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Die Illusion der schönen neuen Biokraftstoffwelt

Von ökologisch nachhaltigem Kraftstoff kann bei Biotreibstoff laut James Smith keine Rede sein. In seinem Buch entlarvt der Experte für Entwicklungspolitik an der Universität Edinburgh die Vision von der schönen neuen Biokraftstoffwelt als gefährliche Illusion.

Von Ralf Krauter | 19.11.2012
    Obwohl die englische Originalausgabe bereits 2010 erschien, kommt das Buch von James Smith in Deutschland genau zur rechten Zeit auf den Markt. Denn dramatische Ernteausfälle, verursacht durch Hitze und Dürre in den USA und Indien, haben die Diskussion um Biokraftstoffe erneut angeheizt.

    Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel hält die Lage für so brisant, dass er Mitte August forderte, den Verkauf des Biosprits E10 an deutschen Tankstellen sofort zu stoppen:

    "Das ist ein Konflikt zwischen Tank und Teller. Und gerade bei steigenden Lebensmittelpreisen kann Biosprit zu stärkerem Hunger in der Welt beitragen. Die Beimischungspflicht führt im Endeffekt dazu, dass Menschen zu wenig Nahrung haben. Und deswegen muss man dieses Konzept überdenken. Und solange man denkt, sollte man E10 aussetzen."

    Vom Acker in den Tank – das ist die Idee hinter Biotreibstoff. Und die Versprechen seiner Befürworter sind vollmundig. Biodiesel und Bioethanol, gewonnen aus Mais, Zuckerrüben, ölhaltigen Pflanzen und Zuckerrohr, könnten künftig einen wichtigen Beitrag zur globalen Energieversorgung leisten, sagen sie. Da die CO2-Bilanz von Biosprit günstiger ist als die erdölbasierter Kraftstoffe, würde sein Einsatz im großen Stil ganz nebenbei auch noch den Klimawandel bremsen.

    In den USA und Europa fand man diese Argumente so überzeugend, dass die Regierungen vor Jahren beschlossen, die Produktion von Biokraftstoffen zu forcieren und mit Milliarden zu subventionieren. Aus der Sicht von Professor James Smith, Experte für Entwicklungspolitik an der Universität Edinburgh, war diese Entscheidung ein Fehler. In seinem Buch beschreibt er fachlich fundiert und sehr eindrücklich, welche verheerenden Folgen sie hat.

    Die Hilfen für Biotreibstoff beliefen sich im Jahr 2007 innerhalb der OECD-Staaten auf ungefähr 13 bis 15 Milliarden US-Dollar, und das für Treibstoffe, die relativ magere 3 Prozent zum Kraftstoffbedarf im Transportwesen beisteuern. Von diesen Hilfen werden jährlich annähernd sechs Milliarden US-Dollar von den USA und fünf Milliarden von der EU gezahlt. Wenn man von der Beibehaltung gegenwärtiger Subventionsraten ausginge, würde das Beimischungsziel für 2020 die europäischen Steuerzahler über 34 Milliarden US-Dollar pro Jahr kosten.

    Würden diese Subventionen dazu führen, dass der CO2-Ausstoß sinkt, wäre das Geld vielleicht gut angelegt. Doch das Gegenteil sei der Fall, schreibt James Smith. Umfassende Ökobilanzen belegen: Durch den weltweiten Biosprit-Boom gelangen nicht weniger, sondern mehr Treibhausgase in die Atmosphäre. In Indonesien etwa wurde Regenwald gerodet, um Palmölplantagen für die Produktion von Biodiesel anzulegen.

    Im Jahr 2007 wies ein UN-Bericht darauf hin, dass 98 Prozent des natürlichen Regenwalds in Indonesien bis 2022 abgeholzt oder verschwunden sein werden. Fünf Jahre zuvor hatte die UN noch vorhergesagt, dies würde nicht vor 2032 geschehen. Diese beschleunigte Zerstörung ist in großen Teilen der Nachfrage nach Biokraftstoffen zuzuschreiben.

    Von ökologisch nachhaltigem Kraftstoff kann also keine Rede sein, folgert James Smith - und untermauert seinen Befund mit einer Fülle von Fallbeispielen, unter anderem aus Brasilien, Indien, Äthiopien und Tansania. Doch wenn die Ökobilanz von Biosprit so dürftig ausfällt, warum wird die Branche dann trotzdem seit Jahren so massiv gefördert?

    Der Autor macht die effektive Lobbyarbeit von Ölfirmen, Autoherstellern und Agrokonzernen dafür verantwortlich. In seinem Buch benennt James Smith Ross und Reiter des globalen Biotreibstoff-Kartells und verdeutlicht, wie die geballte Macht von wirtschaftlichen Interessen, Kapital und fehl geleiteten Subventionen zu einer regelrechten Landnahme in Entwicklungsländern geführt hat. In Afrika zum Beispiel haben ausländische Investoren in den vergangenen Jahren rund 50 Millionen Hektar Land erworben – eine Fläche, doppelt so groß wie Großbritannien.

    Investitionen in Biotreibstoff verändern die Besitzverhältnisse und die Bodennutzung in weiten Teilen Afrikas, entweder direkt durch den Anbau von Rohmaterial oder indirekt, [durch den Anbau] von Nahrungspflanzen, um die jetzt andernorts für den Anbau von Rohmaterial genutzten Flächen zu ersetzen oder sich gegen steigende Nahrungsmittelpreise zu wappnen. In mancher Hinsicht klingen bei diesem 'Landgrabbing' alte koloniale Verhältnisse an: Reiche, industrialisierte Staaten greifen auf Rohstoffquellen in ärmeren, weniger entwickelten Ländern zu.

    James Smith entzaubert die Hoffnungen, die die Anhänger der grünen Rohstoffrevolution nähren. Er entlarvt die Vision von der schönen neuen Biokraftstoffwelt als gefährliche Illusion, die die Menschheit davon abhält, ihre Energie-, Umwelt- und Verteilungsprobleme an der Wurzel zu bekämpfen. Mit dieser Ansicht steht der Autor nicht alleine da.

    Professor Christopher Field, Experte für globale Ökologie an der Universität Stanford, hat ausgerechnet, welchen Beitrag zur weltweiten Energieversorgung Biosprit einmal leisten könnte, ohne die Nahrungsversorgung und die Umwelt zu gefährden. Das Ergebnis: gerade mal 6 bis 8 Prozent.

    "Sechs bis acht Prozent: Das ist eine ziemlich kleine Zahl. Und sie bedeutet: Biokraftstoffe werden niemals Benzin, Diesel und Kerosin ersetzen oder eine zentrale Rolle bei der globalen Energieversorgung spielen."

    Das Buch "Biotreibstoff – eine Idee wird zum Bumerang” leistet einen wertvollen Beitrag zur Debatte über Sinn und Unsinn des Hypes um Biosprit. James Smith schreibt einprägsam und für Laien verständlich, wenngleich sein Stil eher an ein Vorlesungsmanuskript erinnert. Ärgerlich ist nur, dass aktuelle Zahlen Mangelware sind. Die jüngsten, im Buch zitierten Quellen stammen aus dem Jahr 2010, als das englische Original erschien. Außerdem wären ein paar Grafiken und Balkendiagramme schön gewesen, um die vielen Fakten zu veranschaulichen. Der Leser sucht sie leider vergeblich.


    James Smith: Biotreibstoff. Eine Idee wird zum Bumerang, Klaus Wagenbach Verlag, 144 Seiten, 15,90 Euro, ISBN: 978-3-803-13644-2