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Die historische Wende scheint möglich

Seit sechs Jahrzehnten regiert in Paraguay die rechtskonservative Colorado-Partei, an deren Spitze lange der Diktator Alfredo Stroessner stand. Nun hat der ehemalige Bischof Fernando Lugo große Chancen, dieses Machtmonopol zu durchbrechen: Er kämpf für ein gerechteres und demokratischeres Paraguay.

Von Peter B. Schumann |
    Auf dem großen Platz vor dem Kongress in Asunción Abschluss-Kundgebung der Opposition mit Spitzenkandidat Fernando Lugo.

    Der ehemalige Bischof hofft auf den Sieg am morgigen Sonntag. Nach der letzten Umfrage kann er mit einem Vorsprung von wenigstens fünf Prozent vor den beiden wichtigsten Mitbewerbern rechnen. So könnte diese Präsidentschaftswahl zu einer historischen Wende in der Geschichte Paraguays werden.

    Denn seit 60 Jahren ist hier eine einzige Partei an der Regierung: die Colorados, die Roten. Die Farbe hat nichts mit ihrem Programm zu tun: Sie haben Jahrzehnte lang nur die Interessen der Herrschenden vertreten, vor allem die der Großgrundbesitzer. Deshalb konnte sich ihrer auch der deutsch-stämmige Diktatur Stroessner bedienen, als er 1954 sein Gewaltregime errichtete, das längste auf dem amerikanischen Kontinent. Als er 1989 durch einen Putsch, unterstützt von den USA, abtreten musste, dienten die Colorados fortan als Steigbügelhalter der künftigen Präsidenten.

    "Paraguay ist das einzige Land im Süden Amerikas, in dem dieselbe Partei so lange regiert" - "

    meint Juan Carlos Ramírez Montalbetti, der Vorsitzende der Authentischen Radikalen Liberalen, der größten Oppositionspartei.

    "Die Colorados lassen sich nur noch mit der PRI in Mexico vergleichen, die mehr als 70 Jahre lang geherrscht hat. Ihre Struktur hat sogar die Stroessner-Diktatur überlebt: Partei, Regierung und Armee sind das Gleiche ... Sie wurde zwar etwas demokratisiert, aber 95 Prozent der öffentlichen Angestellten gehören der Regierungspartei an. Die Sicherung der Macht ist ihr politisches Hauptziel."

    Und dafür war ihr in der Vergangenheit fast jedes Mittel Recht, selbst der Wahlbetrug. Ihre Stärke lag aber auch in der Schwäche der politischen Gegner.
    "Die Opposition konnte sich bisher nie einigen" -"

    so Juan Carlos Ramírez Montalbetti.

    "Jetzt zum ersten Mal haben wir, die Vorsitzenden verschiedener Parteien, uns zusammengefunden, um ein gemeinsames politisches Projekt zu verwirklichen. Der erste Schritt war die Einigung auf einen Präsidentschaftskandidaten, den ehemaligen Bischof Fernando Lugo, und auf den Kandidaten für die Vizepräsidentschaft aus der Partei der Authentischen Radikalen Liberalen."

    Die ausgleichende Persönlichkeit von Fernando Lugo hat dieses breite Bündnis von Christdemokraten, Liberalen und Sozialisten, die sog. Patriotische Allianz für die Wende, wesentlich erleichtert. 11 Jahre lang war er Bischof in San Pedro, der ärmsten Provinz Paraguays, und hat sich dort vor allem um den bedürftigsten Teil der Bevölkerung gekümmert. Er steht der Theologie der Befreiung nahe und ist der Politiker im Land, zu dem die Wähler noch am meisten Vertrauen haben. Denn ihm geht es nicht um den eigenen Vorteil, sondern um die Macht zur Veränderung.

    "Wer heute ein anderes Land schaffen will, muss das Thema einer grundlegenden Agrarreform anpacken" -"

    so Fernando Lugo, ein bärtiger Mittfünfziger.

    ""In Paraguay herrscht eine geradezu skandalöse Landverteilung. Hier gibt es noch nicht einmal ein amtliches Grundstücksverzeichnis. Deshalb haben viele Ländereien zwei oder drei verschiedene Besitztitel. Außerdem gibt es riesige brachliegende Gebiete. In diese Verhältnisse muss dringend Ordnung gebracht werden, denn sie sorgen für gewaltreiche Konflikte. Dann muss ein Sozialpakt zwischen den verschiedenen Interessenbereichen geschlossen und eine gründliche Landreform durchgeführt werden."

    Das findet auch Odilo Espinola, der Generalsekretär des Nationalen Bauern-Verbandes.

    "Wir werden bis tief in die Nach hinein hier in der Mitte von Asunción öffentlich tagen und über unsere Forderungen an die Politiker und besonders an die Regierung diskutieren. Sie ist verantwortlich für unser Elend und für die Landflucht, die zur Zerstörung unserer Familien geführt haben."
    Vor wenigen Tagen hat sich die größte Vereinigung von Lohnarbeitern und Kleinbauern dafür entschieden, sich zwar an der Wahl zu beteiligen, aber für keinen der Kandidaten zu votieren, weil sie allen Politikern, selbst Fernando Lugo, misstrauen. Ein Zeichen für das Selbstbewusstsein vieler Indios. Sie bilden den größten und am schlimmsten ausgebeuteten Teil der Bevölkerung. Doch nur eine Minderheit denkt so wie sie. Andere hoffen noch immer, dass die abgewirtschaftete Regierungspartei gewinnt, denn sie befürchten, andernfalls ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Die Colorados haben - angesichts eines möglichen Machtwechsels und der weit verbreiteten Ablehnung ihres männlichen Personals - zum ersten Mal eine Frau als Kandidatin nominiert: Blanca Ovelar.

    "Am Abend des 20. Aprils soll eine Nachricht um die Welt gehen" - so die ehemalige Landschullehrerin und Erziehungsministerin: "In Paraguay ist das Gleiche geschehen wie zuvor in Chile und in Argentinien: eine Frau ist Präsidentin der Republik." "

    Ihre Umfragewerte liegen einen Tag vor der Wahl etwa auf der gleichen Höhe wie die des 3. Mitbewerbers: Lino Oviedo. Der millionenschwere Ex-General und Ex-Putschist ist die finsterste Figur der politischen Szene Paraguays. Seinen Reichtum hat er mit Drogen- und Waffenschmuggel erwirtschaftet. Bis vor kurzem saß er wegen Putschversuchs und Mordverdachts hinter Gittern. Präsident Duarte amnestierte ihn und versuchte, ihn gegen den populären Fernando Lugo ins Spiel zu bringen. Und Oviedo hat sich nicht gescheut, als Kandidat einer Nationalen Union ethischer Bürger anzutreten.

    "Heute, im Schatten dieses Monumentes unseres Vaterlandes und der hier versammelten Helden" - so formuliert er mit schwerer Zunge - "schwöre ich Euch, das Volk nie zu belügen und zu betrügen, sondern stets für sein Wohl zu sorgen und dies zur Pflicht des Staates zu machen."

    Angesichts solcher Gegenkandidaten dürfte es für den ehemaligen Kirchenmann Fernando Lugo eigentlich nicht schwer sein, die Wahlen zu gewinnen, denn er hat sich oft als moralische Instanz erwiesen. Aber fast täglich decken die Medien neue Formen von Beeinflussung und Fälschungsversuchen von Seiten der Regierungspartei auf.

    "Sie hat zum Beispiel Mittel verschiedener Institutionen wie des Kraftwerks von Itaipú abgezweigt und für zwei Millionen Dollar Medikamente gekauft, die dann von Staatsangestellten während der Wahlkampagnen an die arme Bevölkerung verschenkt wurden" - so der Fernsehdokumentarist Hugo Gamarra. "Richter und andere Justizvertreter wurden aufs Land geschickt, um die Leute zu beeinflussen. Es wurden auch direkt Stimmen gekauft oder Wahlausweise gefälscht und Wählerverzeichnisse manipuliert. / Aber wir sind zuversichtlich, dass die vielen internationalen Wahlbeobachter eine größere Zahl von Fälschungen verhindern und es nicht wie früher zu Gewalttätigkeiten kommt, denn das wäre das schlimmste."

    Die Hoffnung eines großen Teils der Bevölkerung richtet sich am morgigen Sonntag auf einen ehemaligen Bischof und ein breites Bündnis der Opposition: auf ein gerechteres und demokratischeres Paraguay.