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Die Henry van de Velde-Route

Henry van de Velde gilt heute als einer der Wegbereiter der Moderne. In Deutschland, wo er seit der Jahrhundertwende lebte, wurde er eine der Hauptfiguren des Jugendstils. 1902 gründete er das Weimarer "Kunstgewerbliche Seminar", das Walter Gropius später zum Bauhaus weiterentwickelte. Ein Überblick über sein Lebenswerk bietet eine Route durch Sachsen und Thüringen.

Von Katrin Kühne | 21.10.2007
    "Eines seiner wichtigsten Wirkungsgebiete war Deutschland und er ist dann 1900 hier für zwei Jahre nach Berlin gekommen, weil hier seine wichtigste Klientel (eigentlich) saß, hier ist (eigentlich) auch sein wichtigstes Frühwerk entstanden."

    Ingeborg Becker ist die Direktorin des Berliner Bröhan-Museums für Jugendstil. Geradezu schwärmerisch berichtet sie von dessen Einrichtung für den damaligen bekannten Friseursalon "Haby".

    Diese "Ikonen der Moderne" des Interieurs sind zum einen heute im Berliner Stadtmuseum zu bewundern und zum anderen im Bauhaus-Museum von Weimar.

    Dorthin zieht es den Belgier bereits nach zwei Jahren. Die Stadt Goethes wird für die nächsten fast 2 Dezennien sein künstlerischer und biographischer Fokus. Harry Graf Kessler, den er in Berlin kennengelernt hatte, sorgt dafür, dass der geniale Createur vom Großherzog von Weimar an die Kunstschule berufen wird.

    Als Mann der Tat schreitet der Künstler sogleich zu eben dieser und baut Herzog Karl Alexander die eleganten Gebäude für die Kunst- und die gegenüber liegende Kunstgewerbeschule. Dieser Komplex wird später unter Walter Gropius zum "Bauhaus", heute Bauhaus-Universität.

    Als die 5-köpfige Familie van der Velde Zwillingszuwachs bekommt, baut Papa für 'Kind und Kegel' in nur acht Monaten das Haus "Hohe Pappeln". Damals von besagten Bäumen umgeben, liegt der graue Travertin-Bau mit dem tief heruntergezogenen Dach heute inmitten eines ruhigen Gartens.

    Immer seiner Idee des "Gesamtkunstwerkes" folgend, widmet sich van de Velde jedem noch so kleinen Detail in seinem Haus.

    " Beim Haus 'Hohe Pappeln', da gibt's so ein kleines Belüftungssieb im Flur in der Wandpaneele und das war natürlich dazu da, dass das Haus schnell austrocknen musste, und er hat aber dieses kleine, doch eigentlich (sonst) unscheinbare Belüftungssieb so gestaltet, das es eben eine Dreipassform erhalten hat und in Form eines Ornaments gestaltet wurde."

    Antje Neumann von der Klassik Stiftung Weimar arbeitet z. Zt. am ersten Gesamtverzeichnis von van de Veldes Kunstgewerblichen Arbeiten.

    Im geschwungenen Treppenhaus der Villa schaut der eigenwillige und charismatische Künstler überlebensgroß auf den Besucher hinunter - dieser 'Hercule Poirot der Moderne': Schwarze pomadisierte Haare, schwarzer herrischer Schnurrbart, dunkle wache Augen. Im Gegensatz zu Agatha Christies belgischem Meister-detektiv war van de Velde allerdings sehr schlank, aber ebenso klein und mindestens so elegant gekleidet.

    "Die Möbel, die dort ausgestellt sind, das sind Möbel von Max von Münchhausen. Van de Velde hat für ihn 1904 Möbel geschaffen und die passen eigentlich gut in das Haus und es war ein Glücksfall, dass wir die auch kaufen konnten aus Privatbesitz."

    Den Freiherrn und Schriftsteller von Münchhausen hatte van de Velde, wie Graf Kessler, in Berlin getroffen. Geld spielt für den Meister bei seinen Entwürfen keine Rolle, Hauptsache, die LINIE stimmt. Es ist schwer, notiert von Münchhausen 1903-:

    "Wenn van de Velde einmal einen festen Plan gemacht hat, diesem gegenüber die eigenen Wünsche zur Geltung zu bringen, ohne die künstlerische Feinfühligkeit van de Velde's allzusehr zu verletzen."

    Von Münchhausen, Graf Kessler und auch van de Velde selber gehören zum Freundes- und Anbeterkreis Elisabeth Förster-Nietzsches. Sie war mit ihrem siechen Bruder nach Weimar gezogen, um ein Nietzsche-Archiv im eigens dafür gekauften Haus "Silberblick" am Stadtrand einzurichten. 1902 schreibt von Münchhausen an die "Verehrte Gnädige Frau":

    "Im Vergleich zur Göttlichkeit eines Nietzsche-Zarathustra, ist Herr van de Velde, bei aller Wertschätzung, ... doch nur eine jämmerliche Käsemilbe, die am Boden eines aufgerührten Schimmelsatzes haftet."

    Gut, dass Madame Nietzsche zu schweigen weiß. So gestaltet van de Velde für sie unbeschwert Eingang, Vestibül und das gesamte Erdgeschoß der Villa "Silberblick". Allerdings steigen die Kosten auf eine Höhe, die der des gesamten Hauskaufes entsprechen. Es ist heute die weltweit einzige am Ort verbliebene Inneneinrichtung van de Veldes. Stadtführerin Melanie Büttner ist immer wieder fasziniert vom Salon, dem Herz des Hauses.

    "Van de Velde hat eine Wand entfernt, um diesem Raum diesen großen Charakter zu geben, Raum zu geben für Gedanken, die Regale sind organisch geformt, und man könnte, weil sie bis in die Decke hineingehen mit Stäben, meinen, man würde sich in einem umgekehrten Schiffsrumpf (auch) befinden, es gibt einem das Gefühl von Schutz."

    Alle 8 Bauten, die der Meister des Gesamtkunstwerkes in Weimar geschaffen hat, sind bereits wieder in originalem Zustand zugänglich oder werden gerade restauriert. Wie die Villa Dürckheim, mit neuer Nutzung als Wohn- und Arbeitshaus geplant, deren damaliger Besitzer, Graf Dürckheim, einst den Künstler mit seinen Hirschgeweihen in der von van der Velde so edelschlicht inszenierten Ausstattung 'tierisch' geärgert hatte.

    "Monsieur!C'est horrible!"

    Wie Perlen auf einer Schnur finden sich die Baukunstwerke van de Veldes in Thüringen und Sachsen entlang der "A4" aufgereiht. Seit kurzem wird das als "Henry van de Velde Route" touristisch vermarktet. Jena ist stolz auf den von ihm gestalteten wuchtigen Ernst-Abbe-Tempel, Gera auf die als BUGA-2007-Projekt zugänglich gemachte Backstein-Villa "Schulenburg" und auch das kleine Bürgel bietet van de Velde. Nicht als Architekten, sondern als Ratgeber der Bürgeler Manufakturisten und Erneuerer der Töpferkunst. Zu DDR-Zeiten war das Wissen um van de Veldes Arbeit für die Bürgeler Werkstätten fast verschütt gegangen, galten doch Manufakturen als frühkapitalistisch und somit als verwerflich, wie Eckhardt Schack vom Keramik-Museum erklärt. Sein Großvater, dessen Firma um 1900 weltweit exportierte, schuf nach dem Entwurf van de Veldes das heutige Prunkstück der Sammlung, eine Riesenbodenvase:

    "(Ja) Es ist eine aufstrebende schmale, fast Menschengröße, und ist eine sich aus einer kleinen Wölbung am Boden erhebende, schlank aufsteigende Linie mit nur so leichten Armen, die sich da erheben und ist, im Grundsockel mit Blau und (in) ein türkisfarbenes Grün, sehr freundlich anzuschauen."

    Sachsen bietet Chemnitz mit gleich 3 Villen als van de Velde-Standort auf. Villa Körner, Villa Quisisana und als die grandioseste, die Villa des Strumpffabrikanten Esche, damals eines der reichsten Männer der ehedem so bedeutenden Industriestadt.

    Das vierstöckige gelbe Haus thront auf einem steilen Hügel. Charakteristisch das lavendelblaue Eisenblech der runden Eckveranda mit den feinen, für van de Velde so typischen ornamentalen Linien, die sich in der Grundstücksumrandung wiederholen. 1902 lässt der junge Unternehmer Herbert Esche für sich und seine Frau Johanna von van de Velde einen -

    "Entwurf für das Leben"

    bauen. Vom Gebäude über den Garten, den Möbeln bis hin zum Silberbesteck, den Kleidern der Dame des Hauses, ja sogar die Pfeife des Hausherrn, alles kreiert der große Kunst-Reformer. Und wie immer bei seinen Bauten konstruiert er um das Innere, - das Wichtige, der "Lebensraum",- die äußere Hülle herum, wobei Funktionalität und Schönheit Hand in Hand gehen.

    In diesem Haus entsteht 2005 die Idee für die "Henry van de Velde Route durch Sachsen und Thüringen". Eine Initiative "von unten", basierend auf dem privaten Engagement eines 'Damentriumvirats', - der Journalistin Gisela Bauer, ihrer Tochter, der Architektin Astrid Bauer und Andrea Pötzsch. Sie ist die Leiterin der jetzt als Veranstaltungsort und Museum genutzten Villa "Esche".
    ":"1998 fanden wir diese Art des Oberlichtes vor, also eine einheitlich gelb-grüne Verglasung und in diesem Übergangsbereich zwischen dem Stuck und der Verglasung fanden sich farbige Glassplitter in rosa, hellblau, gelb, grün und lila.""

    Belgische van de Velde-Spezialisten helfen bei den aufwendigen Restaurierungsarbeiten, nicht nur des nun wieder in seinen originalen Farben leuchtenden Oberlichtes. So ist ein neues und doch historisches europäisches Gesamtkunstwerk entstanden, weitgehend wieder mit den originalen Möbeln eingerichtet.

    "Interessant ist auch, dass in einem weißen Schleiflacksalon ein schwarzer Schellackflügel steht, das hängt damit zusammen, dass Frau Esche bereits einen Blüthner aus den Leipziger Werkstätten besaß und sie damals Wert darauf gelegt hat, dass das Instrument in die Konzeption dieses Raumes einbezogen wird."


    Service:
    "Die Europäische Henry van de Velde Route - eine Architekturreise durch Thüringen und Sachsen" ist zu erhalten über die

    Thüringer Tourismus GmbH
    und die Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen

    Van de Velde Infos:
    Van-de-Velde-Route.de
    www.vandevelde-sachsen.de
    www.weimar.de

    Weimar bietet ein großes Van de Velde-Programm anläßlich des Jubiläums inkl. Ausstellung.

    Jena, Gera, Weimar, Chemnitz bieten Van de Velde/Jugendstil-Touren an.

    Bürgel: Keramik Museum Büergel

    Forschung: Klassik-Stiftung Weimar

    Buchtipps:
    Antje Neumann, Brigitte Reuter (Hg.)"Henry van de Velde in Polen",Verl.Deutsches Kulturforum östliches Europa e.V., Potsdam 2007

    Ingeborg Becker:"Henry van de Velde in Berlin", Verl. Bröhan -Museum Berlin 2004,

    Thomas Föhl/Klaus-Jürgen Sembach:"Henry van de Velde und das Weimarer Mobiliar für Baron von Münchhausen", Verl. HypoVereinsbank Kultur&Gesellschaft, München 1999