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Die Hoffnung schwindet

Der Ilisu-Staudamm in Südost-Anatolien ist mit 1,2 Milliarden Euro ein gigantisches Projekt und für die Türkei von großer Bedeutung. Deutschland, Österreich und die Schweiz hatten für das Bauprojekt Bürgschaften zugesichert, doch im Dezember 2008 gab die Bundesregierung der Türkei eine Frist von 180 Tagen, um Auflagen für den Schutz von Umwelt sowie zur Umsiedlung von tausenden Menschen zu erfüllen. Die Frist läuft heute ab.

Von Susanne Güsten | 06.07.2009
    In Ilisu singen die Vögel. Auf der Großbaustelle am Tigris stehen seit einem halben Jahr alle Räder still. Zum Zeitvertreib forsten die Männer von der Bauleitung des Ilisu-Konsortiums die umliegenden Hügel auf, graben mit Spaten selbst die Löcher für tausende kleine Bäumchen, mit denen die kahlen Hügel begrünt werden sollen.

    Seit sechs Monaten, seit die europäischen Kredite suspendiert sind, warten sie in diesem entlegenen Tigristal darauf, dass es weitergehen kann mit dem Bau. Doch die Hoffnung, dass die Kredite wieder freigegeben werden, schwindet. Der Projektleiter ist enttäuscht:

    "Ich finde das ungerecht. Alles, was wir hier tun, geschieht doch für die Bevölkerung. Die Leute in dieser Region haben jahrzehntelang nichts gesehen außer Krieg und Terror. Mit dem Staudammprojekt war hier erstmals Hoffnung auf eine bessere Zukunft gekeimt - aber jetzt ist alles wieder unsicher."

    Die Dammbaustelle liegt im unterentwickelten Südosten der Türkei, fernab vom dynamischen Istanbul, von der relativ wohlhabenden Westküste und von den aufstrebenden Städten Zentralanatoliens. Wegen des Jahrzehnte langen Kriegs zwischen der türkischen Armee und den kurdischen PKK-Rebellen ist die Region verarmt und ausgeblutet. Mit dem Ilisu-Staudamm will Ankara einen Stimmungswechsel in den Kurdengebieten herbeiführen, sagt Ministerpräsident Erdogan:

    "Wir führen unseren Kampf um den Südosten nicht nur mit unseren Sicherheitskräften, sondern mit allen Institutionen unseres Staates. Deshalb bauen wir genau in dieser Region den Ilisu-Staudamm, einen der größten Staudämme der Türkei."

    Mit Waffen alleine sei der Jahrzehnte lange Kurdenkonflikt nicht zu gewinnen, diese Erkenntnis setzt sich in Ankara seit einiger Zeit durch. Mehr kulturelle Rechte für die Kurden, und vor allem wirtschaftliche Investitionen gelten daher als Schlüssel zum Erfolg. Der Ilisu-Staudamm sei ein Beitrag dazu, argumentiert einer der Männer von der Bauleitung:

    "Hier im Südosten der Türkei sind Arbeitslosigkeit und Armut gewaltig. Das einzige Mittel, das zu ändern, ist Beschäftigung - und kein Sektor schafft mehr Beschäftigung als der Staudamm-Bau. 4000 Arbeiter brauchen wir dafür, weitere 80.000 Leute werden indirekt beschäftigt. Und dann entstehen noch weitere Arbeitsplätze durch die Umsiedlungsmaßnahmen. Ohne Arbeit können wir den Bildungsstandard und die Lebensqualität dieser Region nicht verbessern. Nur wenn dieses Projekt weiter geht, wird sich hier etwas ändern."

    Doch freilich geht es beim Ilisu-Staudamm auch noch um etwas anderes: Die Türkei verspricht sich von dem Wasserkraftwerk Strom für zwei Millionen Haushalte. Dringend benötigter Strom ist das, denn die Türkei leidet schon jetzt unter der Energieknappheit, und das bei einem jährlich steigenden Verbrauch von sechs bis acht Prozent. Das Land ist abhängig von Erdgasimporten aus Russland und dem Iran - doch wie unzuverlässig diese Quellen sind, bekam das Land erst im Winter wieder zu spüren, als Moskau den Gashahn im Streit mit der Ukraine zudrehte.

    Reine Verschwendung sei es zudem, anstelle des eigenen Wassers importiertes Gas zu nutzen, argumentiert Nihat Üstündag von den staatlichen Wasserwerken, die den Ilisu-Damm in Auftrag gegeben haben:

    "Die Energie, die wir mit diesem Staudamm gewinnen könnten, entspricht Erdgas-Importen aus dem Ausland im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar. Wenn wir die Energie aus unserem eigenen Wasser gewinnen würden, könnten wir das Geld für Umwelt und Entwicklung ausgeben."

    In wie weit das Wasser des Euphrat und Tigris tatsächlich der Türkei gehört, ist allerdings umstritten. Schon jetzt klagen die flussabwärts gelegenen Anrainerstaaten Syrien und Irak, dass die Türkei sich überreichlich aus den Strömen bediene. Wegen einer Dürre in Irak sagte Ankara immerhin zu, den Zufluss in das Nachbarland in den nächsten Monaten zu verdoppeln. Ungerecht finden die Bauherren des Ilisu-Staudamms auch die Vorwürfe der Ilisu-Gegner, dass der türkische Staat die Menschen am Tigris vertreiben wolle, um den Staudamm zu bauen, dass er Umwelt und Kulturgüter im Flutungsgebiet vernichten wolle. Der Ilisu-Damm solle dem Gemeinwohl dienen, sagt Nihat Üstündag:

    "Wir wollen mit dem Staudamm die Ressourcen unseres Landes nutzen, sie in den Dienst unserer Bevölkerung stellen und einen Beitrag zur Entwicklung unseres Landes leisten. Wir glauben, dass wir mit dem Staudamm den sozialen und wirtschaftlichen Nutzen der Bevölkerung mehren können."