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Die Hoffnung auf Tauwetter in den frostigen Beziehungen

NATO-Generalselkretär Anders Fogh Rasmussen besucht Russland: Die NATO hofft darauf, dass Russlands Präsident Medwedew einlenkt und die militärischen Nachschubwege über russisches Territorium nach Afghanistan wieder freigibt. Doch das ist ein Detail: Rasmussen hofft auf eine grundsätzlichere Verbesserung der Beziehungen, sein Besuch in Moskau soll nun das Eis brechen.

Von Robert Baag |
    Was ist er denn nun: "Falke" oder "Taube"? - Als dänischer Ministerpräsident zählte Anders Fogh Rasmussen für Moskau einst eindeutig zu den "antirussischen Hardlinern", wie die führungsloyale politische Elite gern plakativ zu formulieren liebte. Noch in diesem Sommer, kein halbes Jahr ist es her, kurz bevor Fogh Rasmussen zum neuen NATO-Generalsekretär gewählt worden war, wollte der russische Botschafter bei der Allianz in Brüssel, Dmitrij Rogozin, seine Skepsis kaum verhehlen.

    Doch nicht nur Rogozin scheint inzwischen gelernt zu haben, denn nun lobt man in Moskau den neuen Mann, der, kaum an der Spitze der NATO, sogleich ein entspanntes Verhältnis zu Russland zum wesentlichen Ziel seiner Politik postuliert hat. Und kein anderer als der für seine oft saftig undiplomatischen Verbalausfälle bekannte Rogozin, sah in jüngsten Protesten Polens und baltischer NATO-Länder gegen ein weißrussisch-russisches, grenznahes Großmanöver ein "Spiel", das sich nur gegen den neuen NATO-Generalsekretär und dessen gewandeltes Konzept im Umgang mit Russland richte:

    "Alle Armeen eines jeden Landes müssen sich in einem Dauerkampftraining befinden. Und wenn NATO-Truppen sogar außerhalb ihres Bündnisgebietes bewaffnet kämpfen, zum Beispiel in Afghanistan oder im Kosovo, woher kommt dann diese - sagen wir's höflich - 'Kühnheit', Vorwürfe an Russland oder Weißrussland zu richten, weil wir auf unserem Gebiet Manöver abhalten?"

    Vergessen zu erwähnen hat Rogozin bei aller polternden Empörung, dass es sich nach Ansicht internationaler Militärexperten bei diesem Herbstmanöver "Zapad 2009" - zu Deutsch immerhin: "Westen 2009" - um das zahlenmäßig größte Manöver Russlands seit dem Ende des Kalten Kriegs vor fast 20 Jahren gehandelt hat. Ausländische Beobachter sind dazu explizit nicht eingeladen worden.

    "Zapad 2009" als wenig freundlicher Akt, so spekulieren russische Medien im Vorfeld des Rasmussen-Besuchs, könnte also heute und morgen durchaus noch einmal ein Thema sein bei Rasmussens Gesprächen mit Präsident Medwedew, Premier Putin und Außenminister Lawrow. Aber - auch darauf wetten die meisten - man wird sich freundlich gegenübersitzen. Das entsprechende Leitmotiv schlug schon vor Monaten Moskaus US-Botschafter John Beyrle an:

    "Viel wird darüber gesprochen, dass die NATO eine Gefahr für Russland darstelle. In Wirklichkeit aber unterstützt Russland die Anstrengungen der NATO- und US-Truppen in Afghanistan, hilft ihnen in diesem - wie ich finde - gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus. Und das ist wichtig."

    Doch scheint auch dies nur ein Teil der Wahrheit zu sein. Denn in Wirklichkeit, so klagen westliche Diplomaten, die ungenannt bleiben wollen, könnte Russland sich viel aktiver beteiligen - etwa mit direkten Lieferungen von russischem Erdöl oder -gas nach Afghanistan oder von Kalaschnikow-Sturmgewehren an die afghanischen Streitkräfte von Präsident Hamid Karzai. Die Allianz, so ist zu hören, will mehr: Anstatt bislang nur für zivile Güter hofft sie auf das russische Einverständnis, bald auch klassisch militärischen Nachschub wie Waffen und Munition im Transit nach Afghanistan passieren zu lassen.

    Die Allianz unterstellt, dass es auch Russland nicht daran gelegen sein kann, dass sie sich geschlagen aus einem indirekten Nachbarland zurückziehen müsste. Denn zwischen einem Taliban-Afghanistan und dem sogenannten russischen Kernland lägen dann ungeschützt nur noch die ihrerseits eher instabilen zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken Tadschikistan, Usbekistan oder Turkmenistan. Moskaus Linie in diesem Gesamtszenario beschreibt der russische Militärexperte Aleksandr Gol'c:

    "Jetzt, nachdem Russland dem Zivilguttransit zugestimmt hat, monopolisiert es ihn schon faktisch. Und gewinnt damit in realpolitischer Hinsicht eine sehr starke Verhandlungskarte mit den USA."

    Und da gibt es so manches, was Putin, Medwedew und Lavrov dem neuen NATO-Generalsekretär zu erzählen hätten, etwa sein so genanntes "Sicherheitskonzept für Europa", für das der russische Präsident bislang eher erfolglos geworben hat oder Probleme der konventionellen Rüstung in Europa. Russische Streitkräfte jedenfalls, so viel steht für Gol'c fest, werden - nach zehn Jahren sowjetischem Krieg ab 1979 und allein über 14.000 toten Soldaten - nie mehr in Afghanistan kämpfen, auch nicht als NATO-Partner.

    Danach dürfte Anders Fogh Rasmussen heute im Kreml wohl auch gar nicht erst fragen.