner nach fast vierzig Jahren Kampf und Entbehrung, von der Allgegenwart der Spitzel der Staatssicherheit. Nach dem Wegfall der Hilfe durch die verblichene UDSSR ist die Ernährungslage so katastrophal, daß die Zeitungen Anleitungen drucken, wie man sich mit Blättern und Samen ernähren kann, daß Konservendosen, die als Requisiten bei den Dreharbeiten gebraucht werden, in ständiger Gefahr stehen, geklaut zu werden. Der als Zweitwährung legalisierte US-Dollar spaltet die Bevölkerung in zwei Klassen, in solche, die nur über wertlose kubanische Pesos verfügen und jene die sich Dollars beschaffen können, und sei es durch Schwarzhandel oder Prostitution.

    Regisseur des Films "Die Haut und die Maske" ist ein alt gewordener, international angesehener kubanischer Filmemacher, der von Diaz als der "Bär" apostrophiert wird, weil man ihm vor Jahren für einen seiner Filme den Berliner Bären verliehen hat. Der Film, in dem er neben der Regie-Arbeit auch noch die Rolle eines beim Regime in Ungnade gefallenen Altrevolutionärs spielt, und den er gegen politische Widerstände und die Widrigkeiten des kubanischen Alltags auf bedrohlich knappem Filmmaterial zu drehen versucht, ist für ihn ein Balance-Akt; ästhetisch und existentiell ein Wagnis, demgegenüber die Gefahr, Ofélia, seine Frau und Darstellerin der weiblichen Hauptrolle an einen der jüngeren Schauspieler zu verlieren, kaum noch ins Gewicht fällt:

    "Schließlich ging ich mit diesem Film sehr viel größere Risiken ein als, das, möglicherweise von Ofelia betrogen zu werden. Es handelte sich unter anderem um den Abschied von einer Revolution, deren schon so ferne Errungenschaften ich begeistert beklatscht hatte, deren Brutalitäten, Exzesse und Irrsinnstaten ich schuldhaft verschwiegen hatte und vor der ich nicht als Richter, sondern als Zeuge auftreten wollte, als jemand, der sich vom weiten, schwierigen Terrain des Unabänderlichen aus zu Wort meldet.

    Angst wovor? Daß man mich aus dem öffentlichen Leben verbannen und als eine Art Unperson abstempeln würde? Ja, natürlich, aber auch davor, von meinen Freunden des Verrats bezichtigt zu werden. Da war noch etwas anderes, etwas noch Schlimmeres: die Angst, offen einzugestehen, daß die große laizistische Utopie, die meinem Leben und dem so vieler anderer einen Sinn gegeben hatte, gescheitert war. Und wie es im Kasten, eines Magiers immer noch einen doppelten Boden gibt, so lauert mir eine weitere Angst auf: die, mein Leben im Exil neu beginnen zu müssen, wo es sich doch strenggenommen fast schon dem Ende näherte, und ganz zuunterst tauchte als einziger Fluchtweg aus diesem Gully des Grauens der Gedanke an Selbstmord auf, so unwiderstehlich wie ein Prachtweib."

    Die Filmarbeit im Roman ist zugleich literarische Arbeit. Die Filmästhetik mit Schuß und Gegenschuß, mit der Suche nach ausdrucksvollen Sets, mit dem Ringen um die Kontinuität der Beleuchtung und der Charakterentwicklung durch die Schauspieler bestimmt auch die Darstellung im Roman. "Haut" und "Maske" das ist auch die spannungsreiche Parallele zwischen der Lebenswirklichkeit der Schauspieler und der Filmwirklichkeit, deren schwieriges Entstehen der Leser verfolgt.

    Ofelia, die untreue Ehefrau des Regisseurs, die aus Karrieregründen ihrem Sohn einst nicht ins amerikanische Exil folgte, spielt eine Kubanerin, die den umgekehrten Lebensweg geht, die aus Miami nach Havanna zurückkehrt, um ihre beiden Söhne zu suchen, die sie vor Jahrzehnten dort zurückgelassen hatte, weil sie als Wehrpflichtige nicht ausreisen durften. Diese Verdopplung der Identitäten, ihre Kontrastierung und Brechung drückt sich auch in den Kapitelüberschriften aus. Durch einen Bindestrich verbunden erscheinen dort jeweils der Name der Filmrolle und der Geburtsname der Schauspieler. Der literarische Einfall des "erzählten Films" verschärft den Effekt der durchgängig personalen Perspektive. Durch die Maske, die Ebene der Filmgeschichte wird die Biographie der Romanfiguren komplettiert mit weiteren vorstellbaren Biographien, die gleichwohl alle in der ausweglosen geschichtlichen Situation Kubas wurzeln. Weder "sozialistischer" noch "phantastischer Realismus" sondern die grausame Zweideutigkeit der Erfahrung ist der ästhetische Leitstern des Romans und des erzählten Films. Sein von Zukunftsangst umgetriebener Regisseur hat sich das Wort "Zweideutigkeit" in die Handfläche tätowieren lassen. Weder die Usurpation einer unerreichbaren Wahrheit noch die vermeintlich sinnliche Schönheit im Elend der Tropen, wo sich Sonne und Tod verschwistert haben. Für das europäische Klischee der lateinamerikanischen Literatur hat Diaz nur Spott Übrig. "Chiaroscuro", schmerzliche Ambivalenz ist die vorherrschende Stimmung der Bilder, mit denen er seine kubanische Familiengeschichte im Spannungsbogen der Politik entwickelt. Politik, die wie Packeis die Karibik-Insel seit vier Jahrzehnten umschließt.

    Wer hat letztlich mehr Schuld auf sich geladen, der in Castros Inselfestung zurückgebliebene vom Regime mißbrauchte Idealist oder die Mutter, die Kuba und ihre Kinder so lange im Stich ließ, bis ihr Sohn als einer jener "Balseros" ertrinkt, die auf selbstgezimmerten Booten die Überfahrt ins vermeintliche US-amerikanische Paradies wagen? Havanna, sind das jene verfallenen Elendsquartiere, in deren Bretterverschlägen mutlose Menschen zusammengepfercht leben, endlose Warteschlangen an den Bushaltestellen und vor den staatlichen Lebensmittelläden, oder ist es eine Stadt, wo man offener und warmherziger miteinander umgeht als im 80 Kilometer entfernten Miami?

    "Haut und Maske" zeigt ein vielfach gespaltenes Kuba. Zwischen den Daheimgebliebenen und den Exilierten haben sich tiefe Gräben geöffnet, Familienbande sind für immer zerissen, und ausgerechnet der alte, vorrevolutionäre Rassissmus in einem Land mit gut 85% farbigem Bevölkerungsanteil hat als ironische Pointe der Geschichte die sozialistische Ära überlebt. Die düstere Erstarrung der Revolution stellt auf Kuba einen noch viel tieferen Einschnitt in die Psyche der Menschen dar als das Scheitern des Sozialismus in den Satellitenstaaten der ehemaligen UDSSR. Schließlich waren Fidel Castro und Che Guevara Heroen einer von der Mehrheit der Bevölkerung getragenen Revolution, nicht einer von außen aufgezwungenen.

    Wenn Diaz seinen Filmregisseur im Roman vom "Wahnsinn" sprechen läßt, "der alle Kubaner umgibt", dann meint er diese Überlagerung, diese innere Auszehrung des Alltags durch die allgegenwärtige Politik, die Politik des Regimes und die Politik seiner Kontrahenten in Miami und Washington. Das Chiaroscuro von "Maske und Haut", die vielschichtige, mit filmischen und literarischen Techniken entwickelte Wirklichkeit des Romans ist Aufruf zur Versöhnung bevor der drohende Bürgerkrieg tatsächlich ausbricht. Während etwa der Kolumbianer Gabriel Garcia Marquez noch immer Elogen auf den Do-it-Yourself-Staatsmann Fidel Castro schreibt, der mit seiner Mischung aus Autodidaktentum und Ruhelosigkeit die Verantwortung für die wirtschaftliche und moralische Misere Kubas trägt, hat Jesus Diaz die geschichtliche Schuld und das definitive Scheitern seiner Generation angenommen.

    Der Roman schließt mit einem eblematischen Bild. Als die aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrte Mutter in einer der Filmszenen endlich die Wahrheit über den Fluchtversuch ihres Sohnes und seinen Tod irgendwo im Golf von Mexiko erfährt, nimmt sie sich das Leben. Für die mit dem letzten Filmmaterial gedrehte Schlußsequenz auf dem Friedhof hat der "Bär" eine brillante Idee. Er läßt den Trauerzug mit einer Gruppe Blinden zusammentreffen. Ihr massiger, bärtiger Anführer verkörpert den Maximo Lider, der so lange schon das Schicksal der Insel bestimmt:

    "Mir wurde klar, daß mir die Einstellung langsam aus den Händen glitt, weil diese Typen, die sich, ohne uns zu sehen, voranbewegten, ein solches Durcheinander angerichtet hatten. Als ich zu reagieren versuchte, sah ich mich dem hühnenhaften, graubärtigen Blinden gegenüber, der den Zug kommandiert; vielleicht hätte ich noch einen letzten Versuch unternehmen können, die Einstellung in der Form zu retten, in der ich sie konzipiert hatte, aber das herrische Gehabe dieses blinden Patriarchen übte auf mich eine Art Zauber aus. Es blieb mir nichts anderes übrig, als unter der sengenden Sonne, die senkrecht über dem Friedhof stand, weiter gegen den Sturm der Blinden anzugehen und zu hoffen, daß mir das Schicksal erlauben würde, an dem Film weiterzuarbeiten und die Möglichkeit zu erhalten, die in den Bildern dieses Alptraums verborgene Bedeutung zu offenbaren."