So geheimnisvoll, so voller dunkler Andeutungen sind alle von Laszlo Darvasis chinesischen Geschichten. "Die Hundejäger von Loyang " hat er seine Sammlung von Miniaturen genannt. Sie spielen im alten China, einem China, in dem zwar reale Herrscher an realen Orten auftauchen, das aber dennoch ganz und gar der großen Imaginationskraft Laszlo Darvasis geschuldet ist. Das macht diese Geschichten noch rätselhafter. In jenem China sind die Herrscher grausam und die Untertanen passiv. Launenhafte Kaiser lassen ihre Minister, ihre Offiziere, die für sie arbeitenden Maler und Dichter, aus einer puren Stimmung heraus hinrichten oder umbringen:
Die Schüler fanden die verstümmelte Leiche des Dichters Tan in seinem Garten. Es war ein friedlicher Vormittag, die ersten Päonien blühten. Die Augen des Dichters waren mit Salz herausgeätzt, seine Zunge abgeschnitten, die Arme aus dem Leib gerissen.
Mancher liebt seinen zahmen Affen mehr als seine Familie. Mancher darf überleben, muss aber dabei zuschauen wie seine Frau und seine Kinder getötet werden.
Diese Welt ist einerseits archaisch und mitleidlos, anderseits von großer künstlerischer Raffinesse. Oder wie es Laszlo Darvasi ausdrückt. "Das Elende gedeiht in der erlesensten Form." Seine Sprache lebt von diesen Gegensätzen. Er erzählt, wie ein junger Mann, fast noch ein Kind, aufgehängt wird, weil er Geheimnisse verraten haben soll.
Unter dem Leichnam krümmt sich eine alte Frau. Es stimmt nicht, dass es seltsam war. Es stimmt nicht, dass es ungewöhnlich war. Es war einfach, als hätte sich ein geheimer Traum erfüllt, als würde die in der Tiefe der menschlichen Seele verborgene Grenzenlosigkeit sich selbst feiern, als wäre schlicht und einfach verkündet worden, dass es ein größeres Übel nicht gibt, nichts ist ungewöhnlich oder besonders, weder der in Schwärze ertrinkende Himmel noch die Bücher verbrennenden Soldaten, nicht die ihrer Köpfe beraubten Frauenleichen an der Ecke des Platzes und nicht das schnaubend durch die Stadt fegende Pferd und der Anblick der methodisch verstümmelten Verletzten, die in der Stadt eintrafen. Manchen hatte man die Augen ausgestochen, anderen die Nase oder die Ohren abgeschnitten. All das war nichts Seltsames, es war wie bei einem Kind, das noch im Schrecklichen etwas sucht, woran es sich gewöhnen kann.
Gewalt und Tod allerorten, die Suche nach dem unsterblichen Leben muß erfolglos bleiben. Wohl um auf andere Art unsterblich zu sein, will der Kaiser, das größte und längste Bauwerk bauen lassen, das die Welt je gesehen hat.
Im zweiten Teil der "Hundefänger von Luoyang" sind die Aufzeichnungen der Tsin Akademie zu lesen, die von Lao Suns Straße berichten, einem anderen großen Bauwerk, einer unsichtbaren Traumstraße. Und doch tauchen immer wieder Wanderer auf, die den weißen Staub von Lao Suns inexistenten Straße an den Schuhen haben. Die Aufzeichnungen der Tsin Akademie sind kurz, manche nur wenige Zeilen lang. Darvasi erzählt etwa von einem Maler, der die Regentropfen anmalen kann. Als es zu schneien beginnt, wird er gefeuert.
Man kann über solche Miniaturen nachdenken und einen Sinn darin suchen, man kann sich allerdings auch einfach von Laszlo Darvasis geschliffen schöner Sprache hinwegtragen lassen in ein fernes China. Dabei muß man bereit sein, in schönsten Worten über scheußlicheste Massaker zu lesen und über die ein oder andere Schlampigkeit (vielleicht der Übersetzung) hinwegzusehen. Wenn etwa Buchstaben kalligrafiert werden statt Zeichen oder der Braten mit dem mediterranen Rosmarin gewürzt wird.
Ein fremdes Buch, ein phantasievolles, ein verstörendes Buch ist Laszlo Darvasis " Die Hundejäger von Loyang".