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Die hohe Formulierungskunst

Wohl wenige Menschen kommen in die Verlegenheit, im Abendanzug auf die Jagd gehen zu müssen. Sollte ihnen das aber widerfahren, wäre es gut, wenn sie zuvor Antal Szerb gelesen haben. Beim Meister der klassischen ungarischen Society-Prosa lässt sich nämlich erlernen, wie man einen Hasen mit der Krawatte fängt: eine unbedingte Fähigkeit jedes K.u.K-Gentleman, wie er in Budapest und Wien bis zum Anbruch der faschistischen Regime existierte.

Von Florian Felix Weyh | 01.03.2007
    Schon vorher freilich, in der Zwischenkriegszeit nach 1918, verwandelte sich der unerschütterliche Geistes- oder Realadel in jenen Menschenschlag, dessen selbstgenügsame Kultiviertheit mit sanftem Spott auf vergangene Bedeutung und verlorene Reichtümer herabzublicken vermochte: "Egal was passiert, bleibe stets auf Höhe deiner Formulierungskunst!", lautete dessen Wahlspruch. Ein intellektueller Bücherwurm der alten Schule sagt etwa so über einen anderen: "Ich mochte ihn, weil er keine Bücher mochte, mich dafür schon, ich erblickte darin den Beweis dafür, dass es in mir auch etwas gab, das mit Büchern nichts zu tun hatte."

    So sind die Sätze bei Antal Szerb. Von ungarischen Lesern gerühmt ob ihrer Eleganz, doch über Jahrzehnte aus dem literarischen Leben Europas entschwunden gewesen. Seit 2003 bemüht sich der Deutsche Taschenbuchverlag erfolgreich um eine Wiederbelebung des Szerbschen Werks auf Deutsch. Mit den Erzählungen "In der Bibliothek" legt er nach vier Romanen nun einen Sammelband vor, in dem es um Frauen und Literaten, Literatur und Frauen geht - und natürlich um die Kluft zwischen geistvollen, doch armen "Hommes des lettres" und mysteriösen, doch hocherotischen Gräfinnen. Der Plot der Erzählungen ist meist weniger wichtig als deren Milieu - Paris und London bilden den fruchtbarsten Humus für jene grenzüberschreitende Zwischenkriegs-Boheme, die Umgangsformen des 19. Jahrhunderts pflegte und dabei vergaß, sich um die realen Bedrohungen des 20. zu kümmern. Die realistische Wahrnehmung seiner Zeitgenossen dienten Szerb allenfalls als Material für sanften Spott, wie etwa in einer Szene, die eine heftige weibliche Umarmung schildert. Die gängige Metaphorik der 30er Jahre aufgreifend heißt es dann: "Manche preisen Maschinen, Automobile und Massenbewegungen, wenn sie nach einem Bild für das pulsierende Leben suchen - aber was ist schon eine Industriestadt verglichen mit dem Arm einer Frau?"

    Das ist Literatur, wie sie heute keiner mehr schreibt, wie man sie aber mit demselben Genuss liest, mit dem man ebenso ausufernde wie geistreiche Dialoge alter Schwarzweißfilmkomödien goutiert. Dass Antal Szerb nicht gerade ein progressives Frauenbild vertritt - wiewohl sich sein Begriff von Erotik über die Verschämtheiten des 19. Jahrhunderts deutlich hinwegsetzt -, nimmt kaum Wunder, bringt dann aber auch wieder Sätze hervor, die man mögen kann, weil sie so schön nach Fontane klingen: "Nach dem Tee wartete Jenny gelassen darauf, dass sich ihr Schicksal als Frau erfülle." Wer sich in die Szerbsche Prosa eingelesen hat, hört sofort, um wie viel bedeutsamer das Wörtchen "gelassen" in diesem Kontext tönt denn das wuchtige "Schicksal als Frau". Die besagte Jenny will nämlich Sex mit einem Helden, der eigentlich keinen will. Ähnlich die Konstellation in der Titelerzählung. Eine ungarische Studentin reist dem seit Backfischtagen vergötterten Ich-Erzähler nach Paris hinterher, nachdem sie ihn über mehrere Jahre hinweg mit anonymen postalischen Aufmerksamkeiten bedacht hat, die er durchaus genoss. In der Bibliothèque Nationale schnappt sich der Fisch den Angler, doch der will ihn gar nicht haben, als er erkennt, wie ernst die junge Frau ihr Liebesprojekt meint. Szerbs Helden sind nur äußerlich wagemutige Don Juans. Die meisten zögern öfter als sie handeln und betrachten sich dann vor dem Spiegel mit einer gewissen Verwunderung: "Manchmal staune ich selbst, wenn ich mir die Dimensionen meiner Seelengarderobe anschaue."
    Schade, dass es der Verlag nicht bei 150 Seiten dieser glanzvollen Gesellschaftsprosa belassen hat, sondern aus Vollständigkeitsgründen noch weitere 100 Seiten früher historischer Erzählungen Szerbs anfügt. In ihnen findet sich nichts von der späteren Eleganz des Autors, sie reichen über die damaligen Genrekonventionen kaum hinaus. Wer Szerb schätzen lernen will, klappt das Buch rechtzeitig zu.

    Antal Szerb: "In der Bibliothek"
    Aus dem Ungarischen von Timea Tankó
    dtv, 276 Seiten, 14,- Euro