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Die Hunger-Spekulanten

Egal ob Getreide, Speiseöl, Zucker oder Milch - die Preise für wichtige Rohstoffe unserer Lebensmittel waren Anfang des Jahres mindestens doppelt so teuer wie zehn Jahre zuvor - was als eine Ursache für Hungernöte in der Welt gilt. Und Schuld seien Spekulanten. Um diesen Zusammenhang zu belegen, hat Foodwatch einen Journalisten ein halbes Jahr recherchieren lassen.

Von Philip Banse | 18.10.2011
    Foodwatch beschuldigt Finanzinstitute wie die Deutsche Bank und Goldman Sachs mitschuldig zu sein am Welthunger, weil sie an den Börsen für Nahrungsmittelrohstoffe spekulieren. Allein in 2010 seien die Nahrungsmittelpreise um ein Drittel gestiegen. Dadurch seien 40 Millionen Menschen in absolute Armut gestürzt worden. Ursache hierfür seien die Spekulationen von Investoren, so Thilo Bode, Chef von Foodwatch: Deregulierung und die Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten, hätten dazu geführt, dass Investmentbanken und Pensionsfonds bis Anfang des Jahres 600 Milliarden Dollar in Wetten auf Rohstoffpreise gesteckt hätten - so viel wie nie zuvor:

    "Der massive Strom von Kapital, der jetzt in diese Rohstoffbörsen fließt, treibt die Preise für Geschäfte in der Zukunft, also in sechs Monaten, hoch. Und da sich die Lebensmittelpreise in der Gegenwart an diesen Zukunftspreisen orientieren, sind auch die Preise in der Gegenwart für Mais oder Weizen viel höher als sie es ohne diesen Kapitalzufluss wären. Und dadurch wird auch Hunger verursacht."

    Das sei falsch, sagte Sprecher der Deutschen Bank dem Deutschlandfunk. Nahrungsmittel würden teurer, weil die Nachfrage gestiegen sei, weil mehr Menschen essen wollen, weil auch Energie teurer geworden sei, was die Produktion der Nahrungsmittel teurer mache. Spekulation sei nicht Ursache der hohen Nahrungsmittelpreise. Dem widerspricht Foodwatch-Chef Bode. Im Report "Die Hungermacher" hat Foodwatch Studien und selbst recherchierte Fakten zusammen getragen, die belegen sollen: Spekulation verursacht Hunger.

    "Das ist offensichtlich und ich wundere mich, dass die Banken hier die Unverfrorenheit haben zu sagen, das habe nichts miteinander zu tun. Die besten Wissenschaftler sagen, es gibt einen Zusammenhang."

    Eigentlich sind die Rohstoffbörsen eine gute Sache, sagt Foodwatch, auch ein gewissen Maß an Spekulation sei notwendig: 30 Prozent spekulative Käufe und Verkäufe seien ok. Heute ginge es jedoch bei 80 Prozent des Handels nicht mehr drum, in drei oder sechs Monaten wirklich Weizen zu einem bestimmten Preis kaufen zu wollen. 80 Prozent dieser Termingeschäfte seien Wetten: Eine Investmentbank verpflichte sich, einem Bauern in sechs Monaten Weizen für 200 Dollar die Tonne abzukaufen. Ist der Marktpreis dann bei 400 Dollar, macht die Bank Gewinn; ist er bei 100 Dollar, macht die Bank Verlust. Foodwatch solche Spekulationskäufe wieder auf 30 Prozent zurückdrängen. Doch mittlerweile haben auch Investmentbanken richtige Getreidelager. Wer mit seinen Orders spekuliert und wer wirklich Getreide kaufen möchte, sei schwer zu sagen, gesteht auch Thilo Bode von Foodwatch, und fordert, den spekulativen Geldfluss trocken zu legen:

    "Große Anleger wie Lebensversicherungen, Pensionsfonds oder große Stiftungen dürfen nicht mehr auf den Rohstoffmärkten investieren, damit es nicht mehr zu diesen Preisverzerrungen kommt."

    Das lehnte der Sprecher der Deutschen Bank ab. Warum Pensionsfonds auch weiterhin auf den Reispreis wetten können sollen, begründet er mit einem Beispiel: Ein Pensionsfonds hält Aktien an einer Nahrungsmittelfirma. Dann fällt in China die Reisernte aus und die Aktien des Nahrungsmittelkonzerns gehen in den Keller - der Reispreis aber geht nach oben. Dem Pensionsfonds müsse es daher erlaubt sein, auf einen steigenden Reispreis zu wetten, um sich abzusichern, um also die Verluste aus den Aktien mit den Gewinnen aus der Reispreisspekulation auszugleichen. Thilo Bode von Foodwatch glaubt nicht, dass Deutschland, die EU oder die USA die Spekulationen an den Rohstoffbörsen für Nahrungsmittel wirksam begrenzen können

    "Der Ausblick ist so, dass sich die Situation noch krisenhafter zuspitzen muss, damit die Politik endlich die Kraft bekommt, die Finanzmärkte, die völlig außer Rand und Band geraten sind, zu regulieren."