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Die Impressionisten und der Schnee

Die deutschen Künstler mochten Schnee und Winter nicht besonders. Italiens zur Zeit wichtigster Ausstellungsmacher Marco Goldin ist davon überzeugt, dass sich die Deutschen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher von mediterranen Gestaden, von azurblauen Himmeln und südlicher Natur inspirieren ließen. Die düsteren Wintermonate mit ihren Schneelandschaften waren für sie eher - und damit ganz im Sinn des deutschen Romantizismus - Symbole der Trauer, des Todes und der Todessehnsüchte. Goldin glaubt, dass Christian Rohlfs "Winterfriedhof" aus dem Jahr 1892, entliehen aus dem Karl-Ernst-Osthaus-Museum in Hagen, die Vorstellung deutscher Impressionisten in punkto Schnee perfekt zum Ausdruck bringt: Schnee gleich Winter gleich Kälte, Ende, Tod, Vergehen. Auch die übrigen Werke deutscher Maler, die in der Turiner Ausstellung "Die Impressionisten und der Schnee" zu sehen sind - Werke von Fritz von Uhde, Max Liebermann, Victor Müller und anderen - seien von eher düsteren Gedanken durchdrungen. Anders hingegen liegen die Dinge in der Ausstellungssektion "Impressionistische Schneemalerei in den Niederlanden": ganz in der Tradition barocker Schneebilder malten auch Guillaume Vogels, Willem Witsen und andere Holländer heitere Schneeszenen. Von Tod und Trauer keine Spur, so Goldin, der die Turiner Schneeschau organisiert hat:

Von Thomas Migge |
    Ich habe eine Ausstellung auf die Beine gestellt, bei der es um die Unterschiede in der impressionistischen Darstellung von Schnee in Europa geht. Ausgehend von den französischen Impressionisten, vor allem von Monet, dessen Schneebilder sehr bekannt sind, stellen wir das Sujet Schnee im europäischen Kontext vor. Wir zeigen 250 Gemälde. Die Besucher müssen schon ein wenig Zeit mitbringen, wenn sie hierher kommen.
    Unterteilt nach Ländern wird das Sujet Schnee in seinen kulturell verschiedenen Interpretationen dargestellt. Besonders reizvoll für den Besucher: er bekommt keine Aneinanderreihung von mehr oder weniger ähnlichen Schneebildern zu sehen, sondern wird - dank der Länderunterteilung - mit einer Komplexität konfrontiert, die die Turiner Kunstschau zu einem didaktischen Erlebnis macht. Schneebild ist nicht gleich Schneebild. Auch wenn sich fast alle europäischen Impressionisten auf französische Vorbilder - vor allem Monet - bezogen, flossen in ihre Gemälde nationale Kultureinflüsse ein, die den ganzen Reiz einer Gegenüberstellung ausmachen. Marco Goldin
    Bei den Schneemotiven lassen sich nationale Besonderheiten wie auch europäische Übereinstimmungen ausmachen. Nur wenige andere Sujets enthüllen so deutlich nationale Eigenarten: die Deutschen, die den Schnee fliehen, die Holländer, die ihn lieben, die Franzosen, die ihn zum Vergnügen nutzen, die Engländer und Schotten, die ihn romantisieren, die Russen, die den Schnee verehren, und die Italiener, die so gar nichts mit ihm anfangen können und dem Schneeromantizismus des frühen 19. Jhdts. nicht erlegen sind.
    Interessant ist die Sektion der russischen Impressionisten. Die Kunstrichtung des Impressionismus, so erfährt der Ausstellungsbesucher, wird in Russland erst seit einigen Jahren erforscht. Das wird damit erklärt, dass die Kommunisten diese Kunstrichtung als "bürgerlich" abstempelten und in die Keller ihrer Museen verbannten. Goldin gelang es, russische Schneebilder vom Ende des 19. Jhdts. nach Turin zu holen. Bilder wie "Petersburg im Winter" von Fjodor Bucholtz. Dieses 1887 entstandene Gemälde steht ganz unter dem Einfluss französischer Impressionisten. Die russischen Bilder bestechen vor allem durch eine Lichtgebung, die das Weiß des Schnees als Reflektionsfläche für andere Farben nutzt: für das Blau eines Winterhimmels, für das Braun von Baumstämmen und den Schatten, den Wolken erzeugen. Marco Goldin:
    Die künstlerischen Traditionen jedes Land durchdringen die Vorbilder der französischen Impressionisten. So zeigen niederländische Impressionisten Schneebilder mit fast den gleichen Motiven, Schlittschuh laufende Personen oder ähnliches, wie auf Bildern von Breughel und anderen Barockmalern. A propos Frankreich: natürlich bilden die Franzosen die größte Ausstellungssektion. Wir haben die schönsten Schneebilder von Monet, auf denen bereits Elemente der abstrakten Kunst eingeführt werden.
    Goldin hat ein Gespür für das, was das italienische Ausstellungspublikum sehen will. Er selbst erklärte einmal, dass vielleicht der Umstand, dass in Italiens Museen nur wenige Impressionisten zu sehen sind, seine Landsleute so zahlreich in die Ausstellungen treibt. Mag sein. Sicherlich ist der Run auf Goldins Ausstellungen - immer Impressionisten - auch damit zu erklären, dass umtriebige Norditaliener ganz geschickt PR-Kampagnen initiiert, die in ganz Italien und in allen Medien wochenlang für seine Kunstschauen werben. Hinzu kommt, dass Goldin dank seiner Spezialisierung auf impressionistische Maler über die besten Beziehungen zu Museen und privaten Sammlern in aller Welt verfügt. Goldin hat eine Impressionistenmode ausgelöst, der langsam aber sicher auch andere Ausstellungsmacher nacheifern. Noch ist deshalb kein Ende dieses Trends in Italien abzusehen.

    Information:

    "La leve e gli impressionisti", Turin, bis Ende April Palazzo della Ragione infos: aptbs@ferriani.com