Donnerstag, 18. April 2024

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Die Hoffnung stirbt zuletzt

Die Ernte war schlecht in diesem Jahr. Das Grundnahrungsmittel, der Mais, wird nicht reichen in Simbabwe. Unter der Regierung von Präsident Robert Mugabe geht es rapide abwärts mit dem einstigen Musterland Afrikas. Viele Bürger sind vor Arbeitslosigkeit, Korruption und Gewalt nach Botswana, Südafrika oder weiter nach Großbritannien geflohen. Diejenigen, die bleiben, schwanken zwischen Mutlosigkeit und Hoffnung. Ein Bericht von Thomas Kruchem.

05.11.2005
    Harare, Simbabwe, Stadtteil Hilton. Das Haus der Begbies unter uralten Bäumen wirkt bescheiden und renovierungsbedürftig. In der Garage dieses Hauses jedoch betreibt Mike Begbie das größte Observatorium des Landes: acht Teleskope mit Linsendurchmessern von bis zu 30 Zentimetern, mit im Lande geschliffenen Spiegeln erster Güte; eine gediegene Fachbibliothek. Mike, ein schüchtern wirkender Brillenträger von vielleicht 40 Jahren, ist Autodidakt.

    "Ich war Lehrer für Englisch und Naturwissenschaften an einer staatlichen Schule, bis ich dort Ende der 80er Jahre einen Astronomie-Kurs einführte, der zu einem Astronomie-Examen der Universität von London führte. 14 Jahre lang hielt ich diesen Kurs ab und hatte schließlich eine Menge junger Astronomen aller Rassen um mich geschart. – 2001 aber verbot unsere Regierung ausländische Prüfungen an unseren Schulen – aus ideologischen Gründen und, weil sie mit immer knapper werdenden Devisen bezahlt werden mussten."

    Der Weiße Mike Begbie wurde arbeitslos – in einer Zeit, als Diktator Robert Mugabe zur Jagd auf die weißen Farmer blies und binnen kurzem Simbabwe das wirtschaftliche Rückgrat brach. Inzwischen hat die Arbeitslosigkeit 85, die Hyperinflation tausend Prozent erreicht; auch die meisten im Lande verbliebenen Weißen leben in Armut. Mike, der höchstes Ansehen unter Kometenbeobachtern weltweit genießt, repariert, um zu überleben, Fernrohre, Mikroskope und Fotoapparate. Mikes Frau Lorna ist Opernsängerin, ihre Bühne heute ihr kleines Heimstudio: Klavier, Keyboard, antikes Aufnahmegerät in einem Anbau des Hauses.

    Schon als Kind, sagt Lorna, habe sie die Anmut der Schubert-Lieder in den Bann gezogen. Sorgfältig gerahmte Fotos an den Wänden des Studios dokumentieren 30 Jahre teils internationaler Gesangskarriere: Die Sopranistin Lorna Kelly – so hieß sie nach ihrem verstorbenen ersten Mann – Lorna als bildhübsche Cinderella; prachtvoll gewandet in Opern von Verdi, in Operetten von Strauß; mit Prominenz nach einem Konzert im deutschen Bochum. Ehrenurkunden; ein Gemälde, das Lornas Vorbild Maria Callas zeigt. Heute werden in Simbabwe keine Opern mehr aufgeführt.

    "Früher hatten wir viele professionelle Musiker hier, die das klassische Repertoire des Westens einübten. Zwei große Symphonieorchester hatten wir, eins in Harare, eins in Bulawayo; dazu ein Jugend- wie ein Kammerorchester und Chöre mit bis zu 150 Sängern. – Diese blühende Musiklandschaft jedoch ist in den letzten Jahren verdorrt, weil zu viele fähige Musiker Simbabwe verlassen haben. Und ich kann nicht mehr die großartigsten Werke der klassischen Musik singen – Werke wie die Matthäus-Passion Bachs und seine Johannes-Passion, die wir früher mit großen Orchestern, Chören und erstklassigen Solisten aufgeführt haben. Jetzt kann ich nur noch mein Wissen an junge Sänger weitergeben."

    An Schüler, deren Eltern allenfalls ein karges Honorar zahlen können. Die Begbies jedoch müssen leben; und so hat sich auch Lorna einen weiteren Broterwerb gesucht. Aus den vielfältigen Samen der Bäume und Büsche Simbabwes kreiert sie Schmuck: Ketten, Armbänder, Ohrringe; koloriert, wo es ihr ästhetisch sinnvoll erscheint. Frauen, die irgendwo von Lorna gehört haben, bringen Säckchen voller Samen; Freunde in England und Südafrika sorgen für den Vertrieb. Dennoch leben die Begbies am Rande des Existenzminimums. Warum nutzen sie nicht Mikes britischen Pass und emigrieren nach England – wie so viele weiße Simbabwer?

    "Dafür ist es wohl zu spät. Zum einen befindet sich alles, wofür wir gearbeitet haben, hier in Simbabwe – unser Häuschen, mein Studio, das Observatorium meines Mannes; zum anderen leben unsere alten Mütter bei uns; sie müssten, wenn wir weg wären, ins Altersheim. Außerdem: Afrika liegt uns im Blut; wir glauben an unsere Nische hier, obwohl der Alltag zurzeit sehr schwierig ist. Bricht, zum Beispiel, ein Wasserrohr im Haus, fragen wir uns: Kaufen wir ein neues Rohr oder etwas zu essen? – Meist entscheiden wir uns dann für das Lebensnotwendige und flicken das Rohr irgendwie. Schlimm ist auch der Stress mit den laufenden Ausgaben. Kaum haben wir die Gebühren dieses Monats beisammen, steht schon der nächste vor der Tür. Es ist, als ob wir ständig einem Bus hinterherlaufen, ohne je aufspringen zu können; völlig absurd."

    Die Perspektiven sind düster. Die wirtschaftliche wie politische Krise in Simbabwe dürfte sich vorläufig noch verschärfen; an ein Kulturleben im klassisch europäischen Sinne ist nicht zu denken; sämtliche Rentenansprüche der Begbies hat die Inflation wertlos gemacht. Dennoch weigert sich Lorna, ihre vier erwachsenen Kinder, die in England und den USA leben, um Hilfe zu bitten; die hätten eigene Sorgen. – Nein, irgendwann werde Licht am Horizont erscheinen; sie erfreue sich an begabten Schülern und ihrem Schmuck; Mike gehe auf in seinem Engagement für das Projekt "Earth Rise" des weltbekannten Astronomen Alan Hale: Per Internet-Vernetzung von Teleskopen weltweit sollen Menschen auch in Ländern, wo Armut und Terror herrschen, Freude erfahren – durch gemeinsamen Blick auf die Sterne. "Es bedarf nur der richtigen Perspektive", sagt Lorna; "dann wird der eigene Alltag ganz klein und unbedeutend."

    "Natürlich ertappen wir uns dabei, wie wir über Geld, Benzinausgaben und Reparaturen streiten. Aber mein Mann und ich haben sehr viel Humor. Wir mögen noch so heftig streiten und gestresst sein; sehr bald lachen wir wieder und erfreuen uns an der Schönheit der Natur um uns herum. Wir setzen uns in den Garten, schauen auf die Masasa-Bäume und die schönen Vögel, atmen die saubere Luft ein; und der Stress verfliegt. Wir gehen wieder ins Haus und sagen einander: Wir werden es schaffen; machen wir einfach weiter."